Es geht doch

Christopher DellDa, wie wir alle wissen, es im Jazz nicht immer zum Besten bestellt ist, aber es auch keinen Sinn hat, sich dauer-bluesmäßig in die permanente Opferhaltung zu begeben, wollte ich einfach mal den Konjunktiv ausprobieren. Was wäre, wenn? Einfach mal die absurde Utopie denken.

Man stelle sich vor, Spiegel-Online berichtete, eine wichtige deutsche, immer für die freie Fahrt der Bürger eintretende Partei, wir wollen sie hier DPF nennen, kämpfe für deutschen Jazz. Ein großer Medienkonzern namens Sany wolle im Berliner Stadtteil Kreuzberg eine Filiale für deutschen Jazz eröffnen und stieße dabei auf Protest.

Dabei sei natürlich an der doppelten Schraube gedreht. Es ginge nicht darum, dass Bürger protestieren, denn das ist in Kreuzberg – das sei Nicht-Berlinern hiermit ergänzend mitgeteilt – normal, sondern dass sie gegen etwas protestieren, was es ja gar nicht geben könne: eine deutsche Hegemonie auf dem Jazzmarkt.

So könnte also der Bericht ausgesehen haben:

Eins muss man der DPF lassen, sie versteht sich auf Kultur. Und seit letztem Monat passt wirklich alles zusammen, denn ihr neuer Slogan lautet: „Freier Jazz für freie Bürger“. Warum das?

Weil manche in Kreuzberg sich mal wieder von ihrer renitenten Seite zeigen und es gar nicht gut finden, dass im Dezember, rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft, die erste Sany-Filiale für deutschen Jazz im Stadtteil an der Ecke Zossener und Bergmannstraße eröffnen soll, sprang Frido Osterteilchen gestern als beherzter Kämpfer für die freie Marktwirtschaft, der er nun mal ist, dem kulturbeflissenen Konzern zur Seite. Er verteilte an der Straßenecke vor der Baustelle mit dem eifrigen Parteinachwuchs von der Jungen DPF die zuvor angelieferte Ware des Konzerns, u.a. CDs vom Gert Kuchenbäcker Quartett, Susa Hochleitner Oktett und Sigmund Schulmeister Quintett. „Hier geht es um die Freiheit“, sagte er. „Der freie Bürger soll selbst entscheiden, was er hören will.“

Praktischerweise liegt die Baustelle der neuen Filiale direkt gegenüber der Firmenzentrale eines bekannten Dienstleitungsunternehmens, so dass für Abnehmer vor allem von Gert Kuchenbäcker gesorgt war. „Lang lebe Gert, hipp, hipp, hurra“, riefen Angestellte dankbar, was eine vorbeikommende Radfahrerin ordentlich in Wallung brachte. „Ich glaube es nicht“, sagte sie fassungslos und stieg vom Fahrrad ab. „Wisst ihr eigentlich, dass Gerts Licks von Schwarzen in den USA unter ausbeuterischen Verhältnissen hergestellt werden? Ihr habt doch Verantwortung, oder seid ihr für Diskriminierung?“, herrschte sie die beiden Angestellten Sieglinde F. (39) und Volker S. (28) an. Denen blieb fast das bekannteste Solo von Kuchenbäcker im Halse stecken. „Bei Saturm kostet die CD 17,20 Euro, in Sanys Filialen für deutschen Jazz aber nur 12 Euro“, verteidigte sich Sieglinde. „Und wenn man so anfängt“, ergänzte ihr Freund Volker, „können wir auch nicht mehr fernsehen. Die Sendungen werden doch auch in den USA produziert. – Und wo wird Ihre Waffe hergestellt?“, fragte er den Polizeibeamten, der zu der Demonstration abgeordnet worden war. „In Deutschland – wie die Musik von Gert, Susa und Sigmund. Das ist eine Sig Sauer, hat aber weder was mit Sigmund Schulmeister noch mit Heinz Sauer zu tun“, antwortete dieser.

Während die kleine Diskussionsrunde inzwischen beim D7-Gipfel angelangt war, nahte neuer Ärger in Form einer aus zwei Personen und einem Transparent bestehenden Spontan-Gegendemo. „Dass Sany mitten in einem Wohngebiet drei Filialen für deutschen Jazz baut, ist so, als ob man Drogen frei verkaufen würde“, sagte Sandro Giacometti, der mit seiner Bürgerinitiative „Auch Italiener machen guten Jazz“ gegen diese Neuansiedelung kämpft. Osterteilchen überreichte derweil einer jungen Mutter mit Kinderwagen eine Susa-Hochleitner-CD.

Etwas irritiert beobachtete der Abgesandte von Sany, Sunday Oliseh-Jaeckel, die Szene. „Mit diesem Protest habe ich nicht gerechnet“, sagte er.

Schweißgebadet wache ich auf: Das war doch alles nur geträumt!

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