Phillip Dornbusch

Des Architekten flexibler Plan

Am Start zu stehen und nicht loslaufen zu dürfen: Das kommt vor allem bei jungen Musikern, die vor Tatendrang und Ideen geradezu überlaufen, einer Höchststrafe gleich. Doch Phillip Dornbusch dachte vor allem pragmatisch: Den ersten Lockdown im Frühjahr nutzte der Saxofonist, um intensiv zu üben. Nun erscheint das erstaunliche CD-Debüt seiner Band Projektor – ein Hoffnungsschimmer, nicht nur für die Jazz thing Next Generation, sondern weit darüber hinaus.

Phillip Dornbuschs Projektor – Reflex (Cover)

Keine Frage: Die Musiker leiden wie nahezu alle Künstler. Zum zweiten Mal eine Vollbremsung, abermals durfte keiner auftreten, was viele mitunter sogar an ihrer Daseinsberechtigung zweifeln ließ. Die ewige Relevanzdiskussion beschäftigt gerade solche, die um ihre Existenz kämpfen. Man könnte ja Erwartungshaltungen bedienen. Oder wie im Falle von Phillip Dornbusch einfach versuchen, die Welt ein kleines Stückchen bes­ser zu machen. Sozusagen ein längerfristiges Gedankenmodell.

„Ich möch­te mit meiner Musik bestimmte Probleme ins Bewusstsein rufen“, erklärt der 26-jährige Tenorsaxofonist seinen eingeschlagenen Weg. „‚Mourning‘ zum Beispiel habe ich geschrieben, als im Juli 2019 das Schiff Sea-Watch 3 mit all den Flüchtlingen in Italien festgesetzt wurde. Das hat mich sehr bewegt, und aus diesen Gefühlen heraus ist das Stück entstanden. Wenn wir es live spielen, stelle ich mir vor, dass sich das Publikum mit der Geschichte auseinandersetzt. Und so möchte ich meinen Teil dazu beitragen, dass sich Dinge in eine andere Richtung bewegen.“

Da überlegt einer wirklich, warum er sich auf eine Bühne stellt, wieso es sich lohnen sollte, in einen imaginären Wettbewerb mit Tausenden von gut ausgebildeten Saxofon-Kolleg/-innen zu treten, und mit welchen Konzepten man dann aus dieser anonymen Masse namens Jazz heraussticht. Nein, das Rad neu erfinden, das könne und wolle er gar nicht, sagt der 26-Jährige, der in Berlin-Schöneberg lebt und aus Stadthagen bei Hannover („Die Stadt der Saxofonisten – auch Anna-Lena Schnabel und Timo Vollbrecht kommen von da her.“) stammt.

Coltrane bleibe unerreicht, ebenso wie Lester Young oder aus der jüngeren Generation Chris Speed. Er habe sich auch gerne von starken Musikerkollegen wie Niels Klein, unter dessen Dirigat Phillip Dornbusch seit 2018 im Bundesjugendjazzorchester den Saxofonsatz bereichert, Philipp Gropper, Pablo Held oder Uli Kempendorff inspirieren lassen, aber auch von Lehrer/-innen wie Peter Weniger, Greg Cohen, Julia Hülsmann, Jörg Achim Keller, Marc Müllbauer, Gregoire Peters oder Sebastian Gille. Sie alle lernte er im Laufe des Studiums am Jazzinstitut Berlin kennen und schätzen. Sie zeigten ihm Wege auf, die er jedoch bewusst alleine gehen wollte.

Wenn Dornbusch spielt, dann tut er dies nicht unbedingt nach Schema F. Seine Maximen lauten: experimentieren, ausprobieren, tunlichst Wiederholungen vermei­den. „Da bin ich viel zu untheoretisch. Ich schreibe lieber aus Stimmun­gen heraus.“ Weniger Noten. Einfach vom Gefühl und der Tagesform treiben lassen. So kommt es vor, dass ein und dasselbe Stück regelmäßig anders klingt, in Tonart, Rhythmus und harmoni­schen Variationen.

Phillip Dornbuschs Projektor (Foto: Dovile Sermokas)

Dafür braucht es offene, flexible Gleichgesinnte, die noch dazu ihr Instrument exzellent beherrschen. Deshalb dauerte es wesentlich länger als bloß einige Telefonate, um „Projektor“ zusammenzustellen, jenes junge Forscherquintett mit der Pianistin Johanna Summer, dem Gitarristen Johannes Mann, dem Bassisten Roger Kintopf und dem Drummer Philip Dornbusch (der kurioserweise nicht verwandt mit dem Mann am Tenorsaxofon ist – der winzige Unterschied liegt beim „l“ im Vornamen), das nun mit „Reflex“ ­(Double Moon/in-akustik) ein Werk veröffentlicht, das auch für die Jazz thing Next Generation ein neues Kapitel aufschlägt.

Die 86. Folge ist tatsächlich ein Album wie ein Reflex, das erste vielleicht, das nicht mit fertigen Konzepten an den Start geht, sondern wie ein Rohling anmutet, den sich jeder nach Gutdünken zurechtbiegen, -schleifen oder -klopfen kann. „Chef“ Dornbusch komponiert selbstredend mit Noten, schreibt bestimmte Parts ziemlich exakt auf, um den Grundgedanken des jeweiligen Stücks zu verfes­tigen, lässt aber mindestens genauso viel offen. Der Saxofonist spricht in diesem Zusammenhang häufig vom „Charakter der Musik“ oder von der „Atmosphäre“, ermuntert seine Mitstreiter zum völlig freien Spiel wie zu unvorhersehbaren Solos. Der etwas andere Architekt.

„Ich zeichne den Plan für ein Haus, den Grundriss, den Kamin und bestimmte Zimmer. Den Rest dürfen die anderen mit all ihrer Kreativität hinzufügen.“

Die musikalische Renaissance des Bauhausstils gewissermaßen – und hoffentlich ab März auch wieder live zu bestaunen. Man würde sonst wirklich etwas verpassen …

Booking MaWeMarketing | Martina Weinmar

Text
Reinhard Köchl
Foto
Dovile Sermokas

Veröffentlicht am unter 137, Heft, Next Generation

Deutscher Jazzpreis 2025