Style

Lorenz HargassnerVon Volkswagen gibt es jetzt neue „Style“-Sondermodelle – auf großen Plakatwänden habe ich Werbungen dafür gesehen, mit einem Karl-Lagerfeld-Double, das eine Foto-Kamera in der Hand hält und nur von hinten zu sehen ist. Oder ist er es selbst? Jedenfalls soll dieses Element wohl für den nötigen Glamour sorgen.

Es ist schon interessant, was einer der größten Industriezweige Deutschlands so für Ideen entwickelt, um aufzufallen. Dabei sehen die neuen Autos doch alle gleich aus! Egal ob Opel, Ford, Skoda, BMW, Audi, Mercedes oder wie sie nicht alle heißen, es ist sehr schwierig geworden, am Design unterschiedliche Marken oder gar Typen zu erkennen.

Dabei erzählt meine Mutter immer, dass ich, schon bevor ich sprechen konnte, sämtliche Fahrzeuge am Straßenrand bis aufs kleinste Detail identifizieren konnte (also z.B. Volvo 240 GL oder Nissan Datsun – das waren noch Autos). Sie waren ja auch eindeutig an äußeren Erscheinungsmerkmalen zu erkennen. Die Formen und Farben waren viel facettenreicher.

In gewisser Weise lässt sich das aber auch auf die Menschen übertragen. Ich vermisse die „Typen“ von früher – echte Charaktere mit Ecken und Kanten, nicht dieses runde, ovale, glatte. Menschen wie ein Display. Die Einzigartigkeit eines Touch-Screens. Als ich vor ein paar Wochen Udo Lindenberg bei „Wetten Dass…?“ gesehen habe, habe ich zuletzt wieder einen solchen echten Typen gesehen. Einer, der eben auch selbst wirklich Style hat.

Miles Davis war auch so einer. Er war sogar eine echte Stilikone. Auch Leute wie Thelonious Monk oder Ornette Coleman haben ihre Aussage mit jeder Pore versprüht. Dennoch gab es wohl auch damals spannende und sozusagen mehr „angepasste“ Musiker.

Vor kurzem habe ich einem Studenten von mir ein Stück von einem Sonny-Stitt-Sampler vorgespielt. „Walkin‘“, ein Blues, neben Stitt spielt der Tenorsaxofonist Gene Ammons mit. Dieser eröffnet auch die Solo-Section mit einem Blues-Chorus, der diesen Namen allemal verdient.

Übersetzt auf eine andere Zeit stelle ich mir dabei immer einen Proleten im Opel Manta vor, mit Fuchsschwanz am Autoschlüssel und allem sonstigen Zubehör. Der linke Ellenbogen wird lässig aus dem Fenster gehalten und die rechte Hand streichelt das Lenkrad. Um bei den Autos zu bleiben. Genauso gut könnte man sich einen Rapper aus der Bronx vorstellen, der jemanden gerade ziemlich anmacht. „Willst Du Streit, Alter?“ In jedem Fall macht Gene Ammons dermaßen eine „Ansage“, dass man Bescheid weiß.

Danach kommt der eigentliche Leader, Sonny Stitt, und sein Solo verblasst im Vergleich mit Ammons zu einem belanglosen, etüdenhaften Bebop-Geplänkel. Im wahrsten Sinne des Wortes, also negativ gesprochen, „amtlich“, den Anforderungen des Zeitgeistes entsprochen. Wie ein Florettfechter gegen den schweren Knüppel des Blues.

Nicht, dass ich falsch verstanden werde – ich mag Sonny Stitt, sogar sehr gerne. Wie auch viele anderen typischen Bebop-Spieler, die den Stil dieser Zeit so aufgesogen haben, dass sie ihn schon total zu verkörpern scheinen. Lou Donaldson (eben erst in der aktuellen Printausgabe von Jazz thing porträtiert) ist da ja auch so ein Beispiel. In gewisser Weise spielen diese Protagonisten den Bebop ja viel purer, unverfälschter, weniger durch die eigene Persönlichkeit „verfremdet“ wie bei Charlie Parker.

