Prohibition
Am Mittwoch ist Silvester, seit vielen Jahren eines, das ich zu Hause mit Freunden verbringen werde. Zunächst hätte ich bei einer Band spielen können, die für eine Prohibitionsparty gebucht war, doch dann verlangte man von mir, dass ich als einzige Frau in der Band zusammen mit dem Wirt und Veranstalter den Gästen die Tanzschritte zum Charleston beibringen sollte. Tanzen kann ich nicht, dazu bin ich zu ungelenk. Einen Klassiker der Charlestonzeit wie Glad Rag Doll oder einen Stomp wie Black Bottom spielen macht mir Spaß, Clownspielen nicht. Nun bin ich mangels Willen zur Vielseitigkeit ohne Gig.
Das macht mich schon nachdenklich. Könnte ich mich nicht besser dem Markt anpassen? War mein Verhalten kapriziös? Sind Prohibitionspartys nicht genau das, was in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit gefragt ist? Wenn ich nun nicht nur Saxophonistin wäre, sondern gleichzeitig auch als Eintänzerin gebucht werden könnte?
Das Alkoholverbot in der Prohibitionszeit sollte die Kosten für Gefängnisse und Armenhäuser reduzieren helfen. Frei nach der Logik: Wer nicht trinkt, der begeht auch keine Verbrechen und liegt der Allgemeinheit nicht durch Daueraufenthalte in staatlich finzanzierten Bleiben auf der Tasche. Die Bürger sollten sich klaren Kopfes gottgefällig dem Wirtschaftswachstum widmen. Wem das zu trocken war, der konnte heimlich feiern, wie so unvergesslich in Billy Wilders „Some like it hot“ in der Szene im Hinterzimmer des Beerdigungsinstitutes „Mozarella“ gezeigt wird.
Jetzt scheint es eher so zu sein, dass man sich vor dem Beginn der schlechteren Zeiten noch einmal dem nostalgischen Augenblick des rauschhaften Feierns hingeben möchte, dabei einer Zeit huldigend, in der ein Fest noch kein geglättetes Event war. Davon abgesehen feiert ein Londoner Restaurant schon seit Jahren Silvester im Stil der Prohibitionszeit, Hochprozentiges gibt es in Tassen, das Publikum kleidet sich mehr oder weniger stilecht. Auch in Dresden bedient man sich des historischen Mottos, leider in der Umsetzung nicht wie im legendären New Yorker Cotton Club der 20er Jahre, mit großer Band und Tänzerinnen, sondern mit einem Grammophon-DJ.
Wer weiß, was kommt? Selbst große Banken schaffen es nicht, sich selbst vor der Pleite zu retten, wie soll ich das hinbekommen? Ohne Silvestergage durch den Januar kommen? Die fransig hängenden Flapperkleider gibt es in jedem Faschingskatalog, der Trend ist schon fast eine Massenbewegung. Wie kann ich noch auf den Zug aufspringen?
Vielleicht wird es ja auch nicht so schlimm. Anders als 1929 ist man ja Milton Freemans Rat gefolgt und hat den Markt mit frischem Geld versorgt, damit es nicht zu einer Depression wie in den 30er Jahren kommt. Vielleicht gibt es ja bald wirklich für jeden einen Konsumgutschein. Ich würde den dann in einen Charleston-Kurs investieren. Oder in Tanzschuhe, falls der Gutschein nicht direkt in Bildung eingetauscht werden darf. Da wird ja eher gespart. Auch hat mir ein wohlmeinender Kollege ein Formular gemailt, auf dem ich meinen Anteil an den 500.000.000 Euro vom Bundesfinanzminister anfordern kann. Das sind um die 6.000 Euro. Mit denen werde ich eine Agentur für Prohibitionsfeiern gründen.