Larry Goldings

Fragil, aber wunderschön

Larry Goldings freut sich, wenn man sich an ihn als Pianisten erinnert. Denn zur Orgel ist er eher zufällig gekommen, durch seine Arbeit in der Band von Maceo Parker, als dieser in den frühen 90ern gerade eine Solokarriere startete. Seitdem kennt man Goldings als Hammond-Aquarellisten, der mit seinem Trio an der Feinjustierung des Orgelsounds feilt.

Larry Goldings (Foto: Konstantin Kern)Hans Groiner ist ein österreichischer Komponist. Ein wenig käsig blickt er in die Kamera, mit seltsam gülden schillerndem Haar, und erklärt, dass er im Grunde keinen Jazz mag, aber von einem Musiker namens Thelonious Monk herausgefordert wurde, dessen Klangwelt förmlich nach Korrektur der Dissonanzen schreie. Und dann eliminiert er am Flügel störende Tritoni, irritierende übermäßige Intervalle und zeigt, wie man „Well You Needn‘t“ oder „Blue Monk“ im Sinne europäischer Klavierromantik korrekt und reibungsfrei interpretieren könnte. Nahe an der jazzmusikalischen Schmerzgrenze sind seine Auftritte, etwa im New Yorker „Smalls“, wo Groiner beherzt ins Akkordeon greift und vor lauter Emphase aufpassen muss, dass ihm nicht die Perücke vom Kopf fällt. Denn hinter dem vermeintlichen Szene-Ikonenschänder verbirgt sich Larry Goldings, der auf treffend humorvolle Art und Weise klarmacht, wie einfach man die Hipster aus der Ruhe bringen kann, wenn man an ihren Monumenten meißelt.

Überhaupt liegt dem Pianisten, Organisten und Komponisten aus Boston, der schon so lange in New York lebt, dass er sich kaum noch an Zeiten davor erinnern kann, das Spiel mit den Feinheiten der Deutung. Sein aktuelles Trioalbum mit dem Gitarristen Peter Bernstein und Drummer Bill Stewart nennt er beispielsweise „Ramshackle Serenade“ (Pirouet/edel), eine Titelkombination, die nicht wirklich naheliegt:

„Ich habe nach einem Wort gesucht, das man irgendwie mit Americana verbindet. Manche Elemente der Songs haben etwas von Monk, manche etwas von Randy Newman, anderes erinnerte mich an Musik aus dem frühen 20. Jahrhundert. Beim Lesen von Mark Twain bin ich dann auf den Ausdruck ‚ramshackle‘ (dt. ‚klapprig‘ – Anm. d. Aut.) gestoßen. Er wird meistens für Gebäude verwendet, die schon ein wenig heruntergekommen sind. Das wiederum in Verbindung zum Ausdruck Serenade zu stellen, gefiel mir, weil ich es mit Improvisation, mit der Art, sich auf unsicherem Terrain zu bewegen, verknüpft sah. Fragil, aber immer noch wunderschön – ‚Ramshackle Serenade‘ steht in diesem gedanklichen Zusammenhang.“

Die Detailarbeit liegt Larry Goldings. Das ist mit Blick auf sein bevorzugtes Instrument nicht selbstverständlich. Denn im Laufe ihrer Geschichte wurde die Hammondorgel eher als vulgäres, grobschlächtiges Instrument verstanden, das im Vergleich zum subtilen Klavier wie ein Traktor neben der Limousine wirkt. Auch hier korrigiert Goldings behutsam die Wahrnehmung. Er nennt Vorbilder wie Ray Charles, Dr. Lonnie Smith oder die Organisten der Gospelwelt, konkretisiert aber genau, welche Nuancen ihm an diesen imponieren:

„Ich habe natürlich vielen auf die Finger geguckt, alte Platten gehört, mir Techniken abgeschaut. Jeder Organist hat eine eigene Vorstellung, wie er sein Instrument klingen lassen will. Das Leslie zum Beispiel: Wie man es rotieren lässt, stoppt, in welcher Stärke man es einsetzt, das wird mit der Zeit zu einer instinktiven Geschichte. Musiker vor Jimmy Smith, wie Wild Bill Davis oder Shirley Scott, haben die Orgel wie einen Bigbandersatz eingesetzt. Daher hörte man damals vor allem schnelle, fette Klänge und kümmerte sich wenig um das Leslie. Jimmy Smith kühlte das herunter, benützte erst gar kein Vibrato, dann eher langsames. Ich mag das gerne. In Balladen oder auch bei freieren Passagen spiele ich damit, das Leslie ein- und auszuschalten und damit den Klang in Bewegung zu setzen.“

Das wiederum macht den Spaß beim Hören von „Ramshackle Serenade“ und noch mehr beim Besuch der Konzerte von Larry Goldings‘ Trio aus. Da wird ziseliert und musikalisch jongliert, mit bewährten Stimmungen im Stil von Abercrombies „Timeless“, vor allem aber in der gelösten, konzentrierten Atmosphäre eines Teams, das seit rund einem Vierteljahrhundert zusammenarbeitet. Man erlebt drei Freunde im Gespräch, jeder für sich ein Spezialist für Zwischentöne und Differenziertes. Es ist eine Herzensangelegenheit, ganz klar, aber längst nicht alles, was Larry Goldings macht. „Mit John Scofield bin ich auch im Trio unterwegs, das ist etwas ganz anderes. Mit dem Songwriter James Taylor stehe ich seit mehr als zehn Jahren auf der Bühne und nehme mir da immer mal wieder eine Auszeit vom Jazz“ – wenn er sich nicht gerade in den Racheengel der Konsonanz Hans Groiner verwandelt.

Text
Ralf Dombrowski
Foto
Konstantin Kern

Veröffentlicht am unter 104, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2025