Gestorben: Holger Czukay
Köln, in den 1960ern: Die Musikszene in der Stadt am Rhein muss vibriert haben. Kurt Edelhagen ist seit 1957 vor Ort und leitet für den Westdeutschen Rundfunk sein Orchester, das mit namhaften europäischen Jazzmusikern besetzt ist. Zudem hat er an der Hochschule für Musik und Tanz Köln ab 1958 eine Jazzklasse eingerichtet. Außerdem in der Stadt: zeitgenössische Komponisten wie Karlheinz Stockhausen oder Bernd Alois Zimmermann, die in ihren Werken auch mit den technischen Möglichkeiten dieser Zeit vor 50 Jahren experimentiert haben. Und Mittendrin: junge Musiker und Musikstudenten, die allesamt gegen Regeln aufbegehren und Grenzen überschreiten wollen; ein Alexander von Schlippenbach oder Manfred Schoof einerseits, die mit ihrem radikalen Free Jazz die Tradition dieser Improvisationsmusik aus dem Süden der USA zertrümmern, ein Jaki Liebezeit oder Holger Czukay andererseits, die eine ganz neuartige Rockmusik zur Welt bringen.
Czukay ließ sich zwar Anfang der 1960er von einem Bassisten der Berliner Philharmoniker unterrichten, doch Bassist im herkömmlichen Sinn sollte er zeitlebens nie sein. Zwar etablierte er zusammen mit dem aus dem Free Jazz kommenden Schlagzeuger Liebezeit in ihrer mit Irmin Schmidt (Keyboards) und Michael Karoli (Gitarre) in der 1968 gegründeten Band Can eine für die damalige Zeit außergewöhnliche Rockmusik, für die ein stoischer, auf das allerwesentlichste reduzierter Rhythmus zum Markenzeichen wurde. Doch Czukay beließ es nicht dabei, bloß Bassist dieser Band zu sein. Er war vielmehr derjenige, der mit der Studiotechnik dieser Zeit eine Art analoges Mash-up aus diversen Samples für Can produzierte und vieles von dem vorwegnahm, was Jahrzehnte später mit digitalen Klangerzeugern gang und gäbe sein sollte.
Als Czukay 1977 Can verließ (ein britischer Journalist hatte deren Musik zuvor etwas hochnäsig als „Krautrock“ bezeichnet), machte er einfach weiter: nicht mehr als festes Mitglied einer Band, sondern als eine Art produzierender „Ermöglicher“ für Projekte von Musikern, die den Rahmen des Üblichen im Pop und Rock sprengten. Bei den frühen Eurythmics mischte er ebenso mit wie später bei David Sylvian, Brian Eno, Jah Wobble, Peter Gabriel oder Annie Lennox. Im Gespräch mit dem Spiegel gab sich Czukay vor wenigen Jahren knochentrocken, als er gefragt wurde, ob er verantwortlich sei für die virtuelle Popband The Gorillaz von Damon Albarn: „Ich hatte mich mit Albarn nur einmal darüber unterhalten, was denn in der Rockmusik der nächste Schritt sein könnte. Und ich meinte: eine virtuelle Gruppe, das wär’s doch! Jetzt erzählt er überall herum, ich hätte die Gorillaz erfunden. Weiß auch nicht, wie er darauf kommt.“ Am 5. September hat ein Nachbar Holger Czukay tot im ehemaligen Can-Studio, in dem er auch wohnte, in Weilerswist südwestlich von Köln gefunden. Er wurde 79 Jahre alt. Text Martin Laurentius
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