European Jazz Legends

Fred Frith, Ralf-Rainer Hübner, Heinz Sauer

Europa?ische Jazz-Legenden sind auf ihre jeweils eigene Weise alle drei Musiker, die Autor Go?tz Bu?hler und Fotograf Lutz Voigtla?nder diesmal portra?tieren. Doch wa?hrend der umtriebige Fred Frith vor lauter Verpflichtungen als Musiker und Dozent fast keine Zeit fu?r Interview und Fotosession gefunden ha?tte, genießt Ralf-Rainer Hu?bner, Schlagzeuger und einst Weggefa?hrte etwa von Albert Mangelsdorff und Manfred Schoof, seinen Ruhestand und bekennt, nichts mehr als Zeit zu haben. Saxofonist Heinz Sauer, der zusammen mit Ralf-Rainer Hu?bner bei Albert Mangelsdorff gespielt hat, ist nach wie vor unermu?dlich auf der Suche nach dem wirklich Neuen. Von Jazz will er in Bezug auf sein Schaffen nicht mehr sprechen – ihm geht es, wie Frith, eher um improvisierte Musik.


Ralf-Rainer HübnerHeinz Sauer

Fred Frith

„Einflüsse sind extrem überbewertet, normalerweise.“

Fred Frith (Foto: Lutz Voigtländer)

„Wenn man einen Plan hat, hat man schon versagt“, weiß man von Fred Frith aus einem Interview. Man kann diesen Leitsatz, im Kontext des Themas „Improvisation“ aufgestellt, auch auf das Leben im Allgemeinen und auf ein Interview über das Leben dieses 68-jährigen Songwriters, Komponisten, Improvisatoren und Multiinstrumentalisten anwenden. Nachdem wir uns Mitte November im Rahmen seiner Europatour verpasst hatten, bot der zwischen Oakland, Kalifornien, und Basel in der Schweiz pendelnde Gitarrengott aus dem englischen East Sussex zunächst einen Termin am Valentinstag in Köln an. Ende Januar meinte er, dass er zwischen später Ankunft aus Istanbul, frühem Soundcheck und langem Konzert im Stadtgarten und der nötigen Nachtruhe angesichts eines frühen Weiterfluges nach Paris am kommenden Morgen eigentlich doch keine Zeit für Fotos und Interview habe. Er wäre allerdings bereit, Fragen per E-Mail zu beantworten. Auch einzelne. Auf das Geständnis, live und persönlich kurz nach dem Soundcheck am Stichtag, jede aufgeschriebene Frage unmittelbar für zu dumm gehalten und daher schamhaft gelöscht, also nie abgeschickt zu haben, kontert er lachend: „Also wollten Sie die dummen Fragen lieber persönlich stellen?“ Vielleicht freute er sich auf weitere solche Vorlagen. Jedenfalls fand sich nun doch die Zeit für ein Gespräch. Und Fotos.

„Sie haben einmal gesagt: die beste Art zu improvisieren wäre im Duo. Sie meinten, die dritte Person würde im Weg sein. Heute Abend spielen Sie im Trio …“

„Das habe ich so nicht gesagt. Ich habe nicht von besser oder schlechter gesprochen. Ich mag es, im Duo zu spielen, weil es eine sehr pure Art der Kommunikation ist. Und ich mag Trios auch, denn es gibt einen Außenseiter und zwei Insider, und es ändert sich ständig, wer auf welcher Seite steht. Nach Trios bin ich allerdings nicht so sehr an Quartetten interessiert, oder Quintetten, allem mit noch mehr Menschen. Aber mit Zweiern und Dreiern habe ich kein Problem.“

„Auf Ihrer Website steht ein Interview, das mit der Frage beginnt: ‚Was hat Sie beeinflusst?‘ Sie antworten: ‚Alles, was ich je gehört habe.‘ Können Sie etwas genauer sein?“

„Das Problem ist, dass für Menschen, die über Musik schreiben, alles eine lineare Progression zu sein scheint. Und Einflüsse sind extrem überbewertet, normalerweise. Wenn ich jetzt sagen würde: ‚Miles Davis‘, würde das eine viel zu große Rolle einnehmen. Es ist nicht so, dass ich nicht beeindruckt und verliebt in Miles‘ Arbeit gewesen wäre, aber wenn es um Einflüsse geht, ist es wohl das Logischste, was ich sagen kann, dass ich von den Leuten beeinflusst bin, mit denen ich zusammenarbeite. Wenn ich zehn Jahre lang in einer Band spiele, beeinflussen mich diese Musiker. Sie verändern die Art, wie ich denke, wie ich spiele, sie geben mir nützliche Informationen. Das war schon immer und ist auch heute noch so. Meine Einflüsse sind also meine Kollegen.“

