UASSYN
Die verlorenen Attribute des Jazz
Wie soll man sich UASSYN eigentlich nähern? Über die Jazztradition bringt das kaum etwas. Gut, man könnte die Band als Saxofontrio verorten – und läge dabei schon wieder daneben. Denn Silvan Jeger, Vincent Glanzmann und Tapiwa Svosve verstehen sich in jeder Hinsicht als gleichberechtigte Einheit, die nichts dem Zufall überlässt. Eines garantieren die drei Schweizer aber auf jeden Fall: extrem spannende Musik.
Schon der Erstkontakt per E-Mail gibt klare Fingerzeige darauf, was einen auf „Zacharya“ (Double Moon/Bertus), dem Erstling von UASSYN, erwarten könnte: kein Einzelinterview bitte, sondern alle drei. Schließlich hat jeder etwas zu sagen, und gemeinsam könne man sich ja ganz prima ergänzen. Auf das Ensemble und die sechs Stücke übertragen, würde das eine klare Absage an das Solo, an Egotrips oder Machtkämpfe bedeuten, ein „Daumen unten“ für das eben, was man früher so am „alten“ Jazz schätzte oder manchmal auch als unvermeidbare Begleiterscheinung billigend in Kauf nahm.
In der Telefonschalte zwei Tage später benutzen Schlagzeuger Vincent Glanzmann (37), Bassist Silvan Jeger (35) und Saxofonist Tapiwa Svosve (25) ein Wort auffällig oft: „gemeinsam“. Mithin der nächste Beleg dafür, dass UASSYN („Nur ein Fantasiename, den wir erfunden haben. Hat keine tiefere Bedeutung“, beruhigt Glanzmann) Gleichberechtigung aus tiefster Überzeugung heraus praktizieren. Gerade deshalb springt Svosve seinem Bandkollegen umgehend zur Seite: „Ein Terminus wie UASSYN lässt sich nicht genau einordnen. Jeder soll sich selber einen Reim darauf machen.“
Keine Schublade bedienen: Das ist das erklärte Ziel der drei jungen Schweizer, die sich zwei Jahre lang „in stiller Forschungs- und Entwicklungsarbeit im alchemistischen Gestus“/Pressetext eingruben, um komplexe Konzepte auszuprobieren. Der erste öffentliche Auftritt erfolgte danach im Züricher Jazzclub Moods vor einem einzigen Eingeweihten, nämlich dem befreundeten Pianisten Colin Vallon. Die Erkenntnisse daraus verleiteten die Jungs jedoch nicht etwa dazu, fortan das Licht der heimischen Öffentlichkeit zu suchen. Sie verschwanden vielmehr weitere drei Jahre ins Ausland, feilten, diskutierten auf abgewetzten Randsteinen und in polnischen Raststätten, brüteten Ideen aus und verwarfen sie wieder.
„Das war schon eine ganz bewusste Entscheidung, zunächst aus den ganzen kommerziellen Abläufen rauszugehen“, erläutert Vincent Glanzmann, der 2012 den „Master of Arts in Music und Performance Jazz“ an der Hochschule für Musik erwarb und 2017 mit einem „Werkjahr“ von der Stadt Zürich geehrt wurde.
Beim nun vorliegenden, kompromisslos archaischen Ergebnis, das als 87. Ausgabe ein bislang ungehörtes Kapitel der „Jazz thing Next Generation“ öffnet, klingt manches scheinbar vertraut, wie die elegischen Saxlinien zwischen den Schlagzeugsalven und dem trudelnden Bass im Titelstück, bei dem spontan die Free-Jazz-Antennen ausfahren. Oder wenn Svosve sein Horn schlaftrunken durch „Tuain“ navigiert. Aber die nervösen ADHS-artigen Drums wollen nicht unbedingt dazu passen. Bei „Chy“ springt sofort der Balladenreflex an, doch was ist das für eine Chill-down-Nummer, wenn hinter jeder Ecke Gefahr zu lauern scheint?
„Es bereitet uns große Freude“, sagt Glanzmann, „unsere Ideen auf den Tisch zu legen, alles dann einzudampfen, zu komprimieren. Dadurch stoßen wir auf Dinge, die in einem schnellen Prozess wahrscheinlich nicht zum Vorschein kämen.“
Svosve nennt die einzelnen Stücke „Gefäße“. Natürlich seien es Kompositionen, sagt der schweizerisch-simbabwische Saxofonist, der zwischen Zürich und London pendelt, das Label Physical Correlate betreibt, 2018 den renommierten Friedl-Wald-Preis und 2019 ebenfalls ein „Werkjahr“ der Stadt Zürich erhielt – aber eben dehn- und formbare, die das Kollektiv im Laufe der Jahre in verschiedenen Kontexten geschärft habe. In letzter Konsequenz seien es doch Improvisationen. „Wir besitzen alle drei einen ziemlich breiten Horizont“, stellt Jeger klar. Der an der Züricher Hochschule der Künste ausgebildete Kontrabassist, der obendrein als Sänger, Gitarrist, Cellist, E-Bassist und Theatermusiker sowie im Duo Cold Voodoo oder in der Band Day & Taxi arbeitet und aus seiner Liebe für experimentellen Pop und Ambient keinen Hehl macht, sucht deshalb wie seine „Partners in Crime“ einen anderen Aufkleber.
„Weg von diesem akademischen Jazzverständnis“, schickt Svosve hinterher, „wieder zu dem Punkt, an dem wir die Entscheidung trafen, uns mit Jazz auseinanderzusetzen!“
Vielleicht ist wirklich zu viel im Jazz verloren gegangen: das Progressive, das Demokratische, das Ursprüngliche, das Nonlineare. UASSYN haben die Suche danach gerade erst begonnen.
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