Klaus Heidenreich
Jackpot, die Zweite
Jazz thing Next Generation Vol. 37
Jeder will da hin, doch nur einige wenige schaffen es. Was in Deutschland früher vor allem auf die Rundfunk-Bigbands zutraf, gilt mittlerweile auch für die „Jazz thing Next Generation“-Reihe. Dass Klaus Heidenreich gleich beide Hürden mit Bravour meisterte, hat keineswegs nur mit Glück zu tun. Denn der junge Posaunist klingt längst wie ein alter Hase. Und er steht erst am Anfang einer langen, spannenden Reise.
Der Lotto-Reflex. Einmal den ganz großen Coup landen, den Hauptgewinn abräumen, davon träumt insgeheim jeder. Viele haben es schon versucht und versuchen es immer wieder. Auch Jazzmusiker geben, gesicherten Informationen zufolge, regelmäßig mittwochs oder freitags ihren Schein ab. Spiel 77, Zusatzzahl, Super 6, Quicktipp, System-Lotto, die ganze Palette. Ihr Ziel: raus aus den Schulden, weg von der Abhängigkeit von mies bezahlten Gigs. Denn Arbeitsverträge mit Kündigungsschutz inklusive Sozialleistungen gibt es bislang nur bei den öffentlich-rechtlichen Bigbands. Wer dort unterkommt, der hat definitiv das große Los gezogen. Ein Sechser im Jazz-Lotto sozusagen.
Klaus Heidenreich gehört zu den Auserkorenen, die es geschafft haben. Als 26-jähriger Nobody erbte er vor gut zwei Jahren, frisch von der Hochschule, den Posaunenstuhl des großen Nils Landgren in der NDR Bigband. Ein absoluter Glücksfall für einen noch unbekannten Musiker. Und eine Bürde obendrein.
„Nö, eigentlich nicht so“, überrascht Heidenreich die übereifrigen Nachfrager, um dann die Antwort politisch korrekt zu vollenden: „An Nils kommt sowieso keiner heran. Niemand kann so spielen wie er. Warum sollte ich es also erst probieren? Als junger Musiker befinde ich mich sowieso noch auf der Suche.“
Im Übrigen sei er nicht alleiniger Nachfolger des bekannten Schweden, der mit Unterbrechungen vier Jahr lang dem Rundfunkorchester seine markante Stimme lieh, sondern teile sich diese Rolle mit dem Kollegen Dan Gottschall. Gleichwohl eine einmalige Chance. Heidenreich will in erster Linie lernen, Erfahrungen sammeln, musikalische Dialekte verinnerlichen.
„Klar bin ich in einer privilegierten Situation“, weiß der Posaunist nur zu genau. „Als ich die Stelle antrat, habe ich mir mal spaßeshalber ausgerechnet, dass ich da eigentlich noch 43 Jahre lang mein Auskommen haben könnte, vorausgesetzt, dass es so einen Klangkörper überhaupt so lange gibt. Aber eigentlich will ich das gar nicht. Mir macht es großen Spaß, dort zu spielen. Das sind alles tolle Musiker, und ich möchte natürlich den Ansprüchen in jeder Hinsicht gerecht werden. Allerdings ist es mir genauso wichtig, meine eigenen musikalischen Ideen in die Tat umzusetzen.“
Ein normaler Jazzmusiker-Reflex. Doch auch dafür fehlt es häufig an Gelegenheiten. Insofern darf man Klaus Heidenreich schon als jemanden bezeichnen, auf den Fortuna mehr als nur ein Auge geworfen hat. Denn die „Jazz thing Next Generation“-Reihe gilt seit 2004 ebenfalls als eine Art Jackpot, die perfekte Plattform für einen rasanten Karrierestart. 36 Mal bekamen junge Talente dort bislang die Chance, sich und ihr kreatives Potenzial entsprechend ins Licht zu rücken. Nun folgt also einer, der sowohl in Hamburg als auch in Köln lebt und einen keineswegs kleinen Teil seiner Zeit auf der Bahnstrecke zwischen Elbe und Rhein liegen lässt. Fast logisch, dass er seine Debüt-CD deshalb „Travel Notes“ (Double Moon/SunnyMoon) nennen musste. Gewissermaßen Ausdruck eines dringenden Nachholbedürfnisses. In der Schule durfte Klaus nie bei einem Austauschjahr mitmachen, Rucksacktouren oder Pflichtaufenthalte für europäische Jazzer in New York waren ebenfalls kein Thema. „Dabei verreise ich eigentlich schon ganz gerne“, macht der Posaunist aus seiner Leidenschaft keinen Hehl.
Den Titel seines Albums interpretiert Klaus Heidenreich dennoch eher als musikalische Reisenotizen seiner selbst sowie seiner Partner Sebastian Sternal am Piano und Rhodes (ebenfalls einer aus der JTNG-Reihe), Robert Landfermann am Bass und Jonas Burgwinkel an den Drums. Die vier hatten das Programm als Diplomkonzert an der Hochschule in Köln einstudiert und waren unmittelbar danach im Sommer 2010 ins Studio gegangen. Der Abschluss einer Etappe und gleichzeitig der Beginn einer neuen. „Es ist ein Abenteuertrip geworden“, analysiert der Reisende, der mit elf über die Dixieland-Leidenschaft der Eltern zur Posaune kam (wie eigentlich sonst?). Dabei werden nicht bloß touristische Ziele abgehakt, sondern wird Schönheit auch dort aufgespürt, wo sie auf den ersten Blick keiner vermutet. „Wir sind heute enorm vielen musikalischen Reizen ausgesetzt. Da prasselt eine Menge auf uns ein. Ich wollte das alles auf einen Nenner bringen.“
Wobei Heidenreich schnell merkte, dass er dann am weitesten kommt, wenn er ganz nah bei sich bleibt. Bei seinem abgeklärten, eleganten, warmen Ton und seinem inneren Navigationsgerät, das jede Bruchstelle in harmonischen Strukturen ertastet und sich in der Vergangenheit wie in der Gegenwart zurechtfindet. Ein erstaunlich reifer Jungspund. Einer, der Nils Wogram verehrt, Albert Mangelsdorff bewundert und selbst das Zeug dazu hat, in deren Fußstapfen zu treten. Denn für Klaus Heidenreich passt das alte Sprichwort wie der Plunger auf die Posaune: Das Glück kommt nur zu den Tüchtigen.