Cyminology – Per Se
Jazz thing Next Generation Vol. 7
Es könnte der Eindruck entstehen, dass sich Jazz thing und Double Moon nun auch noch in die Weltpolitik einmischen wollten. Die siebte Veröffentlichung innerhalb der gemeinsam initiierten „Next Generation“-Reihe zeigt nämlich, dass der Iran und die USA die wunderbarsten Freunde sein können – wenn man nur klassische persische Gedichte auf hochklassigen World Jazz amerikanischer Prägung treffen lässt, wie es das Berliner Quartett Cyminology vormacht.
Das Museum für Völkerkunde in Berlin-Dahlem beherbergt eine der wichtigsten ethnologischen Sammlungen der Welt. Es ist ein leicht unwirklicher Ort, an dem man unter anderem wunderliche Zauberfiguren aus dem Kongo, peruanische Tongefäße aus dem ersten Jahrtausend nach Christus und mächtige Doppelrumpfboote von der Südseeinsel Tonga bewundern kann. Es ist aber auch möglicherweise der beste Platz, um das junge Berliner Quartett Cyminology zu treffen. In dessen Musik vermischen sich nämlich mindestens zwei ehrwürdige Hochkulturen zu einer farbenprächtigen Einheit.
Die Rede ist von Gedichten aus dem Persien des Mittelalters – sowie vom Jazz, der in der Interpretation Sängerin Cymin Samawatie (29), des Pianisten Benedikt Jahnel (24), des Bassisten Ralf Schwarz (33) und des in Neu Delhi geborenen Schlagzeugers Ketan Bhatti (23) allerdings ungewohnte Wege einschlagen kann. Man möge die folgenden arabesken Vergleiche verzeihen: Da gibt es still pulsierende Ostinati in ungeraden Metren, die sich wie Rauchschwaden am Wüstenhimmel kräuseln, elegische Klaviermomente, die an Schubert oder Jarrett auf Salto schlagenden Teppichen gemahnen, oder ekstatische Rufe aus dem Freudendelirium eines Sufis.
Wie man auch immer die Bestandteile der Cyminology-Geheimwissenschaft erklären will – Fakt ist, dass das Quartett nicht von ungefähr regelmäßig bei Veranstaltungen im Berliner Völkerkundemuseum zu hören ist. Wer wie der Autor ein Konzert in diesem Rahmen mitbekommt, muss respektvoll den Fez ziehen. Die Gruppe übt einen Zauber aus, der knurrigen Oberstudienräten, ausgelaugten Eltern, missmutigen Jugendlichen und quengeligen Kleinkindern gleichermaßen ein Lächeln aufs Gesicht und ein asymmetrisches Wippen in die Füße zaubert. Es liegt an der sensiblen Interaktion innerhalb der Band, an den fein gesponnenen dynamischen Abläufen, die einen automatisch zum versonnenen Schweigen bringen. Und an dem faszinierenden Gesang der Leaderin. Das weiche Persisch einer längst vergangenen Epoche klingt aus ihrem Munde wie eine poetische Fantasiesprache. Ihre nonverbalen Vokalisen beschwören Assoziationen zu unerhörten Fabel-Instrumenten herauf.
Nach dem Gig erklären Cymin Samawatie und ihre Mannen im Museums-Backstagebereich, der standesgemäß ein Beduinenzelt ist, woher das alles kommt. „Meine Eltern stammen aus dem Iran“, erklärt die Sängerin, schon zu Schah-Zeiten waren sie nach Deutschland zu Studienzwecken gekommen. „Es war für mich also völlig normal, ein Leben in zwei Kulturen zu führen: sechs Wochen im Sommer, während der Ferien, als Mädchen mit Kopftuch im Iran, den Rest des Jahres als Schülerin in Braunschweig mit einem Hang zu Jazz, Pop und Gospel.“ Durch ihre Tante wurde sie auf die melodiösen Sprachkunstwerke von Poeten mit hierzulande eher unbekannten Namen wie Hafiz oder Omar Khayyam gebracht.
Ersterer verfasste im 14. Jahrhundert eine berühmte Gedichtsammlung, die Goethe später zu seinem „West-Östlichen Divan“ inspirierte, Letzterer wirkte um 1100 als bedeutender Astronom, Mathematiker und Autor einer einflussreichen Sinnspruchkompilation. Beide schrieben Texte, die in ihrer Mischung aus abgrundtiefem Liebesschmerz, schwer übersetzbarem Pathos und Erlösungsgewissheit wohl so etwas wie der Blues des persischen Mittelalters waren. Darauf kommt man unweigerlich, wenn man Cymins behutsame Jazzadaptionen dieser Werke hört. Niemand Geringeres als Bobby McFerrin war davon so beeindruckt, dass er die Deutsch-Iranerin vor zwei Jahren im Rahmen seines Auftritts bei den Braunschweig Classix auf die Bühne holte. Er kannte Cymin bereits von einigen Workshops und sang mit ihr den Vokal-Remix eines persischen Gedichts aus dem 11. Jahrhundert: „per sé“. So heißt jetzt auch die Debüt-CD des Quartetts (Double Moon/sunny moon).
McFerrin ist nicht der einzige Jazzstar, der sich von dem Cyminology-Konzept angetan zeigt. Der Vibrafonist und Berliner Universitätslehrer David Friedman spricht von einer „höchst befriedigenden Hörerfahrung“, Posaunen-Kollege Jiggs Whigham fühlt sich regelrecht emotional überrumpelt, Bassist David Friesen konstatiert eine „absolut gültige Verbindung“ zwischen iranischen Einflüssen und der Jazzbasis. 2003 gewann das Quartett überdies den internationalen Wettbewerb „New Generation“ in Straubing, der zur Teilnahme am Festival „Jazz an der Donau“ führte – neben Herbie Hancock, Dianne Reeves und George Benson. Dann kam auch Fernost in den Genuss der ungewöhnlichen Kulturtransformierungsprozesse der Hauptstädter. Als Musik-Botschafter im Auftrag der Universität der Künste bereiste Cyminology im März 2005 Südkorea. Jetzt ist es an der Zeit, dass Mitteleuropa die dunkle Schönheit des persischen Jazz-Mittelalters entdeckt.