Die ersten Kollegen, die Fred Frith maßgeblich beeinflusst haben, waren seine älteren Brüder Simon, inzwischen durch seine Verdienste als Soziomusikologe zum „Officer of the Order of the British Empire“ berufen, und Chris, emeritierter Professor der Neuropsychologie. Als Letzterer zwölf und der Mittlere acht war, bekam der damals fünfjährige Fred seinen ersten Geigenunterricht. Bald kamen das Klavier und mit dreizehn die Gitarre dazu, die er mit 26, laut eines Texts auf seiner Website, „mit seinem Album ‚Guitar Solos‘ im Jahre 1974 neu erfand“. Davor kamen die Mitgründung des Art-Rock-Ensembles Henry Cow 1968 und seitdem Zusammenarbeiten mit so unterschiedlichen Musikern wie Han Bennink oder Brian Eno, Louis Sclavis oder John Zorn, der Choreografin Amanda Miller, den Bang on a Can All-Stars, dem Ensemble Modern, Concerto Köln oder der Perkussionistin Evelyn Glennie.

„Ich bin in einer formativen Zeit in den Sechzigern aufgewachsen, in denen Plattenfirmen viel veröffentlichten. Es gab also einen Zugang zu vielen Dingen, die vorher nicht zugänglich waren. Das war aufregend. Und es kam aus allen Richtungen. Ich hörte Zappa und Captain Beefheart und Miles und Ornette und Coltrane und Messiaen und John Cage und so. Es gibt offensichtlich so vieles da draußen, dass man dazu neigt, sich in bestimmte Richtungen zu lehnen. Und das ist manchmal ziemlich wahllos. Man hört etwas und ist auf einmal völlig fasziniert, wie beispielsweise, als ich zum ersten Mal bulgarische Musik hörte. Das war großartig, ich wollte alles davon hören. Ich hatte einen Fan in Warna in Bulgarien, der mir Bulgaraton-LPs schickte. Ich habe immer noch eine Sammlung davon. Das passierte eher zufällig, weil mir jemand diese Musik vorspielte. Es hätte genauso gut nicht passieren können, oder er hätte mir etwas anderes vorspielen können. Ich denke, dass es da ein gewisses zufälliges Element gibt in dem, was man schließlich mag.“

Obwohl Fred Frith aufgrund diverser Umzüge mittlerweile „etliche Plattensammlungen weggegeben“ hat, haben sich auch in seinem Haus in Oakland wieder zahlreiche Tonträger angesammelt.

„Das hat immer mit der eigenen Neugierde zu tun und damit, in welcher Region die liegt. Als Student hatte ich keine Ahnung von zeitgenössischer Musik. Ich kannte Rock und Blues und etwas Jazz, aber ich war neugierig. Es erschienen Platten mit Namen, die ich noch nie gehört hatte, und ich kaufte sie alle. Damals konnte man als Universitätsstudent Geld für Bücher bekommen, und ich gab es immer für Schallplatten aus. Diese staatliche ‚Book Allowance‘ war Teil des Stipendiums. Ich sah also etwa eine LP von Luciano Berio. Wer ist das? Kaufe ich. Darauf sang Cathy Berberian, und ich fand, das war das Großartigste, was ich je gehört hatte. Das hinterließ einen großen Eindruck bei mir, nur weil ich zufällig diese Platte sah und kaufte. Das ist nur ein Beispiel für die Zufälligkeit von Einflüssen.“

Fred Frith hatte, wie er sagt, „ein ausgeprägteres Verständnis von zeitgenössischer Musik“, als er 1999 nach Kalifornien zog, um am dortigen Mills College, an dem vor ihm neben Berio auch Kollegen wie Darius Milhaud oder Terry Riley gelehrt hatten, Kurse wie „Music Improvisation Ensemble“ oder
„Film Music: Mood and Meaning“ zu unterrichten.

„Ich hatte 1997 für zwei Wochen eine Teaching Residency in Mills und auch vorher schon dort gespielt. Aufgrund der Residency konnte ich mich dort um einen Job bewerben, was ich eigentlich nicht machen wollte, aber dann doch tat – und den Job schließlich auch bekam. Ursprünglich wollten meine Frau und ich gar nicht dorthin ziehen, aber irgendwie beschlossen wir dann doch, es zu tun, damit unsere Kinder Englisch lernen können. Es schien ein nettes Engagement für drei Jahre zu sein. Wir kamen nie zurück, das ist jetzt fast 20 Jahre her.“

Bei Fred Frith (Foto: Lutz Voigtländer)
In diesem „Epizentrum der amerikanischen experimentellen Tradition“, wie es auf Fred Friths Website zu lesen ist, arbeitet er, wenn er nicht in Basel an der Musikakademie lehrt, im Süden von Chile an einer wohl 2019 zu eröffnenden Universität ein neues Musikprogramm entwickelt oder auf Tour ist, mit den etwa 80 Studenten der Musikabteilung.

