Boz Scaggs

Big Boz Man

Der Blues ist die Mutter, ihre Sprösslinge heißen R&B, Soul oder Rock ‘n' Roll. Der 74-jährige Sänger und Gitarrist Boz Scaggs zollt dieser Patchworkfamilie auf seinem neuen Album „Out Of The Blues“ (Concord/Universal) seinen Respekt. Mit schnörkellos schönen Coverversionen von Jimmy Reed bis Neil Young und dazu etliche neue Blues-Stücke, aufgenommen mit All-Stars wie den Tower of Power Horns, Ray Parker Jr., Jim Keltner oder Willie Weeks.

Boz Scaggs (Foto: Chris Phelps)

Telefonieren könnte so einfach sein. Das Internet und die smarten Telefone bieten eine Klangqualität, die direkte Nähe vorgaukeln kann, auch über die atlantische Distanz. Die Festnetzverbindung jedoch, über die Boz Scaggs konferieren will, ist brüchig. Eine Dame aus seinem Büro verbindet zuerst sogar nur ins Leere. Nach gut eineinhalb Minuten Stille meldet sich der 74-Jährige, unaufgeregt, eher reserviert, mit einem schlichten „Hello“. Schon in diesen zwei Silben hört man eine der originellsten Stimmen des letzten halben Jahrhunderts amerikanischer Popmusik, diesen sehnsüchtig-kehligen Tenor von „Baby’s Calling Me Home“, das er schon 1968 für die Steve Miller Band geschrieben und gesungen hat, oder natürlich von seinem großen Blue-Eyed-Soul-Hit „Lowdown“.

Alte Platten

Spätestens 1972 hat der Mann aus Ohio, der seit gut 40 Jahren in oder um San Francisco zu Hause ist, sein musikalisches Leben dem Blues verschrieben. „I Will Forever Sing (The Blues)“ heißt Track 1 auf der B-Seite von Boz Scaggs‘ drittem Soloalbum „Moments“.

„Wow, daran habe ich gar nicht mehr gedacht“, meint er. „Aber irgendwie tun wir das doch alle, für immer den Blues zu singen. Es ist die Mutter, von der aus so viel Musik kam. Für die von uns, die lange genug hiergeblieben sind, ist es fast unausweichlich, zu ihr zurückzukehren, zu unseren Anfängen. Ich habe im Lauf der Zeit viele Genres beackert, aber den Blues hatte ich dabei immer im Herzen.“

Moderne Musik hört William Royce Scaggs genauso wenig wie seine eigenen alten Platten, dafür gibt es für ihn noch zu viele tolle Jazzplatten zu entdecken.

„Ich bin sehr glücklich damit beschäftigt, meine alten Jazzplatten aufzuholen. Ich mag besonders die Pianisten und Saxofonisten. Da ist so viel Material, ich komme nicht dazu, moderne Musik zu hören.“ Lachend fügt er hinzu: „Außerdem muss ich auf mein Gehör aufpassen.“

Sein neues Album hat Boz Scaggs „Out Of The Blues“ getauft, nach der „üblichen angespannten Bedenkphase, was die Namensfindung angeht“. Er meint, der Titel funktioniere auf mehreren Ebenen und vor allem funktioniere er für ihn. Das neue Album ist der dritte Teil einer Trilogie, die mit „Memphis“ begann und in „A Fool To Care“ einen hübschen Mittelmann fand. Der Blues, wie er ihn hier meint, reicht von Bobby „Blue“ Blands „I‘ve Just Got To Forget You“ über Jimmy McCracklins Sixties-Hit „I‘ve Just Got To Know“ bis zu Jimmy Reeds „Down In Virginia“. Die neuen Stücke, etwa die herrliche Single „Rock And Stick“ oder der Funk ’n’ Blues von „Those Lies“ mit mindestens zwei der Tower of Power Horns, stammen von Jack „Applejack“ Walroth.

„Wir sind uns altersmäßig und vom musikalischen Hintergrund sehr ähnlich. Er ist ein Blues-Mundharmonikaspieler, aufgewachsen in Chicago. Und ein viel fleißigerer Songschreiber als ich. Ich bin etwas progressiver als er, in Richtung Rhythm ’n’ Blues, wenn ich denn mal schreibe. Jack steckt tief im Blues. Wir sind seit den Siebzigern in San Francisco enge Freunde und musikalische Partner.“

Ein Highlight dieses Albums ist ein Song von Neil Young. Wie ein angriffsbereiter Alligator in den Sümpfen Louisianas, äußerlich langsam und doch bedrohlich, schleppt sich „On The Beach“ über fast achteinhalb Minuten.

