Kurt Edelhagen & His Orchestra

The Unreleased WDR Jazz Recordings 1957-1974

(Jazzline/Broken Silence)

Kurt Edelhagen & His Orchestra – The Unreleased WDR Jazz Recordings 1957-1974 (Cover)Schlager- und Tanzmusik als Broterwerb, Jazz als Trostpflaster: So lautete die Arbeitsgrundlage für nahezu alle jazzaffinen Orchesterleiter der deutschen Rundfunkanstalten in der Nachkriegszeit. Max Greger, Paul Kuhn, Hugo Strasser oder Erwin Lehn ließen sich vor den Karren eines großen Klangkörpers spannen, weil sie damit wenigstens hin und wieder ihrer Leidenschaft frönen durften. Zu den umstrittensten Vertretern dieser Spezies zählte Kurt Edelhagen, ein akribisch penibler, pedantischer Zuchtmeister mit cholerischen Zügen, der seine Musiker mit Proben von bis zu zehn Stunden an den Rand des Wahnsinns treiben konnte. Dass sein Name bis heute mit der bunt-flockig-seichten Einmarschmusik für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 1972 in München in Verbindung gebracht wird, verzerrt das Bild des „deutschen Stan Kenton“, wie ihn Kritiker nannten, bis zur Unkenntlichkeit. Denn Edelhagen wollte immer nur eines: den perfekten Jazz. Nun bieten eine aufwendige Dreier-CD-Box mit unveröffentlichten Studioaufnahmen zwischen 1957 und 1974 aus den Archiven des WDR sowie Bookleterläuterungen von Bernd Hoffmann die Chance zur überfälligen Korrektur. In 205 Minuten gibt es dabei ein Wiederhören mit prominenten „Angestellten der Firma Edelhagen“ wie Maynard Ferguson, Albert Mangelsdorff, Philly Joe Jones, Mark Murphy, Toots Thielemans, Jiggs Whigham, Dusko Goykovich, Kenny Wheeler oder Karl Drewo. Vieles klingt verblüffend modern und überraschend, wenn auch frei von avantgardistischen Ambitionen. Wunderbar nachvollzogen werden kann der Wandel vom reinen Bebop-Blech-Ensemble mit nur wenigen Soli zur präzise swingenden Klangmaschine voller instrumentaler Parforceritte. Als der WDR Edelhagen 1974 sein „Spielzeug“ aus Einsparungsgründen wegnahm, fand die Ära des öffentlich-rechtlichen Klangversuchslabors ein schmuck- und glanzloses Ende. Ein Verlust, der erst jetzt, wenige Monate nach Edelhagens 100. Geburtstag im Juni 2020, in seiner ganzen Tragweite offenkundig wird.

Text
Reinhard Köchl
, Jazz thing 138

Veröffentlicht am unter Reviews

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