Johanna Schneider

Leben im Club

Eine natürliche Stimme mit tiefem Gespür für kraftvollen Scat, bluesige Phrasierungen und gehauchte Balladen, ein Talent für elegante Klangmalereien: Johanna Schneider hat das alles und eine Band, deren Mitglieder zu den Besten des deutschen Jazz zählen. Und dann setzt die junge Frau mit Ack van Rooyen sowie Tony Lakatos als Gästen noch eins drauf. Was für ein Debüt einer Sängerin, deren Wohnzimmer seit der Kindheit die Jazzclubs sind.

Johanna Schneider Quartet – Pridetime (Cover)
Der Zug von Essen nach Bamberg hat Verspätung, also verschiebt sich das Interview nach hinten. Übermorgen muss Johanna Schneider nach München weiter, da hat sie ein Fotoshooting organisiert. Stress? „Nee, höchstens positiver“, lacht die 28-Jährige. Letztes Jahr im August hat sie ihr Debüt aufgenommen, im Herbst CDs eingetütet und die Labels angeschrieben, einige Zusagen kamen ganz schnell. Sie hat sich für die Jazz-Thing-Next-Generation-Reihe entschieden, weil „Freunde von mir da gute Erfahrungen gemacht haben. Max Frankl, Tim Allhoff, viele …“ – und damit die Hälfte ihres Quartetts, denn Drummer Bastian Jütte und Bassist Andreas Kurz sind Mitglieder des Tim Allhoff Trios. Der dritte Mann bei Johanna Schneider ist Pianist Tizian Jost, bei dem etliche junge Hofnungen bereits in die Schule gegangen sind. Johanna Schneider hat ihre Band 2008 gegründet.

Johanna Schneider Quartet (Foto: Timo Allin)
Im Repertoire von Johanna Schneider entfalten Songs von Legenden wie Dinah Washington, Van Morrison oder Abbey Lincoln ein souveränes Eigenleben, doch die junge Frau hat die meisten Lieder auf „Pridetime“ (Double Moon/New Arts International) selbst geschrieben, auf Englisch und auch auf Deutsch. Für Letzteres ist Johannas Mutter verantwortlich:

„Ich habe ein Projekt mit Liedern zu Themen rund um den Mond, ein Mondliederprogramm. Meine Mutter war davon ganz begeistert und schrieb ein dazu passendes Gedicht, das ich als ‚Mondgesang‘ vertont habe, rechtzeitig zu einem Auftritt im Jazzclub Bamberg, wo sie auch war. Sie hat sich total gefreut und gleich noch zwei Gedichte geschrieben. Da sitze ich jetzt auch wieder drüber. Kann sein, dass sich damit ein neues Projekt ergibt. Es macht mir Spaß, auf Deutsch zu singen, und beim Publikum kommt es als ziemlich authentisch an.“

Im Jazzclub der alten Heimat hat sie mit ihrer Band Anfang 2009 ein denkwürdiges Konzert gespielt:

„Es war ein besonderer Auftritt, weil einfach jeder kam. Die Hebamme, die mich auf die Welt brachte, der Lateinlehrer aus der fünften Klasse, meine Zahnärztin. Und dann haben die Leute vom Club nicht nur mir einen Blumenstrauß überreicht, sondern auch meiner Mutter – als Dank dafür, dass sie mich dahin gebracht hat.“

Johanna Schneider wurde von der alleinerziehenden Mutter früh gefördert, der afroamerikanische Vater ist eine schwache Erinnerung. Wenn es um eine Schule mit besonderer musikalischer Förderung ging, dann zog man in den Schulsprengel um; Geige, Jazzdance, Theaterspiel oder Ballett: Das Mädchen probierte vieles aus, Bühnenangst gab es gar nicht. „Wenn ich eine Bühne sah, wollte ich immer möglichst nahe ran, schon mit zwei, drei Jahren“, erzählt Johanna. Nach dem Abitur zog sie nach München, sie wohnte eine Zeit lang gegenüber der Unterfahrt.

„Ich war fast jeden Abend da. Am meisten kann man bei Konzerten lernen, glaube ich. Auch heute gehe ich, wann immer ich selber frei habe, auf Konzerte von anderen Musikern, die ich mag. Jetzt, wo ich in Essen lebe, bin ich oft bei Proben und Auftritten der WDR Big Band, ich fahre nach Köln ins Loft und ins Pfandhaus, das Domicil in Dortmund ist bei mir ganz vorne mit dabei. Deshalb habe ich auch eine Danksagung auf der CD hinterlassen: Der Jazzclub Bamberg, die Unterfahrt, das Domicil: Das sind meine Ersatzwohnzimmer, wo ich wahnsinnig viel an Inspiration sammeln konnte.“

Für die Inspiration hat Johanna Schneider vor ein paar Jahren den Wohnort von München nach Essen verlagert, um nämlich bei Romy Camerun weiterzustudieren. Sie steht auch heute noch in Kontakt mit Sheila Jordan, die zu ihren großen Vorbildern gehört, wie auch Kevin Mahogany. Ihren Gastmusiker Tony Lakatos, der auf „Pridetime“ bei zwei Songs am Tenorsaxofon zu hören ist, hatte Johanna Schneider natürlich schon früh im Jazzclub Bamberg gesehen. Kennengelernt hat sie ihn später in einem Workshop und irgendwann dann holte er sie auf die Bühne. Dass er nun auf ihrem Debüt zu hören ist, macht die Sängerin mächtig stolz. Und dann Ack van Rooyen:

„Ihn habe ich bei einer Masterclass kennengelernt. Nach ein paar Tagen durfte ich ihn ‚Opa Ack‘ nennen“, lacht sie. „Später hab ich ihn wiedergetroffen, aber ich war ganz aufgeregt, als ich ihn fragte, ob er mitmachen wollte. Er hat sofort reagiert. ‚Of course! I wanna be on your happening. What shall I play? Strings, violin, flute – just let me know!‘ Ich glaube, ich bin da erst mal zehn Minuten im Zimmer rauf und runter gehüpft.“

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Text
Uli Lemke
Foto
Timo Allin

Veröffentlicht am unter 109, Heft, Next Generation

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