RIP: Wolfgang Schlüter
Eine schwere Knieverletzung vereitelte jäh Wolfgang Schlüters Wunsch, Pauker in einem klassischen Orchester zu werden. Doch Schlüter, 1933 in Berlin geboren, war schon Anfang der 1950er-Jahre vom Jazzvirus befallen: Er reagierte flexibel auf dieses Unglück und wechselte erst zum Marimba-, kurz darauf dann zum Vibrafon. Ein Lionel-Hampton-Konzert im Berliner Sportpalast zeigte ihm wenig später die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten auf diesem Instrument – und Schlüter wurde in den folgenden Jahrzehnten zu einem der bedeutendsten und einflussreichsten Vibrafonisten im Jazz; nicht nur in Deutschland, sondern auch international. 1953 lernte er in Ost-Berlin den Pianisten Michael Naura kennen. Mit Naura sollte er in dessen verschiedenen Besetzungen bis 1963 zu hören sein – Jahre, die dazu beitrugen, dass Schlüter zu den Pionieren des modernen Jazz in Deutschland gezählt wird.
Der Rest der Geschichte dieser Jahrzehnte währenden Freundschaft ist bekannt: Eine schwere Erkrankung 1964 machte es Naura unmöglich, seine Bühnenkarriere in der Intensität wie zuvor fortzuführen, und er wurde ab 1970 Jazzredakteur beim Norddeutschen Rundfunk. Schlüter wiederum machte weiter: Ab 1965 spielte er in der Big Band des NDR, ab 1985 war er Professor an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Als Vibrafonist war er für viele Bandleader die erste Wahl: für Kurt Edelhagen, Paul Kuhn oder Peter Herbolzheimer ebenso wie für Volker Kriegel, Peter Giger oder Christoph Spendel. Seine erste „richtige“ Platte unter eigenem Namen erschien erst sehr spät, 2007: „Four Colours“ (Skip Records/Soulfood), aufgenommen mit einem Quartett aus jungen Hamburger Musikern. 2013 bekam Schlüter einen ECHO Jazz, 2017 wurde er mit dem Jazzpreis Hamburg ausgezeichnet.
Die Freundschaft zwischen Schlüter und Naura hatte nach dem Rückzug des Pianisten von der Jazzszene Bestand – auch auf der Bühne, wenngleich eher sporadisch. In Nauras Programm „Jazz & Lyrik“ – oder, je nach Standpunkt: „Lyrik & Jazz – mit dem Dichter Peter Rühmkorf war Schlüter ein gern gehörter Mitspieler. Gemeinsam folgten die drei ungefähr gleichaltrigen Freunde einem kammermusikalischen Duktus, in dem sie Wort und Ton, Vers und Klang auf’s Innigste ineinander verschränkten.
„Die Form kann sich ändern, aber was wichtig ist: Es muss swingen“, erzählte Schlüter im Gespräch mit Götz Bühler für unsere Jazz-thing-Artikelserie „European Jazz Legends“: „Damit die Emotionen zur Geltung kommen, durch den Swing, durch dieses – argh …! – dieses fast Tierische, das dich dazu bringt, etwas zu spielen, das du nicht kontrollieren kannst und sollst.“ Das war zeitlebens auch so etwas wie sein Motto – für ihn als Menschen ebenso wie als Musiker. Am Tag seines 85. Geburtstags, am 12. November also, ist Wolfgang Schlüter an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Text Martin Laurentius
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