Adrian Reiter Quartet – Pick Up
Jazz thing Next Generation Vol. 19
Im München von hier und jetzt unternehmen vier junge Männer eine kleine Zeitreise. Wer die Musik des Adrian Reiter Quartet hört, fühlt sich unmittelbar in die 60er und 70erJahre versetzt. Die Grooves und Themen des Vierers um den Gitarre spielenden Steuermann, aber auch das Klangbild der CD „Pick Up“ aus der Reihe „Jazz thing – Next Generation“ (Double Moon/sunny moon) lassen keinen Zweifel daran, dass man sich musikalisch ganz bewusst an der heißen Phase orientiert, als der Jazz einst mit Soul, aber auch Rock paktierte. Oder?
Adrian Reiter zuckt kurz, zieht die Augenbrauen zusammen, bis sie wie Fragezeichen aussehen: „Klingt das echt nach 60er und 70erJahren? Witzig, dass du das sagst. Ich hab mir da offen gesagt nie große Gedanken gemacht. Ich spiele die Musik einfach.“
Das, was der 32Jährige mit seinen Mannen auf „Pick Up“ für die Ewigkeit dokumentiert hat, kommt ohne übersteigerte Ambitionen aus, will nicht auf Teufelkommraus originell sein oder kunstvoll gedrechselt. Lässig, aber druckvoll treiben die Grooves das Geschehen an. Es swingt mörderisch auf dieser CD, auf der Adrian Reiter, Pianist Jan Eschke (er spielt auch Rhodes), Bassist Peter Cudek und Schlagzeuger Guido May so lustvoll wie unbekümmert ihre Virtuosität ausleben. Sensible, stimmige Balladen schmücken „Pick Up“ genauso wie halsbrecherische Themen, in denen sich Bop und Jazzrock verhaken.
„Meine Kompositionen sind ziemlich standardmäßig aufgebaut. Es gibt ein Thema, und dann wird improvisiert. Das mag nach einem relativ einfachen Rezept klingen, aber so erhält sich die Musik ihre Natürlichkeit. Es würde einfach nicht passen, wenn wir zu viel in die Stücke hineinpacken und etwa jeden Chorus genau auschecken. Außerdem lebt das Ganze auch über eine wahnsinnig starke Rhythmusgruppe.“
Als ein Onkel im trauten Familienkreis einfach vor sich hin klampfte, hat der damals 12jährige Adrian Reiter die Gitarre für sich entdeckt. Mit 16 war er bereits wild entschlossen, später die professionelle Laufbahn einzuschlagen. „Wie ein Bekloppter“ hat er damals geübt und so rasche Fortschritte gemacht, dass die Unterstützung nicht lange auf sich warten ließ. Als Teenager durchlief er unter dem Gitarristen Thomas Reimer an der Münchner New Jazz School eine Ausbildung, anschließend wurde Steve McKenna für zwei Jahre zum Förderer des Nachwuchsvirtuosen.
Der ging im Jahr 2000 dahin, wo sie alle hingehen, wenn sie was aus sich machen wollen: nach New York. Mit zwei Stipendien in der Tasche wurde Adrian Reiter zum Studenten an der New School in Manhattan. Er blieb allerdings nur ein Semester, dann war es ihm genug, um nicht zu sagen: zu viel. „Es waren Wahnsinnstypen, bei denen man Unterricht haben konnte.“ Trotzdem gefielen dem Münchner weder der Lehrplan noch die Kosten, die er trotz Stipendiats für einige Kurse aufbringen sollte. Noch ein weiteres Jahr ist Adrian Reiter im Big Apple geblieben und hatte privat Unterricht bei solchen Koryphäen wie Mike Stern oder Jack Wilkins. „Ich habe in meiner New Yorker Zeit ganz pragmatisch versucht, alles mitzunehmen, was ging.“ Die Musikszene New Yorks bezeichnet er als Haifischbecken, aber auch als oberste Liga: „Darüber geht nichts.“
Jetzt ist er froh, wieder in München zu sein, seiner Geburtsstadt, die er abgöttisch liebt, aber auch durchaus kritisch sieht. „Es ist alles viel zu gemütlich hier. Auch die Jazzszene finde ich nicht so toll.“ Nicht nur deshalb macht er gelegentlich Abstecher nach Wien, um in der Big Band seines alten Zimmergenossen, des Posaunisten Robert Bachner, mitzuwirken und Musik zu spielen, die „sehr anspruchsvoll ist“.
Sein Hauptohrenmerk richtet Adrian Reiter allerdings auf sein 2005 gegründetes Quartett mit Jan Eschke, Peter Cudek und Guido May. Ursprünglich wollte man als Quintett die musikalischen Geschicke bündeln, doch dann konnte der vorgesehene Saxofonist nicht zur ersten Probe erscheinen. „Wir merkten, dass auch so alles prima lief. Alles hat sich spontan entwickelt und letztlich gefügt.“ In seiner Gruppe zeigt Adrian Reiter, dass man sich mit den Großen der Jazzgitarre beschäftigen oder sich gar von ihnen unterrichten lassen kann, ohne dass die Merkmale anderer dauernd durch das eigene Spiel laufen müssen. Auf seiner dekorativ gealterten, hübsch verschrammten Telecaster entwickelt er einen Sound, den er selbst für ziemlich puristisch hält.
„Es gibt Kollegen, die sind ziemlich anfällig fürs Imitieren anderer. Ich finde es schrecklich, wenn ich beispielsweise einen Gitarristen höre, der genau wie Pat Metheny klingt. Für mich wirkt das so, als wenn einer einen Witz von jemand anderem schlecht nacherzählt. Ich höre mir bestimmte Gitarristen genau an, habe aber nie das Gefühl, dass ich mir deren Sound genau aneigne. Ich hatte nie Angst davor. Klar beeinflusst einen alles irgendwie: Ich hatte ja schließlich auch Unterricht bei einigen großen Persönlichkeiten. Aber genau genommen wirkt sich der gesamte Ablauf eines Tages darauf aus, was man spielt. Wenn ich gut gefrühstückt habe, merkt man das später auch in meinem Spiel.“