Andreas Pientka Tentet
Was die Welt zusammenhält
Große Besetzungen sind selten in der „Jazz thing Next Generation“-Reihe, doch mit Folge 95 setzt der Leipziger Bassist Andreas Pientka nicht nur in dieser Beziehung ein Ausrufezeichen: Sein Tentet bringt – wie der Name schon sagt – gleich zehn Musiker zu Gehör. Doch es war ein langer Weg, bis die Musik von „Tiefe Nacht“ (Double Moon/Bertus) realisiert werden konnte.
Andreas Pientka stammt aus Datteln, einer Stadt am nördlichen Rand des Ruhrgebiets, in der er 1993 geboren wurde. Sozialisiert wird er zunächst mit Rockmusik, doch das ändert sich eines Tages. „Mit 15 habe ich in der Bigband der Dattelner Musikschule gespielt, und von da an ging es los“, erinnert er sich. „In der Rockmusik fand ich es immer langweilig, dass der Bass nur Achtel und Grundtöne spielen musste. Als ich ‚Sunday At The Village Vanguard‘ von Bill Evans gehört habe, fiel mir auf, wie virtuos Scott LaFaro gespielt hat und wie präsent der Bass sein kann. Auch Paul Chambers war ein großer Einfluss, und ich habe mich auf den Kontrabass verlegt. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich auf dem Kontrabass besser ausdrücken konnte.“
Nach Unterricht bei John Goldsby und Dieter Manderscheid beginnt er ein Jazzstudium an der Essener Folkwang Universität der Künste, bei dem Robert Landfermann zu seinen Lehrern gehört. Er spielt in verschiedenen Bands, unterhält ein eigenes Trio und ist Mitglied des BundesJazzOrchesters, doch irgendetwas scheint zu fehlen. Pientka interessiert sich immer mehr für die Grundlagen der Musik und kommt an der Klassik nicht mehr vorbei. „Ich nahm klassischen Kontrabassunterricht bei Gisèle Blondeau und kam mit dem klassischen Orchesterapparat in Berührung“, erzählt Pientka.
„An Jazz und Klassik haben mich die Ursprünge interessiert, deshalb wollte ich beide zusammenbringen.“
Die Musik, die auf „Tiefe Nacht“ zu hören ist, hat der Bassist zunächst für Orchester geschrieben, doch die musikalische Umsetzung verzögert sich. „Corona kam dazwischen, und ich habe nach einer geeigneten Besetzung gesucht, die diese Musik umsetzen kann“, erinnert er sich. „Ich hatte das Gefühl, dass Bläser besser zwischen Klassik und Jazz changieren können und vor allem auch improvisieren. Außerdem bin ich durch mein Umfeld in JugendJazzOrchester und BundesJazzOrchester geprägt, in dem Bläser eine große Rolle spielen.“
Gesagt, getan: Er stellt sein Tentet mit zwei Trompeten, einer Posaune, einer Tuba und drei Saxofonen zusammen – ab und an greift auch noch eine Flötistin ins musikalische Geschehen ein –, Klavier, Schlagzeug und Pientkas Bass machen das Ensemble komplett. Für Pientka ist die Band ein Ausdruck seiner musikalischen Suche.
„Es geht im Jazz ja um die Suche nach der eigenen Stimme“, stellt er fest. „Ich war immer an vielen unterschiedlichen Dingen interessiert, hatte dabei aber immer die Kernfrage nach meinem musikalischen Platz. Das hat mich angetrieben. Ich bin von einer gewissen Rastlosigkeit bestimmt und hatte nie das Gefühl, meinen Platz gefunden zu haben. Diese Suche hört anscheinend nie auf und führt einen dazu, immer neue Dinge auszuprobieren und sich weiterzuentwickeln.“
Wer die dunkle und drängende Musik hört und vor allem auch die Titel der Stücke aufmerksam liest – neben dem Titelsong sind noch „Was die Welt im Innersten zusammenhält“ und die dreiteilige Suite „Die Tat ist alles, nichts ist der Ruhm“ zu hören –, dem wird wohl schnell klar, welches Werk bei der Entstehung der Musik eine wichtige Rolle gespielt hat. „Ich habe nach Inspiration für meinen Kompositionsprozess gesucht und bin dabei auf Goethes ‚Faust‘ gestoßen“, berichtet Pientka. „Mich interessiert die Frage nach den Elementen, die Musik zusammenhalten, und da liegt die Verbindung zu ‚Faust‘ ja auf der Hand. Schon bei Mozart kann man Akkorde entdecken, die für den Jazz typisch sind. Diese Suche nach dem Ursprung fand ich besonders interessant. Deshalb kann ich mich mit ‚Faust‘ identifizieren, der auch nicht weiß, wo sein Platz auf der Welt ist.“
Zumindest ein Plätzchen hat Pientka mit dieser Musik für sich gefunden, und mit Pianist Niklas Roever und Schlagzeuger Alex Parzhuber hält er die bläserlastige Welt von „Tiefe Nacht“ zusammen. „Klavier und Schlagzeug liefern eine Art Grundgerüst und agieren eher unterstützend“, definiert Pientka die Rolle der Rhythmusgruppe, betont aber auch, wobei er sich selbst bescheiden ausnimmt: „Beide sind sehr, sehr wichtig, um Dynamik klarzumachen und diesen speziellen Jazz-Vibe mit einzubringen.“
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