DJU-Brief: Kein ÖRR ohne Jazz!
Eigentlich hat man gehofft, dass die ARD als ein durch die Gebühren der Allgemeinheit finanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk aus den Skandalen der vergangenen Jahre gelernt hat. Als zum Beispiel die rbb-Intendantin Patricia Schlesinger wegen Untreue, Vorteilsnahme und Vetternwirtschaft aller Ämter enthoben und fristlos entlassen wurde. Oder als der Norddeutsche Rundfunk den Theologen Stephan Reimers mit einer Mitarbeiter/-innen-Studie beauftragt hat, weil die Beschwerden über ein miserables Betriebsklima auch und gerade in den Redaktionen des NDR immer lauter geworden sind. Da hatte man eigentlich gedacht, dass die Granden in der ARD all das vielleicht doch auch als Schuss vor den Bug wahrgenommen haben könnten. Doch Pustekuchen: Wie seit Jahr und Tag üblich haben die Intendant/-innen wieder mal hinter verschlossenen Türen getagt, um über weitreichende Reformen „ihrer“ ARD zu diskutieren. Die Ergebnisse dieser Tagung wurden Mitte Juni in einer gemeinsamen Erklärung bekannt gegeben. Darin ist auch deutlich geworden, dass das Beschlossene wie immer „top down“ durchgesetzt werden wird. Partizipation, Transparenz? Fehlanzeige.
Dabei gehen die Pläne der ARD-Intendanzen weit über eine normale Programmreform hinaus. Mantra-artig hat man immer wieder betont, wie sehr die ARD zukünftig noch mehr sparen müsse. Deshalb denke man über Synergien nach. Diese Synergien sehen nach den Vorstellungen der ARD unter anderem so aus, dass man bei den Kulturradios und den Infowellen die Abendstrecken zusammenlegen will. „Das Gemeinschaftsprogramm werde ab 20 Uhr je nach Wochentag thematisch wechselnd der Norddeutsche Rundfunk maßgeblich gestalten – unterstützt von den Häusern Rundfunk Berlin-Brandenburg, Bayerischer Rundfunk und Mitteldeutscher Rundfunk, sagte NDR-Intendant Joachim Knuth am Freitag zur Rundfunkratssitzung. Die Themen, die man am Abend setzen wolle, kreisen um Dialog, Information und Sport“, hieß es am 1. Juli im Spiegel über den Umbau der Infowellen.
Ähnliches hat man mit den ARD-Kulturradios vor, wie die Kulturchefin vom NDR, Anja Würzberg, im best-schönsten Marketingsprech erläutert: „NDR Kultur möchte sich gerne in diesen Reformprozess reinstellen, und wir wollen für Sie ein noch besseres Programm herstellen als das, was Sie sowieso schon von uns gewöhnt sind. Das heißt konkret, dass wir gerne dafür sorgen wollen, dass die kulturjournalistische Berichterstattung, die wir Ihnen jeden Tag zur Verfügung stellen, nicht nur aus dem Gebiet Norddeutschland kommt, sondern dass wir Sie besonders am Abend mit den Highlights aus ganz Deutschland versorgen. Wir sind regional, wollen regional bleiben, wir legen einen großen Schwerpunkt auf die regionale Kulturberichterstattung, vor allem zwischen 8 und 20 Uhr – und danach kriegen Sie die Highlights aus der ganzen ARD von uns: Das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Sir Simon Rattle oder die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen aus der Elbphilharmonie – auf jeden Fall bekommen Sie von uns das Beste von allem.“
Natürlich wird von diesem Umbau der ARD-Kulturwellen auch der Jazz betroffen sein, der nahezu ausschließlich in den Stunden zwischen 20 Uhr und Mitternacht im Programm zu finden ist. Von wenigen Kompetenzzentren ist die Rede, von denen aus die ARD dann mit Jazz und improvisierter Musik versorgt werden soll. Im Gespräch dafür sind der NDR, der WDR und der BR. Außerdem wird gemunkelt, dass man den Jazz ins Digitale verschieben möchte – angeblich würden gerade erste Konzepte dafür geschrieben. Ob das auch über die Jazz-Kompetenzzentren abgewickelt werden soll oder nicht, darüber ist bislang nichts bekannt. Dass man das vermuten muss, zeigt die Situation in Berlin, wo rbb-Kultur nach der Verrentung des Jazzredakteurs Ulf Drechsel dessen Stelle nicht mehr neu besetzen will; ein Armutszeugnis für den Hauptstadtsender, der eigentlich für die Berichterstattung der auch und gerade international so sehr wahrgenommenen Szene aktueller, improvisierter Musik aus Berlin verantwortlich ist.
