RIP: Martial Solal

Martial SolalMartial SolalDie Musik von „À Bout De Souffle“ (auf Deutsch: „Außer Atem“) ist mindestens genauso cool wie Handlung und Protagonist/-innen dieses Filmklassikers der französischen Nouvelle Vague. Dieser Film von Jean-Luc Godard erzählt die Geschichte des Kleinkriminellen Michel, der aus Versehen zum Polizistenmörder wird und in Paris Unterschlupf bei der amerikanischen Touristin Patricia findet. Er flirtet mit ihr, doch sie lässt sich nicht wirklich auf seine Avancen ein, während Michel versucht, Geld für seine Flucht nach Rom aufzutreiben. Das Fahndungsnetz der Polizei zieht sich immer enger um ihn, Patricia wird von der Polizei verhört. Irgendwann kann sie dem Druck nicht mehr standhalten und verrät Michel an die Polizei. Diese stellt ihn, als er eine Pistole vom Boden aufhebt, und schießt ihm in den Rücken. Michel rennt noch einige Meter, bis er außer Atem sterbend auf einer Pariser Straße zusammenbricht.

Die Filmmusik komponierte Martial Solal. Wie vielleicht kein anderer konnte er den schnoddrigen Charme der von Jean-Paul Belmondo gespielten Hauptfigur mit dem lässigen Swing seiner orchestralen Jazzmusik hervorstreichen, bei ihm folgte schrillem Blech ein fingerschnippender Gitarrenchorus, der Belmondos lässiges Anzünden einer Zigarette regelrecht zelebrierte. Die Zerbrechlichkeit Jean Sebergs in der weiblichen Hauptrolle wurde durch einen fast schlüpfrigen Bigband-Orchestersound umgarnt, bevor der 1927 in Algier geborene Solal mit der Nahaufnahme des Gesichts von Seberg solo auf dem Klavier improvisierend den Schluss des Films markiert. Godards Spielfilm-Debüt von 1960 hatte jedenfalls alles, was „À Bout De Souffle“ zum generationsübergreifenden Klassiker werden ließ.

Als Solal diesen Soundtrack komponierte, war er in seiner Heimat längst schon ein angesagter und namhafter Jazzpianist und Bandleader. Nachdem er 1950 aus seiner Geburtsstadt Algier nach Paris gezogen war, leitete er mit dem Trompeter Roger Guérin ein eigenes Quintett und spielte unter anderem mit Django Reinhardt, bevor er Hauspianist im Pariser Club Saint Germain wurde, wo er hauptsächlich amerikanische Solisten wie Don Byas, Lucky Thompson, Billy Byers, J. J. Johnson, Stan Getz, Kenny Clarke, Chet Baker oder Sidney Bechet begleitete. Sowohl mit seinen eigenen Bigbands als auch mit Alben unbegleiteter Klaviersoloaufnahmen machte er sich als raffiniert-eigenwilliger Schreiber einer orchestralen Jazzmusik ebenso einen Namen wie als virtuos auftrumpfender Pianist.

„Manchmal lege ich die Hände irgendwo auf die Tasten und fange einfach an“, verriet Solal unserem Autor Ssirus Pakzad vor einer Weile sein Erfolgsgeheimnis. „Dann muss ich mich clever verhalten. Um die Kontrolle über das zu haben, was du vorhast, musst du eine gute Technik besitzen. Wenn du nicht schnell genug schaltest, bist du verloren. Mich stört nicht, wenn mal eine falsche Note dabei ist. Wenn kein Risiko beim Spielen besteht, bin ich unglücklich. Ich springe gerne ins kalte Wasser. Ich komme schon irgendwie zum anderen Ufer. Ein Fehler ist im Jazz nie ein Fehler – solange du eben die Kontrolle behältst und mit ihm umgehen kannst.“

Bis ins hohe Alter war Solal live auf den Bühnen weltweit zu erleben, arbeitete mit seinen verschiedenen Bands im Studio und veröffentlichte weiterhin Alben unter eigenem Namen. Nach einem Solokonzert im Pariser Salle Gaveau im Januar 2019 erklärte er dann aber öffentlich vor Publikum, dass er fortan nicht mehr Klavier spielen werde. Am 12. Dezember ist Martial Saul Cohen-Solal im Alter von 97 Jahren in Versailles nahe Paris gestorben.

Text
Martin Laurentius

Veröffentlicht am unter News

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