Ausflug nach Babel

Lili LamengAus dem Auto neben mir wummern die Bässe. Ich hasse das. Die Rotphase hat gerade erst begonnen, meine Scheiben sind hochgedreht. Auf der Nachbarspur Presslufthammer in Zeitlupe, Blondine mit Sonnenbrille am Steuer, gibt eine SMS in ihr Handy ein, ist bestimmt wichtig.

Ihr Auto ist blitzblank geputzt. Unterhalb des Seitenspiegels steht „Jazz“. So heißt das Auto, den Musikstil kann sie ja nicht meinen. Obwohl das natürlich auch wichtig wäre: für alle Verkehrsteilnehmer sichtbar seine bevorzugte Musikrichtung mit Klebebuchstaben auf den Autolack applizieren oder eine Art Hitliste angeben. Wir werden ja auch von Auto fahrenden Eltern darüber informiert, wie ihre Sprösslinge heißen: „Janine on Board“, „Chauffeur von Saskia“. Dann ist es unterwegs nicht so anonym.

Der Honda Jazz 1.4 LS „bietet alle Vorteile eines echten Kleinwagens“. Warum hat Honda dieses Modell „Jazz“ genannt? Bei Opel gibt es den Corsa Swing. Saubere kleine Autos.

Soll der Durchschnittlichkeit eines Kleinwagens etwas entgegengesetzt werden, um das Gefährt aufregend und dynamisch wirken zu lassen?

Oder bedeutet Jazz jetzt, dass eine Sache problemlos läuft? Das wird in der Rezension der CD „Cruisen“ des Thomas Siffling Trios suggeriert: „eine Scheibe für Auto-Romantiker und Jazz-Liebhaber. Die obendrein optisch überzeugt. Und lässige Streckentipps gleich mitliefert.“ Wie praktisch. Dazu die Information, dass Veronika Harcsa das Ganze mit Vocals „garniert“. Auto- und Musikindustrie haben sich verbündet.

Immerhin, Skoda Auto Deutschland ist Partner des „Moers Festival“ und fördert neben dem Jazzfestival das Kunstfest in Weimar. Die Skoda Allstar-Band um den Trompeter Uli Beckerhoff tourt alljährlich.

Doch was bedeutet es, wenn jetzt Konsumgüter „Jazz“ genannt werden? Sind sie dann jazzartig, auffällig, auffallend – wie der Honda Jazz der SMS-Blondine? Ist „jazzy“ ein Antonym zu „conservative, dull, simple, unfancy“?

Auch bei Düften geht es musikalisch zu. Da gibt es seit 1988 „Jazz“ von Yves Saint Laurent. Dieser Jazz ist aromatisch und holzig. Unter anderem mit Anis, Bergamotte, Kardamom und Koriander in der Kopfnote, in der Herznote sind Geranie, Iris, Jasmin und Nelke, in der Basisnote unter anderem Amber, Eichenmoos und Zeder. Klingt jedenfalls männlich.

Spannend auch das Getränk „JAZZ. Liquid Passion.“ Das „verführt die Geschmacksnerven mit Vanille und Zitrone“. Klingt weiblich.

Ich bin verwirrt.

Das „Jazzy Six Faschings Archiv“ ruft dann noch „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ in die Welt. Wie hängt das alles zusammen? Ein Siegeszug des Jazz? Auf der ganzen Linie, ganz allgemein.

Swing scheint festgelegter zu sein, ist ja auch nur ein Teilbereich des Jazz.

Hier haben wir das Parfüm von La Rive, „Swing the Song“. Laut Beschreibung ein sinnlicher Duft für selbstbewusste und leidenschaftliche Frauen. Aha. Es fasziniert mit Blüten- und warmem Gewürzaroma.

Und die Firma Arabesque stellt mit „Swing Style“ „den Look einer vergangenen Epoche in völlig neuem Glanz dar: Die Eleganz der zwanziger und dreißiger Jahre zeigt sich mit schillerndem Glamour. Die Lippen werden tagsüber mit ausdrucksstarken Farben akzentuiert und definiert, am Abend mit glänzendem Gloss betupft.“

Das mit dem Jazz wird mir zu schwierig. Ich konzentriere mich auf „Swing Style“. Hauptsache, die Farbe klebt nicht zu sehr am Mundstück.

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1 Kommentar zu „Ausflug nach Babel“

  1. Den Honda Jazz gibt es ja schon eine ganze Weile. Am Anfang dachte Honda sogar, diese Marke auch mit der Musik Jazz bewerben zu können. Das war dann im Ergebnis so abschreckend, dass man nicht nur die Kampagne, sondern auch die Produktion vom Honda Jazz vorerst eingestellt hat. Jetzt, beim „Relaunch“, will man mit der Musik nichts mehr zu tun haben, sondern hat für die Werbung Sonnenstudio-Besitzerinnen-Euro-Trash-Techno zum Einsatz gebracht – wahrscheinlich GEMA-frei produziert.
    Ich weiß nicht, wie es sich beim Opel Corsa Swing verhalten hat. Was ich aber weiß, ist, dass dieser Eric-Clapton-artige Gitarren-Riff in den 90ern (?) nicht Schuld an der Opel-Krise von heute ist. Und hat man nicht auch mal bei Opel mit Illinois Jacquet Werbung gemacht? Oder war das für was anderes? Für einen Lippenstift? Ach ja: Und Gerolsteiner (ich glaube) entdeckt ebenfalls den Jazz – mit „Take Five“ wird die aktuelle TV-Kampagne „bemusiziert“ – allerdings, so glaube ich, nicht mit dem richtigen Original, sondern mit einer Fassung von Jazzanova…