„Ich habe den Song erst vor eineinhalb Jahren kennengelernt, bei dem nur Neil-Young-Songs gespielt wurden. Einer der Veranstalter hatte ihn vorgeschlagen. Es ist ein Blues in Moll, eine Form, die mir sehr zusagt. Er hat mich damals im Konzert schon sehr berührt und das Gefühl hat sich seitdem eher verstärkt. Der Text arbeitet noch in meinem Kopf. Es ist nichts in unserem Arrangement, das Neil nicht schon in seinem gehabt hätte. Er hat ein paar ungewöhnliche kleine Nonen gespielt, nicht schwer für Gitarre, aber ungewöhnlich im Blues-Kontext. Neil kommt vom Rock, Folk, Blues, aber wie er diese Changes im Blues einsetzt, ist brillant. Er hat damit einen anderen Blues geschaffen. Ich kenne nicht viel von seiner Musik, aber dieser Song hat mich besonders berührt. Zeitlos – das ist Neil.“

Eigener Wein

Steigt man etwas tiefer in die Archive, findet man Verweise auf Boz Scaggs mögliche Zweitkarriere. Mit seiner Ehefrau besitzt und betreibt er ein Weingut im Napa-Sonoma-Valley. „Ein bescheidenes Anwesen“, wie er gleich abwiegelt, „und alles andere als ein Weingut.“ Und obwohl er sich keinesfalls als „Winemaker“ bezeichnen würde, macht er dort seit 15 Jahren eigenen Wein.

„Wir bauen Trauben an, arbeiten gern mit den Rebstöcken, genießen den landwirtschaftlichen Aspekt. Aber ich werde für den Wein nicht meinen Gig aufgeben. Lass es mich so sagen: Ich werde mich mit den Einkünften aus dem Verkauf des Weins nicht auf mein Altenteil zurückziehen. Aber ich will es auch gar nicht, dafür macht mir die Musik zu viel Spaß. Ich kann so viel touren, wie ich will. Vielleicht werde ich irgendwann weniger live spielen, aber ich glaube eigentlich nicht. Ich mag, was ich tue.“

Der Tourkalender auf bozscaggs.com ist gut gefüllt. Mit einer Siebenmannband, auch mit dem 70-jährigen Rufus-Bassisten Willie Weeks, spielt er bis Ende des Jahres von Kalifornien bis New York State.

„Das ist die beste Band, die ich je hatte. Wenn ich mit denen für den Rest meines Lebens spielen könnte, wäre ich glücklich. Ich muss mal mit meinen Musikern angeben: Sie arbeiten gleich gut bei klassischen Jazzstandards, R&B, Rock und den neuen Sachen, die ja eher früher Rock ’n’ Roll sind. Das ist der Luxus, den mir diese Musiker bieten. Jeder Abend ist anders: In Casinos wollen sie die Hits hören, auf Jazzfestivals dehnen wir die Soli ein bisschen aus. Keeps it fun. Wir spielen höchstens vier oder fünf der neuen Songs, das Album ist ja noch nicht erschienen. Und dann habe ich acht oder zehn Songs, die …“ Er ringt nach dem richtigen Wort und entscheidet sich für: „… anständige Hits waren, die auch in unserem Repertoire sind. Ich verbinde mich dadurch gerne mit dem Publikum, dann mischen wir es auf: Hits, Songs, die ich mag, und andere, die ich noch nicht aufgenommen habe. Wir strecken uns momentan ein wenig in Richtung New Orleans, eine gute Sache für die Sommerzeit. Ich liebe Musik aus New Orleans und sie spricht meine Wurzeln sehr an. Es ist der einzige Ort in Amerika mit dieser Tiefe an Geschichte und Charme. Und mit so viel Herz und Seele.“

Noch hallt der Dank für das Gespräch durch die Leitung und dazu eine letzte Frage: „Sind in absehbarer Zeit auch Live-Termine in Europa, vielleicht sogar in Deutschland geplant?“ Aber da ist die Leitung endgültig zusammengebrochen. Aber vielleicht hat der Boz auch aufgelegt. Vermutlich, um sein Gehör zu schonen.

Text
Götz Bühler
Foto
Chris Phelps

Veröffentlicht am unter 125, Feature, Heft

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