Buch: Der Marsalis-Komplex
1995 erschien das Buch „Der Marsalis-Faktor - Gespräche über afroamerikanische Kultur in den neunziger Jahren“. Der auch für Jazz thing schreibende Autor Christian Broecking hat dafür Gespräche mit amerikanischen Musikern und Journalisten geführt, um den Diskurs um den Trompeter Wynton Marsalis zu dokumentieren – ein gleichfalls kontroverses Buch, das „die widersprüchliche Vielfalt afroamerikanischer Kultur“ (Oreos Verlag) in den 1990ern zeigt. Jetzt veröffentlicht Broecking ein neues Buch zum Thema: „Der Marsalis-Komplex – Studien zur gesellschaftlichen Relevanz des afroamerikanischen Jazz zwischen 1992 und 2007“, das aber keine bloße Fortsetzung darstellt. Vielmehr geht es dem Autor darum, die Aussagen der Musiker, die er in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre gesammelt hat, zu „verwissenschaftlichen“. In einer Methodenkritik stellt Broecking seine Arbeitsweise vor. Die transkribierten Interviews werden mit einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Dafür hat er in zwei Schritten die Gespräche auf ihre jeweiligen Kernaussagen reduziert, um sie vergleichbar zu machen und in verschiedenen Kategorien zu bündeln – zum Beispiel in „Gesellschaftlicher Kontext“, „Identität“, „Rezeption“ und „Politische Intention“. „Die Untersuchungsergebnisse werden durch die Bildung von Meinungs- und Haltungstypen zur politischen Intention und Perspektive fokussiert“, so Broecking in der Einleitung.
Zuvor reflektiert er im ersten Kapitel, „Jazz und Politik: Zur Geschichte der Diskurse“, verschiedene Aspekte afroamerikanischer (Jazz-)Kultur und stellt dann in kurzen Porträts seine Interviewpartner vor – angefangen bei Albert Murray und Ornette Coleman über Archie Shepp und Stanley Crouch bis hin zu Branford und Wynton Marsalis. Im fünften Kapitel gibt es dann doch so etwas wie eine Fortsetzung, wenn Broecking seine „Auswertungsergebnisse diskutiert und mit späteren Interviewaussagen und Untersuchen kritisch beleuchtet.“ Auch wenn das Buch für jemanden ohne soziologischen und musikwissenschaftlichen Hintergrund nur schwer zu konsumieren ist, so ist es dennoch spannend, aus der Distanz heraus den Konflikt um Marsalis und sein Anfang der 1990er ins Leben gerufene „Jazz At Lincoln Center“-Projekt, die kontroverse Diskussion zwischen Neotraditionalisten und Avantgardisten im afroamerikansichen Jazz noch einmal zu verfolgen. „Der Marsalis-Komplex – Studien zur gesellschaftlichen Relevanz des afroamerikanischen Jazz zwischen 1992 und 2007“ ist im Broecking Verlag (ISBN 978-3-938763-32-2) erschienen und kostet 49,40 Euro.