GoGo Penguin

Ekstase auf unbedeutendem Planeten

Chris Illingworth meldet sich einige Minuten nach der vereinbarten Zeit. Der Pianist entschuldigt sich höflich, er sei eine Weile offline gewesen, hätte sich erst wieder mit Smartphone und Whatsapp zurechtfinden müssen. Den Dezember nutzte der Musiker zur Erholung.
GoGo Penguin (Foto: Linda Bujoli)
2017 war ein weiteres eng getaktetes Jahr für Illingworth und seine Kollegen Nick Blacka (Kontrabass) und Rob Turner (Drums) von GoGo Penguin: Nachdem ihr Blue-Note-Debüt „Man Made Object“ 2016 den Durchbruch bedeutete, tourten sie im letzten Jahr durch Asien und die USA, im Sommer vertonten sie den Kultfilm „Koyaanisqatsi“ (1982) live in der Hamburger Elbphilharmonie. Nun erscheint ihr viertes Album „A Humdrum Star“ (Blue Note/Universal), und wieder treffen fordernde repetitive Dance Beats, eingespielt mit akustischem Piano und Schlagzeug, auf melodische Klavierakkorde und gestrichene Basslinien.

„Es hat sich nicht dramatisch viel verändert“, sagt Illingworth, den man sich als drahtigen Nerd mit Brille und Wuschelhaaren vorstellen muss. „Wir verfolgen noch immer den gleichen Ansatz, den wir bei unserem Debüt hatten: Piano, Bass, Drums. Wir haben unsere Instrumente stets mit Effekten verfremdet, und das haben wir nun auf der neuen Platte weiter ausgebaut.“

Schon das erste Album „Fanfares“, auf dem Liebhaberlabel Gondwana Records aus Manchester veröffentlicht, etablierte den Sound des Trios. Seitdem nimmt die Band nur subtile Veränderungen an ihrer Jazz-Electronica-Rezeptur vor, verfeinert sie von Album zu Album. Deutlich hörbar ist vor allem, wie viel wuchtiger der Sound von GoGo Penguin nun ist. Auf „A Humdrum Star“ nimmt die Band das Tempo zunächst jedoch heraus, das Album beginnt mit dem filmmusikartigen „Prayer“. Das sacht verzerrte Klangbild des Openers erzeugten die Musiker, indem sie Ketten an die Saiten des Flügels schlugen oder einen Streifen Papier über die Basssaiten hielten.

„Du sollst kein typisches Pianotrio hören“, sagt Illingworth, der eigentlich klassischer Pianist werden wollte. „Bei uns sind Bass und Drums nicht bloß Support. Du sollst die Band hören, und zwar nicht im Sinne von Soli, die aufeinanderfolgen. Alles wird bei uns zu einer Textur.“

Dafür nehmen sich die drei Mancunians mehr Zeit als zuvor: Vier der neun Songs sind mehr als sechs Minuten lang; „Strid“ mit seinem markanten Bassriff, das in typischer GoGo-Penguin-Manier minutenlang auf einen Höhepunkt zusteuert, überschreitet gar die Achtminutenmarke. Ähnlich ekstatisch: „Reactor“, das sich in ein furioses Rockfinale steigert.

„Wir alle spielen alle Arten von Konzerten“, meint der Pianist. „In diesem Jahr war von Dance-Music-Festivals in Kroatien bis zur Elbphilharmonie alles dabei. Ich bin noch immer jedes Mal erstaunt, wie verschieden die Leute sind, die zu uns kommen.“

Die vielfältigen Interessen der Bandmitglieder zeigen sich auch in der Wahl ihrer Albentitel: Während sich das 2016er „Man Made Object“ um den Transhumanismus drehte, ist „A Humdrum Star“ eine Schöpfung des US-Astrophysikers Carl Sagan, der das überschaubare Sonnensystem in einer Rede mit der Weite des Universums verglich: „Wir leben auf dem unbedeutenden Planeten eines öden Sterns.“ Ein Songtitel wie „Bardo“ ist dagegen inspiriert vom tibetischen Buddhismus und steht für mögliche Bewusstseinszustände im Diesseits und im Jenseits. Religion sei für die Band aber nicht bedeutsam, sagt Illingworth.

„Wir beschäftigen uns eher mit einer Sammlung von Philosophien und Ideen, die sich um Religion drehen. Ob du damit übereinstimmst, ist nicht relevant. Es ist wichtig, anderen zuzuhören. Das bedeutet Inspiration.“

Aber was ist das eigentlich, dieser Jazz, dieses Genre, dem GoGo Penguin, die ihren Sound selbst „Acoustic Electronica“ nennen, noch immer zugeschrieben werden? Chris Illingworth lacht.

„Wer weiß das schon so genau? Natürlich, früher hatte ich bestimmte Namen im Kopf. Aber in der Zwischenzeit ist so viel passiert, die Leute haben die Musik in so viele Richtungen getragen. Im Kern ist es doch: sich frei ausdrücken zu können. Do your thing!“

Text
Jan Paersch
Foto
Linda Bujoli

Veröffentlicht am unter 122, Feature, Heft

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