Mit einem offenen Brief hat sich kürzlich die Deutsche Jazzunion (DJU) als Interessenvertreterin der Jazzmusiker/-innen und -aktivist/-innen in Deutschland zu Wort gemeldet. Mit „Kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk ohne Jazz!“ ist dieser überschrieben und wendet sich, korrekterweise, an die Rundfunkräte und Intendanzen der ARD. Darin heißt es gleich zu Anfang: „Wir fordern: Keine Zusammenlegung von Sendestrecken im Abendprogramm, kein Abbau des täglichen Jazzangebots in den öffentlich-rechtlichen Kulturwellen – weder in den linearen Radioprogrammen noch in den digitalen Angeboten. Im Gegenteil: Wir fordern eine erkennbare Stärkung des Jazz in der ARD und Rücknahme bereits erfolgter Kürzungen!“ Im Folgenden wird viel über die Bedeutung und Relevanz von Jazz und improvisierter Musik für die Gesellschaft geschrieben und auch darüber, wie wichtig es sei, dass diese Gattung im Programm der ARD zu finden ist. Dieser Brief wurde bereits häufig unterzeichnet – was gut ist, weil die Forderungen dadurch entsprechend Gewicht bekommen, um überhaupt durch die (Kultur-)Politik wahr- und ernstgenommen zu werden.
Ansonsten ist es recht ruhig, was diese Umbaupläne der Kulturradios durch die ARD betrifft. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, hat sich mit einem Artikel in der Neuen Musikzeitung recht freundlich zu Wort gemeldet: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat, das ist mein bitteres Fazit, in den letzten Jahren fast alle seine Freunde vergrault. Der Kulturbereich gehört noch zu den letzten guten Freunden, die bei aller deutlicher Kritik im Einzelfall immer für das System als solches eintreten. Aber diese Freundschaft wird durch das Verhalten von Intendantinnen und Intendanten gerade auf eine harte Probe gestellt.“ Die politische Allzweckwaffe in Fragen von Kultur im Hörfunk, der mittlerweile fast 91-jährige Gerhard Baum von der FDP, hat indes die Pläne der ARD scharf kritisiert. Aber ob es Widerstand durch die Kulturredakteur/-innen in den ARD-Anstalten gibt, wie sich die Landesmusikräte und der Deutsche Musikrat offiziell dazu stellen oder ob die Politik in Bund und Ländern Position bezieht, darüber ist bislang wenig bis gar nichts zu hören und zu lesen gewesen. Vielleicht ist man auch einfach schon zu sehr abgestumpft durch die vielen Skandale und Skandälchen der ARD in letzter Zeit.
So begrüßenswert die Initiative der DJU mit ihrem offenen Brief auch ist, so sehr wundert man sich, warum sich die Musiker/-innen hierzulande nicht auf ihr eigentliches Metier berufen und einfach mal ordentlich laut Lärm und Rabatz machen. Es wäre ein Einfaches, dass sich Jazzer/-innen mit ihren Instrumenten vor die ARD-Funkhäuser stellen würden, um zum Beispiel ab 10 Uhr vormittags, wenn dort in der Regel die Redaktionskonferenzen angesetzt sind, weit hör- und sichtbar modernen Jazz und zeitgenössische, improvisierte Musik zu spielen. Mit dieser gleichermaßen humorigen wie subversiven Aktion hätte man sicherlich viele Gebührenzahler/-innen auf seiner Seite – und somit auch etwas für die positive Wahrnehmung von Jazz und improvisierter Musik in der Gesellschaft getan.
Weiterführende Links
„Kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk ohne Jazz!“