Jazzfestivals im Lockdown: Perspektiven ohne Planungssicherheit
[2.6.2020]
Für die Festivalbranche war der 17. April 2020 so etwas wie ein „schwarzer Freitag“. War man in den Wochen davor noch verhalten optimistisch (bis Mitte April galt der 15. Juni als Frist für das Veranstaltungsverbot), so ist seitdem klar, dass es in diesem Jahr keine Musikfestivals im Sommer geben wird – im Jazz ebenso wenig wie im Rock oder der Klassik. Die Corona-Runde der deutschen Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich auf eine Verlängerung des Veranstaltungsverbots auf den 31. August festgelegt, so wie die Politik in Österreich und der Schweiz auch.
Daraufhin überschlugen sich an diesem 17. April die Ereignisse, Festivalabsagen oder -verlegungen ins kommende Jahr kamen im Minutentakt. Davon betroffen war das altehrwürdige schweizerische Montreux Jazz Festival ebenso wie die jazzopen in Stuttgart, die dieses Jahr vom 9. bis 19. Juli ausgetragen worden wären, das Jazzfestival im österreichischen Saalfelden, das in der dritten Augustwoche stattgefunden hätte, oder die JazzBaltica Ende Juni an der Ostsee.
Ab Mai wurden die strikten Maßnahmen, mit denen bis dato die Corona-Pandemie eingedämmt wurde, schrittweise und vorsichtig in Deutschland gelockert. Das gesellschaftliche Leben verlagerte sich in den Städten und auf dem Land wieder mehr nach draußen, Schulen begannen mit einem rotierenden System tageweise mit einem Präsenzunterricht, auch Museen durften wieder besucht werden.
Auch gab es hierzulande einige Clubs und Spielstätten, die das Wagnis eingingen, nach zwei Monaten Lockdown Konzerte zu veranstalten – allerdings unter strengen Hygienevorschriften und Sicherheitsauflagen durch die Behörden und die Politik. Der Stadtgarten in Köln ist zum Beispiel einer der ersten Veranstaltungsorte gewesen, der „richtige“ Live-Konzerte angeboten hat: ausschließlich Open-Air und mit nicht mehr als 80 Besucher*innen. Andere Clubs zogen nach – das BIX in Stuttgart etwa, das ab dem 5. Juni Konzerte vorerst ohne Bläser*innen veranstaltet, oder das Ella & Louis in Mannheim, das ebenfalls ab dem 5. Juni Konzerte mit zwei voneinander getrennten Sets pro Abend seinen Besucher*innen bietet.
Zwischen Hoffen und Bangen in Saalfelden
Das Gespräch mit Mario Steidl, Programmleiter des Jazzfestivals und Kurator der Spielstätte Nexus in Saalfelden, fand am 16. April statt – also ein Tag vor der Pressekonferenz der österreichischen Staatssekretärin für Kultur und Medien, Ulrike Lunacek, auf der sie ihre Entscheidung über die Verlängerung des Veranstaltungsverbots bis zum 31. August öffentlich machte. „Vor dem 13. März hat man noch hin und wieder über Corona gewitzelt“, erinnert sich Steidl. „Anfang März hatten wir im Nexus noch unser Singer/Songwriter-Festival und waren guter Dinge, was unser Jazzfestival im August betrifft. Doch nur eine Woche später, ab dem 13. März, ging es dann Schlag auf Schlag.“
Normalerweise hätte für Steidl und sein Team Mitte März die heiße Phase der Festivalplanung begonnen. Bands und Musiker*innen wären gebucht und Verträge unterschrieben worden. Obwohl beim Interview nur gemutmaßt werden konnte, ob das 41. Internationale Jazzfestival Saalfelden dieses Jahr stattfindet oder nicht, so war sich Steidl dennoch im Klaren darüber, dass es im August 2020 kein normales Festival geben wird, weil schon vor dem 17. April die Planungssicherheit fehlte. Verhandlungen mit ausländischen Konzertagenturen und Managern mussten beispielsweise auf Eis gelegt werden, weil niemand vorhersagen konnte, ob zum Beispiel Musiker*innen aus Europa oder den USA im Sommer überhaupt nach Österreich einreisen dürfen – bzw. ob sie wieder so ohne weiteres in ihre Heimatländer zurückkehren können.
