RIP: Matthias Winckelmann
Die Geschichte der Gründung von enja Records wurde schon oft erzählt. Wie die beiden Jazz-Fans Horst Weber, 1934 in Aachen geboren, und Matthias Winckelmann, 1941 in Berlin geboren und in Frankfurt aufgewachsen, vor gut 50 Jahren in München zusammensaßen, um eine Jazz-Plattenfirma gründen zu wollen. Wie sie den Namen für ihrer Firma, „European New Jazz“ (kurz: „enja“), fanden. Wie die beiden mit von Winckelmanns Vater geliehenem Geld ihre erste Platte mit dem damals in München lebenden Pianisten Mal Waldron, „Black Glory“, produzierten. Wie Weber und Winckelmann voller Enthusiasmus die Plattenläden in Deutschland anschrieben – und keine einzige Bestellung bekamen. Wie Winckelmann daraufhin 200 LPs in seinen VW Käfer lud und so lange durch Deutschland fuhr, bis alle Platten verkauft waren. Der gelernte Mode-Designer Weber und der studierte Volkswirt Winckelmann haben von der Pike auf gelernt, wie die Musikbranche funktioniert: dass es mehr braucht als nur gute Musik auf Platte zu pressen, dass vor allem Marketing und Vertrieb darüber entscheiden, ob sich ein Album „verkauft“ oder nicht.
Auch wenn der Firmenname anderes vermuten ließ, so machten amerikanische Jazzmusiker (und ja, es waren hauptsächlich Männer) den Großteil des Repertoires von enja Records der ersten 15 Jahre aus. Aufnahmen mit einem Archie Shepp sind darin ebenso zu finden wie mit Elvin Jones, Cecil Taylor oder Eric Dolphy – Ausnahmen wie Albert Mangelsdorff mit „Spontaneous“ oder Alexander von Schlippenbach mit „Payan“ bestimmten die Regel. Bemerkenswert war jedenfalls der Entdeckergeist, mit dem Weber und Winckelmann oftmals zu Werke gingen: „The Fourteen Bar Blues“ des amerikanischen Saxofonisten Bennie Wallace sorgte 1978 für Aufregung hierzulande, so wie auch „Live“ des Quartetts um den Gitarristen John Scofield im gleichen Jahr.
1986 kam es zum Bruch zwischen Weber und Winckelmann und sie würfelten um die bis dato erschienenen enja-Platten. Die Aufnahmen, die Winckelmann in den folgenden Jahrzehnten auf „seinem“ enja Records veröffentlichte, wurden dann globaler, europäischer und auch „deutscher“. Der libanesische Oud-Virtuose Rabih Abou-Khalil war ebenso dabei wie der italienische Trompeter Pino Minafra mit seinem Italian Instabile Orchestra, dessen Landsmann, der Klarinettist Gianluigi Trovesi oder der französische Bassist Renaud Garcia-Fons sowie die Deutschen Anke Helfrich (Piano), Rebecca Trescher (Klarinette) oder Uli Kempendorff (Saxofon).
Winckelmann setzte sich für jede*n seiner Künstler*innen ein und konnte einen im Gespräch stets davon überzeugen, dass eine aktuelle Produktion das jeweils wichtigste Ding der Welt sei. Jazz war für ihn Musik, die Menschen für Menschen interessieren konnte: „Das Impulsive, das On-the-Spot beim Jazz, das fand ich faszinierend“, hat er einmal gesagt. „Dass du plötzlich wusstest: Was ist das für ein Mensch, der das gerade spielt.“ Matthias Winckelmann ist am 19. Juni nach einer Operation in einer Münchner Klinik gestorben, er wurde 81 Jahre alt. Text Martin Laurentius & Rolf Thomas
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