Julian & Roman Wasserfuhr

Bier & Jazz

Jeder Jazzmensch kennt die gängigen Lockdown-Bewältigungsstrategien: In leeren Clubs Onlinekonzerte spielen, einen Job auf dem Bau annehmen oder einfach warten, bis sich der Pulverdampf verzogen hat. Alles keine Optionen für Julian und Roman Wasserfuhr. Die Brüder bauten lieber ihr zweites berufliches Standbein aus – das als Brauereibesitzer. Außerdem bastelten der Trompeter und der Pianist an einem höchst individuellen musikalischen Mosaik, das viele überraschen dürfte.

Julian und Roman Wasserfuhr (Foto: Nikolas Müller)

Schnaff – lustiger Name. Aber eine größere Geschichte steckt nicht dahinter. „Irgendwann kam das mal in lustiger Runde auf“, erzählt Roman Wasserfuhr. „Und weil man das gut rufen kann, haben wir ihn behalten.“ Seit 2014 experimentieren die Brüder nun schon in ihrem Heimatort Hückeswagen im Bergischen Land an ihrem Bier, zuerst aus einer bloßen Laune heraus und zum erweiterten Eigenverbrauch, denn neben dem Jazz gehört ihre große Leidenschaft dem edlen Gerstensaft. Aber seit Corona unser aller Leben auf den Kopf stellte, geschieht dies zunehmend professionell. „Nun gibt es neue Rezepte, einen Onlineshop und einen weltweiten Vertrieb. Unsere Renner sind ein Pale Ale und ein Brown Ale“, preist Roman, sich des schleichwerbenden Nebeneffektes solcher Aussagen durchaus bewusst, das zweite Herzensprodukt an. Gerade deswegen eilt ihm auch der Ruf voraus, der „Außenminister“ der Wasserfuhrs zu sein.

Hopfen und Malz, da ist sich der Pianist sicher, seien im Vergleich zu Streamingkonzerten die wesentlich bessere Alternative gewesen. „Auch wegen dieses Umsonsteffektes, bei dem alles irgendwie verschleudert wird und sich das womöglich in Zukunft als adäquater Ersatz in den Köpfen etablieren könnte.“ Also wehret den Anfängen! Denn das Gute braucht Raum. Und Zeit. Ideen müssen reifen, Konzepte und Rezepte ausprobiert werden, getreu einem Satz des kolumbianischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila, der Julian und Roman nicht mehr aus dem Kopf ging: „Wenn wir wollen, dass etwas Bestand hat, sorgen wir für Schönheit, nicht für Effizienz.“

Insofern hätte es für die Perfektionierung des Schnaff-Bieres und die Entstehung des neuen, siebten Wasserfuhr-Albums „Mosaic“ (ACT/edel) keinen besseren Zeitpunkt geben können. „Das ist für uns die besonderste Platte, die wir je gemacht haben“, treibt Roman Wasserfuhr das Erwartungslevel in schwindelerregende Höhen. Auch weil ursprünglich überhaupt keine Produktion geplant war. Aber mit dem Cut stellten sich Ruhe sowie eine wahre Flut von Ideen ein, die so während der üblichen Routine wahrscheinlich nie das Tageslicht gesehen hätten.

„In den vergangenen zwei Jahren haben wir 42 Kompositionen geschrieben“, wundert sich der Diplomat an den Tasten. Diese umfassten unterschiedlichste Gedanken und Stimmungen einer Zeit, die sich die Wasserfuhrs ganz bewusst nahmen, um über die Welt, die Gesellschaft, über Authentizität, Freundschaft und Familie zu reflektieren, ein ständiges Auf und Ab, aber auch spannende stilistische Neuorientierungen, die von Schlenkern in Richtung Film-Soundtracks („Rêveries“) über entschleunigte Grunge-Songs („Smells Like Teen Spirit“) bis hin zu HipHop-Anleihen („Never Hold Back“) reichen.

„Wir hatten außerdem genug Muse, wieder bewusst Musik zu hören und dabei Musiker wahrzunehmen. Einiges fanden wir ziemlich abgefahren und stellten fest, dass es wohl gut zu dieser oder jener Idee von uns passen würde. Also schrieben oder riefen wir einfach diese Leute an und fragten, ob sie sich vorstellen könnten, mit uns zu arbeiten. Dabei haben wir so viele positive Rückmeldungen erhalten, auch weil sie alle Zeit hatten.“

Darunter sind etwa der Steely-Dan-Drummer Keith Carlock, der Bassist Tim Lefebvre, der Gitarrist Martin Scales, der Cellist Jörg Brinkmann, die Tenorsaxofonisten Paul Heller und Tony Lakatos sowie der Rapper Harry Mack. Endlich mal kein festes Konzept, sondern eine Aneinanderreihung unterschiedlicher Klangfarben und Facetten, ohne dabei die eigene Handschrift über Bord zu werfen. Jeder Song passt zu einer Erinnerung, einem Erlebnis, einem bestimmten Menschen oder einem Musiker. „Zusammengesetzt ergibt dies für uns etwas ganz Großes!“

Die Wunderkinder von einst sind längst erwachsen geworden. Julian ist heute 34 und Roman 37. Getrennte Wege zu gehen, das sei laut dem Älteren zwar noch nie ein Thema gewesen, wohl aber die Frage, ob Musik auf Dauer das Richtige für sie wäre, gerade während der Coronakrise.

„Früher haben wir wirklich alles zusammen gemacht. Das ist jetzt nicht mehr ganz so. Jeder hat inzwischen seinen eigenen Bereich, die Geschmäcker verändern sich. Aber wir komponieren nach wie vor zusammen, und auf der Bühne und im Studio macht es jedes Mal wieder klick. Das passt dann perfekt!“

Denn Blut ist immer noch dicker als jedes selbst gebraute Bier.

Text
Reinhard Köchl
Foto
Nikolas Müller

Veröffentlicht am unter 145, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2025