„Der Beginn der heißen Phase ist deshalb bei uns ,on hold‘ gesetzt worden“, so Steidl am 16. April. „Ich höre mir zwar noch Acts an, die ich für das Festival buchen möchte, aber ich frage sie nicht mehr an – dafür ist die Situation zu ungewiss.“ Am Tag nach dem Gespräch sind dann Tatsachen geschaffen worden. Für Steidl bedeutete dies, dass es dieses Jahr kein Jazzfestival Saalfelden geben wird. Der neue Termin ist der 19. bis 22. August 2021.
„Schwarzer Freitag“ in Stuttgart
Ende März war man in Stuttgart noch guter Hoffnung, dass die jazzopen wie geplant vom 9. bis 19. Juli in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ausgetragen werden. Weil zu der Zeit das Veranstaltungsverbot noch am 15. Juni enden sollte, konnte Jürgen Schlensog, Geschäftsführer der verantwortlichen Opus GmbH, in einer Presseerklärung mitteilen: „Wir hoffen für alle von der Corona-Krise betroffenen Menschen, dass sich die Lage in absehbarer Zeit normalisiert und verbessert. Dann können wir uns alle im Juli wieder auf tolle Konzerte freuen.“
Mit der Verlängerung des Veranstaltungsverbots auf Ende August wurde dieser verhaltene Optimismus zunichte gemacht. Am 17. April ging die Opus GmbH mit der Nachricht an die Öffentlichkeit, dass die jazzopen Stuttgart dieses Jahr nicht stattfinden werden. „Das war sicherlich ein ,Schwarzer Freitag‘ für alle Veranstalter, weil sämtliche großen Sommerfestival abgesagt oder ins kommende Jahr verlegt werden mussten“, so Schlensog: „Spannend ist nun die Frage, ob das für uns der letzte ,Schwarze Freitag‘ gewesen sein wird. Die Wissenschaft geht ja davon aus, dass mit einem Mittel gegen Covid-19 wahrscheinlich erst in 15 Monaten zu rechnen ist.“
Seit dem 17. April arbeitet man nun unter Hochdruck daran, dass jazzopen-Line-up, das für 2020 vorgesehen war, in das kommende Jahr mitzunehmen, wenn das Festival für den 8. bis 18. Juli eingeplant ist. „Wir führen intensiv Gespräche mit Managern und Konzertagenten und haben für die beiden Hauptbühnen bereits mehr als 60 Prozent Zusagen für 2021 bekommen.“ Bislang haben Acts wie Nils Frahm, David Sanborn, Sting, Jamie Cullum oder Stanley Clarke ihre Auftritte auf den Hauptbühnen am Stuttgarter Schlossplatz und Alten Schloss bestätigt. Ein ähnliches Ergebnis erhofft man sich nun für die kleineren Konzerte etwa im Jazzclub BIX.
„Ein Festival macht man nicht nur, um Geld zu verdienen, sondern vor allem auch aus Passion – das gilt für das ganze Team“, so Schlensog. „Ich bin zuallererst Optimist. Aber angesichts der Absage dieses Jahr spüre ich doch eine große Leere – obgleich sich die durch das Tagesgeschäft rasch wieder füllt, weil vieles für uns noch zu klären ist.“
Klarheit in Monheim
In der Stadt Monheim südlich von Düsseldorf, wo man vom 1. bis 5. Juli 2020 die Premiere der Triennale begehen wollte, hat man sich schon Anfang April entschlossen, das neue Musikfestival in das kommende Jahr auf den 1. bis 4. Juli zu verlegen – auch um Planungssicherheit zurückzugewinnen, wie der Intendant der Monheim Triennale, Reiner Michalke, hervorhebt: „Dadurch, dass das Festival in Monheim als Triennale alle drei Jahre stattfindet, konnten wir die für dieses Jahr geplante Premiere problemlos in den Sommer 2021 legen. Weil wir dadurch Zeit gewonnen haben, können wir in Ruhe mit den Künstler*innen über 2021 verhandeln. Und durch unsere frühe Entscheidung haben wir für Klarheit gesorgt und konzentrieren uns von nun an ganz auf die Planung für 2021.“
Region Rhein-Neckar: In Etappen leben
Sollte es tatsächlich eintreten, dass es nach dem 31. August wieder Großveranstaltungen in Deutschland (und anderswo) geben wird, so ist sich dennoch das Gros der Organisator*innen einig, dass Musikfestivals nur mit strengen Auflagen durch die Politik genehmigt werden. Für die beiden großen und international renommierten Festivals Enjoy Jazz, das vom 2. Oktober bis 14. November im Rhein-Neckar-Raum angesetzt ist, und das Jazzfest Berlin vom 5. bis 8. November bedeutet dies: aller Eventualitäten zum Trotz weiterhin die Programme vorzubereiten.