Aber genau das ist es eben, was fehlt. Was die Musik wirklich spannend gemacht hat. Und auch der Grund für ihren Erfolg gewesen sein mag. Gerade diese „Typen“ in der Musik, die so eine „Ansage“ gemacht haben, waren ja auch sehr erfolgreich und haben dadurch eine große Aufmerksamkeit auf den Jazz im allgemeinen gezogen.

Jedenfalls habe ich bei besagtem Solo von Gene Ammons das Gefühl, dass es unvergleichlich ist. Man kann es in keiner Weise kritisieren, schon gar nicht nach musikalischen Kriterien. Da bringt einfach einer etwas auf den Punkt. Das folgende Solo von Sonny Stitt ist vergleichsweise zwar viel virtuoser und komplexer. Aber da es nicht zu hundert Prozent unverwechselbar ist, wie das andere, muss es sich an anderen ähnlichen Soli messen lassen. Und bleibt dadurch irgendwie mittelmäßig, ist irgendwie nicht so besonders wie das andere.

Wenn ich Gene Ammons so höre, sehe ich auch sofort einen Typen vor mir mit Hut und Zigarre im Mundwinkel. Er hat einfach „Style“, ist auf jeden Fall zumindest eine klangliche Stilikone. Der amerikanische Jazzkritiker Ira Gitler meinte einmal, er habe „einen Sound wie ein 15-stöckiges Hochhaus“. Auf jeden Fall ist der Sound einzigartig, unverwechselbar, individuell.

Ich habe mit meinem Studenten darüber gesprochen, dass ich glaube, dass es im Jazz (und natürlich nicht nur dort) auf „Style“ ankommt. Darauf, dass man ein „Typ“ wird – oder besser gesagt: zu dem stehen muss, was oder wer man ist. Er meinte darauf, „ja, man muss schon seine eigene Stimme finden“. Aber diesen Satz habe ich schon so oft von jungen Jazzmusikern gehört, dass er nichts eigenes mehr haben kann.

Auch in Deutschland waren die erfolgreichen Jazzmusiker starke Persönlichkeiten mit einem eigenen Stil, auch abseits der Bühne. Leute wie Klaus Doldinger, Albert Mangelsdorff oder Wolfgang Dauner haben alle ihre Duftmarke hinterlassen, haben ein Alleinstellungsmerkmal durch ihre Art. Heute wird das schon schwieriger. Heute sind es eben eher die hemdsärmeligen, singenden Trompeter, die coolen Saxofonisten, die Pianisten mit bunten Turnschuhen, die Aufmerksamkeit erregen, die aber nicht mehr solche „Typen“ sind, wie früher, eher im Gegenteil.

Die erfolgreichen Musiker sind heute jedenfalls deutlich näher beim Pop. Ist ja auch logisch, so erreicht man eben auch ein Publikum, dass sich nicht für Jazz interessiert. Aber selbst in der Popmusik gibt es ja nicht mehr solche starken Charaktere wie früher – man vergleiche nur mal Mick Jagger mit Bruno Mars oder Madonna mit Lady Gaga. Na gut, bei letzterer gibt es vielleicht erste Annäherungen der neuen Generation. Aber Ausnahmen wie diese, die ja auch als „Skurrilität“ eingestuft wird, bestätigen doch nur die Regel.

Und das verstehe ich nicht. Geneigter Leser, kannst Du mir da weiterhelfen? Warum meinst Du, ist uns „der Charakter verloren gegangen“? Sind wir eine gleichgeschaltete Gesellschaft, die sich Protagonisten für ihren Opportunismus sucht? Oder ist die Globalisierung, die totale gleichzeitige Verfügbarkeit der Informationen und des scheinbaren „Weltwissens“ der Grund für die aktuelle Stromlinienförmigkeit? Geht’s uns zu gut, um uns an etwas zu reiben?

Ich freue mich über Eure Kommentare, Anregungen und Ideen! It’s a matter of style…

Veröffentlicht am unter Blog thing

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3 Kommentare zu „Style“

  1. Hallo Lorenz,

    grundsätzlich bin ich da mit Dir auf einer Linie!

