Klatschologie

Pit HuberZur Abwechslung war ich jetzt mal in einem Klassikkonzert. Eine ziemlich triste Angelegenheit, muss ich sagen. Alle steckten in diesen förmlichen schwarzen Klamotten, hielten sich am Instrument fest (auf der Bühne) oder am Programmheft (vor der Bühne) und bewegten sich dabei betont rückensteif und würdevoll. Jeder und jede drückte sich schließlich auf seinen/ihren vorgesehenen Platz – und dort sitzt man dann eben für lange Zeit und tut nur, was man tun soll: musizieren oder rezipieren. Bloß nicht spontan sein! Bloß nicht vor Begeisterung mittendrin schreien und trampeln! (Dafür zwischen den Sätzen etwas verlegen hüsteln!) Es war wirklich peinlich wie auf einer Beerdigung. Eine uralte Musik wurde zu Grabe getragen und im Foyer gab’s dazu einen mageren, überteuerten Leichenschmaus. Dann ging man wieder.
 
Ach ja, eines ist anders als auf dem Friedhof: Wenn die Musik in der Grube liegt, darf man klatschen. Aber erst nach dem letzten Satz! Da habe ich zunächst schon gestaunt, dass diese Klassikhörer immer genau wissen, wann ein Stück wirklich ganz zu Ende ist. Zählen die alle ständig die Sätze mit? Auch geht der Klassikbetrieb ja neuerdings enorm mit der Zeit und verschränkt jetzt gerne verschiedene Werke miteinander, spielt zum Beispiel einen Satz von Bach und dann einen Satz Schostakowitsch und dann wieder Bach. Wer behält da die Übersicht? Der Trick ist: Man muss auf den Pfarrer mit dem Taktstock achten! Erst wenn der erschöpft in sich zusammensackt, ist die Leiche endversorgt. Dann darf man klatschen.
 
Da stellt sich natürlich die Frage: Wie klatscht man eigentlich im Jazz? Witzbolde werden sagen: Auf der 2 und der 4. Nein, ich meine natürlich den Herzenslohn des Musikers, den zustimmenden Beifall. Darf man zum Beispiel am Ende eines Stücks ins ausklingende Becken hinein schon „Yeah!“ schreien und losklatschen? Man kann damit durchaus böse Blicke ernten, wenn es sich zum Beispiel um eine mit Pietät belastete Ballade handelt („I Remember Clifford“, „Goodbye Pork Pie Hat“), die noch ein bisschen ausatmen will. Und Vorsicht, es gibt es ja auch „Scheinschlüsse“: Da ist das Stück zu Ende, geht aber überraschend doch weiter. Eine Art Fangschlinge für ungeduldige Losklatscher. Wenn es keine Nicht-an-sich-Halter gäbe, hätten Scheinschlüsse überhaupt keinen Sinn.
 
Die interessanteste klatschologische Frage im Jazz ist der Szenenapplaus, der Beifall für ein Solo. Früher hat man ein fachkundiges Jazzpublikum genau daran erkannt, dass es nach einem gelungenen Solo seine Begeisterung nicht mehr zügeln konnte. Man unterscheidet dabei das spontane Losklatschen, das aus reiner Ekstase kommt, sozusagen der Reflex des Affen auf den Zucker, und das kennerische Respektklatschen, das ein besonders kunstvoll strukturiertes Solo-Statement würdigt, dessen tiefinnere Schönheit der breiten Jazzmasse natürlich verborgen blieb. Das Klatschverhalten ist die Visitenkarte des Jazzclub-Besuchers. Ein kurzer Blick zum Nachbartisch lohnt sich.
 
Auch wenn man beim Solo-Applaus mehr die Handflächen benutzt, ist doch auch Fingerspitzengefühl gefragt. Denn so ein Applaus zwischendurch verdirbt schon mal den Einstieg des folgenden Solisten, den Wiedereinsatz des Themas oder die verfeinerte Empfindung eines ästhetizistischen Pianissimos. Wer nach einem besonders lyrischen, leisen Solo begeistert losschreit und lostrampelt, macht sich nicht nur Freunde. Siehe: Grundlagen der Jazzethik, Band 1.
 
Bei dieser Gelegenheit auch mal ein Appell an die Arrangeure: Das Aufbrechen der bewährten Solostruktur durch schnelle Wechsel zwischen Ensemblespiel und Improvisation sollte künftig vermieden werden, denn es bringt den Klatscher in ein echtes Dilemma. Man klatscht zu früh, man klatscht zu spät, schlimmstenfalls kommt man überhaupt nicht dazu. Womöglich ist es ausgerechnet der ohnehin schon bedröppelt guckende Bassist, der dann leer ausgeht, weil er sein Solo zu irgendwelchen Riff-Teilen spielen musste und keiner im Publikum wusste, wann es zu Ende ist. Das ist doch überhaupt das Schlimmste: wenn der eine Solist Applaus kriegt und der andere nicht! Das kann bei einem Musiker lebenslange Neurosen verursachen.
 
Ein Wort noch zum Jazzkonzertabschlussbeifall, auch Zugaben-Applaus genannt. Da gibt es immer wieder diese Tendenz zum rhythmischen, sich beschleunigenden Einheitsklatschen. Ganz schlimm! Eines Jazzpublikums unwürdig! Für einen standesbewussten Musiker Grund genug, jede Zugabe zu verweigern! Ich sage es ganz deutlich: Jede reformerische Initiative, das Zugaben-Erklatschen im Jazzclub in eine ansprechende, polyrhythmisch synkopierte, jazzaffine Form zu bringen, findet meine volle Unterstützung.
 
Pit Huber

Veröffentlicht am unter Blog thing

STOP OVER 3 - A Residency Program

2 Kommentare zu „Klatschologie“

  1. Hallo!!

    ich denke da hat Pit Huber ein ganz heißes Eisen angepackt!

    Früher war ich auch ein Solo-Klatscher, musste aber feststellen, dass insbesondere im großen Rahmen so ganze Stücke „zerklatscht“ werden, weil das Publikum viel zu träge reagiert und damit immer ins nächste Solo „reinklatscht“.

    Am allerschlimmsten aber sind dijenigen Ignoranten, die – obwohl an der Harmonie klar zu erkennen ist, dass das Stück eben noch nicht zu Ende ist – bei jeder Pause anfangen zu klatschen – hauptsache ich bin der erste!! – ich erinnere mich an eine Veranstaltung in Leverkusen, bei der die Sängerin irgendwann nur noch abwinkte, um die Zuschauer vom ständigen „in der Pause klatschen“ abzuhalten.

    Klar, dass man ab und an auch das Ende „verpasst“ also gepennt hat, aber bestimmte Besucher praktizieren diese Methode mit einer solchen Penetranz, dass man vielleicht doch „Applaus“-Schilder hinter der Bühne anbringen sollte…

    Jedenfalls ist die Quote der „in jeder Pause Klatscher“ für mich immer ein maßstab, ob eher Kenner oder eher Massenpublikum zugegen ist.

    Patrick

  2. Ich persönlich empfinde das Klatschen als störend. Oft findet es eher aus Höflichkeit statt, fängt meist zu spät an und hört leider auch zu spät auf. Man kann auch anders seinen Respekt oder seine Bewunderung ausdrücken, bspw. indem man bedächtig lauscht, anstatt sein Bier während der Stücke zu bestellen oder seinen Nachbarn während der Soli vom Shopping mit dem Partner zu erzählen.