„Wir planen unser Festival erst einmal ganz normal weiter und bleiben zuversichtlich“, macht Rainer Kern, künstlerischer Leiter von Enjoy Jazz, deutlich. „Dennoch machen wir uns Gedanken über den Fall der Fälle, weil die Situation für uns bis zu dem Tag unklar bleiben wird, an dem dieses Jahr Enjoy Jazz beginnt.“
Die Bemühungen der Politik in Bund, Ländern und Kommunen, den Menschen im Land ab Mai wieder ein Stückweit Normalität zurückzugeben, sind zwar sichtbar. Dennoch hat Kern eine Besonderheit der Corona-Krise ausgemacht: „Wir leben momentan alle in Etappen. Der nächste Termin, der für uns Veranstalter von Bedeutung sein wird, ist der 31. August. Erst dann wird sich zeigen, ob, und wenn ja, in welcher Form es im Herbst große Musikfestivals geben wird. Bis dahin müssen wir damit leben, dass alles möglich sein kann.“
Berlin: Analoges und Digitales verschachteln
Auch Nadin Deventer wurde Mitte März in der Hochphase der Planung für ihr drittes Jazzfest Berlin kalt vom Lockdown erwischt. „Von einem Tag auf den anderen wurden wir ausgeknockt – bäm … Stillstand“, erinnert sie sich. „Das war anfangs für uns alle ziemlich beängstigend. Bis man begreift, dass dieser Stillstand vorerst bleiben wird, hat es einige Wochen gebraucht.“
Deventer ist im Europe Jazz Network (EJN) engagiert, einem europaweiten Zusammenschluss verschiedener Club- und Festivalveranstalter*innen, Konzertagenturen, Musiker*innen und Journalist*innen. Schon bald nach Beginn des Lockdown Mitte März trafen sich EJN-Mitglieder regelmäßig zu Videokonferenzen, um die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Musiklandschaften in Europa zu diskutieren. „Als wir mit unserem Jour-fixe begonnen haben, war bei allen von uns noch deutlich die Schockstarre zu spüren – jeder hat seine Wunden geleckt“, so Deventer. „Es war aber gut zu erfahren, dass es jedem von uns so geht und man nicht alleine ist. Mittlerweile ist es so, dass wir begonnen haben, kreativ mit den Folgen der Krise umzugehen und für uns Perspektiven zu entwickeln.“
Das Jazzfest Berlin hat eine fast 60-jährige, internationale Geschichte – seit jeher mit einer engen transatlantischen Verbindung in die USA, wo zurzeit die Musiker*innen noch stärker unter der Corona-Pandemie und dem Lockdown zu leiden haben als hier in Europa. „Angesichts dieser dramatischen Situation stellt sich mir die Frage, wie man als Jazzfest Berlin damit umgeht“, erläutert Deventer. „Umso wichtiger ist es nun zu überlegen, wie wir die internationalen Musiker*innen für das diesjährige Jazzfest im Spiel halten können. Wir müssen analoge und digitale Ansätze miteinander verschalten und neue Projekte im Dialog mit den Künstler*innen entwickeln – vielleicht sogar als Tandem mit lokalen bzw. regionalen und internationalen Musiker*innen: dass dann also beim Jazzfest Kreative live vor Ort mit Kreativen von anderswo digital zusammenkommen.“