    Zwei Dinge möchte ich zu bedenken geben:

    1) Man kann es nicht „machen“, ein „Typ“ zu sein, und es ist auch zwecklos, als Lehrer auf Schüler diesbezüglich motivierend einwirken zu wollen a la „Trau Dich, mehr ein Typ zu sein“!
    Ein „Typ“ ist einfach ein Naturereignis – wie andere Einmaligkeiten wie z.B. der Grand Canyon oder der Citroen DS.
    Und der „Typ“ ist ja gerade dadurch so hervorstechend, daß er eben besonders und selten ist! Wären viel mehr Leute ein „Typ“, würde das Phänomen „Typ“ irgendwann bedeutungslos werden!!
    Die berühmten „Typen“ haben nicht irgendwann beschlossen, mehr „Typ“ zu sein, sondern sie waren einfach so, wie sie waren, und machten das, was sie liebten. Eines Tages sagte dann erstmals jemand anders: „Voll der Typ, der da!“
    Der Ratschlag an Schüler /Studenten kann also immer nur lauten: Mach wirklich das, woran Dein Herz hängt, und schau nicht darauf, was andere (oder gar „der Markt“) darüber denken.
    Und beim Blick auf früher übersehen wir leicht, daß uns heutigen schließlich nur die sehr Hervorstechenden, die den Test der Zeit bestanden haben, bekannt sind, während die allermeisten Musiker, die halt nur Durchschnitt waren, vergessen sind! So entsteht der falsche Eindruck, daß es früher so viel mehr individuelle Talente gab!

    2) Die Stromlinienförmigkeit erwächst meines Erachtens aus a) Angst (außenvor zu sein, nicht gut genug zu sein, nicht genug Geld zu verdienen etc.) und b) der Tatsache, daß heutzutage immer mehr Leute (!) Jazz machen, von denen natürlich die allermeisten höchstens durchschnittliche Begabung und Leidenschaft mitbringen. Dies hat dazu geführt, daß, um auch eigentlich recht unbegabte Spieler OK klingen zu lassen, bestimmte pädagogische Klein-Fritzchen-Konzepte ersonnen wurden (bestimmte Vermittlungsformen der Akkord-Skalen-Theorie, „Spiel mal die Mollpentatonik über den Blues“, Einheits-Lefthand-Voicings, Lick-Nachspielerei als Ersatz für melodische Erfindungskraft etc.), die zwangsläufig ein Gleicher-Klingen zur Folge hatten / haben. Früher haben es schließlich nur ziemliche Freaks gewagt, so einen unbürgerlichen Beruf wie Jazzmusiker zu ergreifen, heute kann jeder Hans und Franz es „studieren“!
    Gibt bestimmt noch weitere Faktoren, aber bevor das hier ein Roman wird, mach ich mal Schluß ;-)

    LG,
    Christoph

  2. Ach ja, eins würde ich gerne noch ergänzen: Ich begleite schon seit 1993 immer den „Jugend Jazzt“-Wettbewerb in Niedersachsen. Damals gab es noch nicht allerorten Jazzlehrer, und daher gab es auch recht viele Teilnehmer, die zwar manchmal fragwürdige instrumentale / theoretische Grundlagen hatten, aber mit so krunkeligen selbstausgedachten Stücken und Arrangements ankamen. War nicht immer „gut“, aber unterhaltsam, und irgendwie spürte man kreative, originelle Ansätze!
    Heute wissen die Teilnehmer fast immer, was man „können muß“ als angehender Jazzmusiker, und daher ist der obengenannte Spielertyp quasi ausgestorben!

  3. Gene´s Solo ist der absolute Oberhammer.

    Ich denke, Jazz zu „lernen“ war ohne die Existenz von Jazzstudiengängen einfach unbequemer. Deshalb gab es damals mehr Jazzmusiker die durch ihre Unvergleichbarkeit aufgeregt und polarisiert haben (beides absolut im positiven Sinne).