Evgeny Ring Quartet

Ya Tashus'

Jazz thing Next Generation Vol. 36

In der Alterspyramide der Jazz thing Next Generation brachte der jüngste Debütant bisher gute 23 Lenze auf die Reihe. Das hat aber nur einer geschafft. Die meisten Kandidaten sind zwischen 26 und 28, auch mal reife 30, und ein paar wenige Spätzünder liegen etwas drüber – alles schon da gewesen. Nun verstärkt der Saxofonist Evgeny Ring mit seinem Quartett die Youngsterabteilung unter den jungen Wilden.

Evgeny Ring Quartet - Ya-Tashus'Er hört derzeit oft und gerne Sonny Rollins, aber davor hat Evgeny Ring zu Hause eine ganze Weile klassische Klaviermusik genossen. „Das sind so Phasen“, sagt Evgeny. Die eigenen Werke wirken alles andere als von Phasen geprägt und an seinem Erstling lässt sich auch kein Hinweis auf die Jugendlichkeit des Urhebers feststellen – so reif wirkt die Musik des aus Rostow am Don stammenden Leipziger Studenten, der manche seiner Stücke mit Moll-Akkorden ausstattet, sich lyrischer Melancholie mit Bop-Anteilen hingibt und keine Scheu davor hat, sich damit zum Klischee „Russische Seele“ zu bekennen. Doch „Ya Tashus“ (Double Moon/SunnyMoon) zeigt auch einen virtuosen jungen Witzbold, der mit seinen drei Freunden zuweilen über Mainstream-Rhythmen herfällt und diese voller Hingabe kunstvoll zersäbelt, der den Funk im Nacken hat und alten Standards ein neues Eigenleben schenkt. „Ich finde es ganz wichtig, dass wir nicht nur musikalisch super zusammenpassen, sondern auch als Menschen“, betont der schlaksige Altsaxofonist. Wir: Das sind der Pianist Sascha Stiehler, Trommler Dominique „Gaga“ Ehlert und Bassist Philipp Rohmer, mit 29 der mit Abstand Älteste im Quartett – „unser Papi“, grinst Evgeny. Kennengelernt hat Ring seine Mitstreiter gleich am Anfang des ersten Semesters an der Hochschule.

„Ende September 2007 ging es los. Wenn man nach Leipzig kommt und mit dem Studium beginnt, steckst du sofort mittendrin in den Sessions. Du spielst mit vielen verschiedenen Musikern, du lernst Leute kennen. Ich habe ganz schnell gespürt, mit wem ich in einer Band spielen möchte, und im November war es dann so weit.“

Seitdem ist das Evgeny Ring Quartett durch Deutschland und Russland getourt, hat sich Preise eingespielt – vor ein paar Monaten noch den ansehnlichen dritten Platz beim belgischen Jazz Hoeilaart Wettbewerb. Preise sind für den Musiker aus Rostow nichts Besonderes, da hat er schon als Kind einige eingesackt. Kein Wunder, denn Evgeny ist durch eine besondere Schule gegangen, die legendäre Kinderjazzschule von Rostow.

„Ich bin mit sieben aufgenommen worden und habe nahezu jeden Tag bis zum Abend gelernt, nach der normalen Schule. Dort hat man richtig studiert, Gehörbildung, Rhythmik, fast wie an der Hochschule. Eigentlich wollte ich Gitarre oder Schlagzeug lernen, aber in den Bereichen war alles voll. So habe ich über den Umweg Blockflöte schließlich das Saxofon entdeckt.“

In Andrey Machnevs Kinder-Bigband absolvierte der Kleine die ersten Festivals, gewann bei Kinderwettbewerben und kam mit 13 erstmals nach Deutschland. Später machte er ein Praktikum an der Glen Buschmann Jazzakademie in Rostows Partnerstadt Dortmund und ging mit deren Bigband auf Tour.

„Ich lernte Leute kennen, die so alt waren wie ich – Pablo Held, Florian Menzel. Und es war eine tolle Entdeckung, dass da so viele junge Typen waren, die so krass spielen können“, lacht Evgeny. „Das war auch einer der Gründe, warum ich unbedingt nach Deutschland wollte.“

Evgeny Ring QuartetFür das Debütalbum hat Evgeny den Titel einer Eigenkomposition gewählt, der ziemlich programmatisch klingt. „Ya Tashus“ bedeutet nämlich so viel wie „‚Ich find’s geil‘ oder ‚Ich steh‘ drauf‘ – ein Spruch, den ein Freund aus Rostow immer auf den Lippen hat. Der ist nun auch in Leipzig und mein ganzer Freundeskreis, die Jungs aus der Band natürlich erst recht, alle sind von diesem Slogan angesteckt und haben ihn drauf.“ Das Stück selber drückt die Laune des Quartetts aus, findet Ring. „Es ist sehr positiv und lustig.“ Die Band geht mit Temperament ans Werk; lustvoll setzt sie banalen Beats quirlige Cluster entgegen und entfaltet darüber einen überbordenden Groove. Anderswo dominieren getragene Klänge, kammermusikalische Eleganz prägt „On The Verge“, entstanden ein paar Monate nach Evgenys Weggang aus Rostow. „Das hatte mit Heimweh zu tun. Es ist eine schwere Zeit, wenn man so lange von zu Hause weg ist.“ Vielfältige Elemente bis hin zu orientalischen Linien prägen eine andere Komposition, die dem großen Fluss Don gewidmet ist und seiner Stadt, in der so viele verschiedene Kulturen existieren. Zwei Stücke stammen aus der Feder des Pianisten, über den Evgeny befindet, Sascha sei die Seele der Band.

„Er ist von der klassischen Moderne beeinflusst, Zwölftontechnik, Schönberg, aber natürlich auch von seinem Lehrer Richie Beirach. Wir haben noch andere Kompositionen von Sascha im Live-Repertoire. Ihn frage ich auch mal um Rat bei meinen Stücken.“

Kraftvolle Harmonien entwickelt das Quartett in seiner Re-Komposition des Klassikers „Nardis“, funky klingt der Titel „M-Jump“, dessen Geschichte auch etwas mit einem Freund zu tun hat. Die erste große Liebe ist der Anlass für ein von zauberhaften Interludien begleitetes lyrisches Stück „voller Tiefe und Ehrlichkeit“, wie einer seiner prominenten Lehrer über die Musik Evgenys schrieb. „Ja, Johannes Enders ist mein musikalischer Guru“, sagt der junge Mann respektvoll. „Er hat mir geholfen, meine eigene musikalische Sprache zu finden.“

Text
Uli Lemke
Foto
Anja Grabert

Veröffentlicht am unter 87, Heft, Next Generation

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