„Es ist ein Klischee, dass es im Unterrichten absolut ums Lernen geht, und ich lerne genauso viel von meinen Studenten wie sie von mir. Zwei meiner ehemaligen Studenten spielen hier heute Abend mit mir, nur um Ihnen einen Anhaltspunkt zu geben. Ich denke, das Besondere an Mills ist, dass es Leute anzieht, die normalerweise nicht in ein konservatives Konservatorium in ihrer Heimat passen würden. Wir sind eine Art Leuchtturm, sie kommen zu uns. Auf den meisten Musikschulen studiert man mit einem bestimmten Professor und versucht, so viel wie möglich von ihm mitzukriegen, von ihm zu lernen. Bei uns heißt es eher: Was brauchst du? Was willst du? Und das führt zu vielen Diskussionen.

Für mich ist die Definition eines modernen Musikers jemand, der mehr als nur eine Sache machen kann. Ich glaube nicht, dass es ein Zufall ist, dass Improvisation in akademischen Kreisen mittlerweile so etabliert ist. Die Musiker wollen das, nicht die Professoren. Es ist interessant: In Basel, wo ich an der Musikakademie unterrichte, müssen alle Studenten, egal wofür sie eingeschrieben sind, zwei Improvisationskurse belegen. Es muss nicht meine Art des Improvisierens sein, es kann auch Jazz oder Barockmusik sein. Aber sie müssen etwas improvisieren, was ich für eine großartige Idee halte.

Mark Twain meinte einmal, er brauche drei Tage, um eine richtig spontane Dreiminutenrede zu improvisieren. Manch einer behauptet, echte, völlig losgelöste Improvisation wäre unmöglich. Ich hatte 1981 eine Krise. Ich habe eine Solotour in Japan gegeben, elf Abende mit elf Konzerten. Ich war fixiert auf die Idee, dass ich mich, wenn ich wirklich ein Improvisator wäre, nie wiederholen würde. Wie dumm kann man sein? Ich war so fixiert, dass es ein Kampf war, überhaupt etwas zu spielen, so verbissen war ich. Eines Abends kam ich mit blutenden Fingern von der Bühne, ich kämpfte so mit dem Instrument. Beide Hände bluteten. Da verstand ich, dass hier etwas nicht stimmt. Ich musste das überdenken. Ich war fixiert, es war eine pathologische Obsession. Und ich musste das wohl durchmachen, um zu verstehen, dass das eigentlich komplett irrelevant ist. Ich habe ein Instrument, ich habe meine Ressourcen, alles, was ich machen muss, ist, leer zu sein. Wenn ich leer bin, weiß ich nicht, was passieren wird. Das ist ein guter Ausgangspunkt.“

Fred Frith war 19 und selbst noch Student in Cambridge, als er mit Tim Hodgkinson die Gruppe Henry Cow gründete. Was denkt er, wenn er heute den langhaarigen jungen Gitarristen der Band sieht?

„Ich versuche, nicht daran zu denken“, antwortet er lachend. „Es gibt da dieses eine Live-Video von uns, und ich erinnere mich an das Konzert als etwas, über das wir nicht glu?cklich waren. Die technischen Umsta?nde waren mies, wir mochten es nicht. Und dann sieht man das Video und denkt: ‚Au, diese Leute ko?nnen diesen Scheiß echt spielen!‘ Keine Noten auf der Bu?hne und alles aus dem Kopf, dabei klingt es so tight, ich war tief beeindruckt. Und das war ein schlechter Gig! Wenigstens hilft es mir, all die Leute zu verstehen, die große Henry-Cow-Fans sind. Es gibt Leute da draußen, die nicht im Geringsten an irgendetwas von dem interessiert sind, was ich jetzt mache, die aber nach wie vor sehr interessiert an Henry Cow sind. Mich haben diese Leute fru?her immer genervt, jetzt verstehe ich sie.“ Er lacht.

„Ich finde es sehr interessant, dass es in professionellen Kreisen generell als ein Zeichen von Schwa?che angesehen wird, seine Meinung zu a?ndern. Fu?r mich repra?sentiert es fast genau das Gegenteil. Wenn du in der Lage bist, etwas zu verstehen, was du bisher nicht verstanden hast, und du die Mo?glichkeit hast, dadurch deine Meinung zu a?ndern, ist das positiv, oder nicht? Aber man wu?rde nicht auf den Gedanken kommen, wenn man Politikern zuho?rt.“


Ralf-Rainer HübnerHeinz Sauer

Text
Götz Bühler
Foto
Lutz Voigtländer

Veröffentlicht am unter 118, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2025