Tré – Fundamental Music

Nach der Revolution

Jazz thing Next Generation Vol. 11

Fleißig, bescheiden, zuverlässig – mit einer Menge positiver Attribute weiß man das Wesen der Schweizer zu beschreiben. Vieles von dem trifft bestimmt auch auf die Zürcher Musiker von Tré zu. Doch Vorsicht, alles nur Augenwischerei! Sind die Jungs erst einmal losgelassen, kommt auf den Hörer eine geballte Stil-Mixtur zu: raffiniert und scharf angerührt, ohne das übliche Bass-Fundament, darüber hinaus mit viel subversivem Humor gewürzt. Eigensinnig und frech: Das ist nicht nur typisch „Next Generation“ – es kann auch „typisch schweizerisch“ sein.

Tré - Fundamental Music

Sogar Ex-Bundeskanzler Schröder ließ es sich vor kurzem nicht nehmen, während seines Aufenthaltes in Zürich auf einen Blitzbesuch im italienischen Restaurant „Cooperativo“ vorbeizuschauen. Immerhin gilt diese Lokalität als linke Hochburg, darin die verschiedensten Gruppierungen sich einfinden. Doch während der rote Gerd erst gerade von der politischen Bühne verschwunden ist, setzt sich auf der Carlo-Marx-Büste längst der Staub und die übermächtigen Comensoli-Bilder haben gewiss schon bessere Tage erlebt.

Schlagzeuger Christian Niederer (34) erwartet seine beiden Mitspieler jedenfalls im hinteren Lokalteil, dort, wo die Tische weiß gedeckt sind und nichts auf etwas Konspiratives hindeutet. Schweizer Qualität mahnt zur Pünktlichkeit, so stoßen Saxofonist und Posaunist hinzu, Tré als Trio ist nun komplett.

Als viel gefragter Posaunist kennt Bernhard Bamert (35) die ganze Jazzpalette von Kleinst- bis hin zu orchestralen Bigband-Formationen – wie die anderen Tré-Mitglieder im Übrigen auch. Im regen Austausch stimmen ihm alle gleich zu, kommt das Thema auf die sperrige Besetzung zu sprechen: „Das findet man wohl eher selten, und jazzgeschichtlich unüberwindbare Vorbilder sind so schon einmal ausgehebelt.“ – „Das erleichtert unsere Arbeit enorm“, ergänzt Thomas Lüthi (32) sofort, „wir haben uns an den schweizerischen Jazzschulen kennen gelernt, nach der professionellen Ausbildung galt es zunächst, eine Tabula-rasa-Situation zu schaffen.“ Niederer fügt hinzu: „Ohne einen fundament- und harmoniebildenden Bass mussten wir zwangsläufig neue Wege gehen und andere Kompositionsstrategien entwickeln. Wir brauchten daher lange, bis wir aus dieser Entwicklung einem natürlichen Fluss folgen konnten.“

Fleiß und Ausdauer gehörte dazu, auch um ständiges Tüfteln und gemeinsames Ausprobieren kamen die drei nicht herum. Vor fünf Jahren zündete die kreative Formation den Kick-down, um Altes auf den Kopf zu stellen und im Trümmerhaufen der (Musik-)Geschichte Neues aufzubauen. Hervorgegangen aus Christian Niederers Abschlussarbeit an der Jazzschule Luzern, an der damals Bambert und Lüthi bereits mitwirkten, funktionierte das Zusammenspiel gleich einwandfrei.

Lust auf ein späteres „klassisches Quartett“ mit treibendem Bass hatten sie indes alle nie. Die Grundbesetzung blieb bestehen und bildete den Auftakt für ein verheißungsvolles Miteinander, seither klingts aus voller Kehle: „Tré ist unser Lebensinhalt geworden und ist nicht irgendein Side-Projekt.“ Ein einig Volk von Stildieben also und wie gefitzt und mit allen Wassern gewaschen: „Unsere Eltern haben den Aufstand in den 68ern vorweggenommen, rebellieren geht also nicht mehr. Aber Bestehendes zerschlagen und neu zusammensetzen, das funktioniert!“, schieben sie als Ma(r)xime gleich hinterher. Teddy Adorno würde ob so viel unverkrampftem Selbstverständnis kurz räuspern und sich die Brille zurechtlegen. Die Revolution ist nicht mehr, „und doch kann dieses friedliche Koexistieren der Stile auch als gesellschaftliche Utopie verstanden werden“, wirft Thomas Lüthi einleuchtend in die Runde. Die andern nicken ihm zu.

Tatsächlich: Marching Brass, freie Impros, Drei-Minuten-Popsongs und Bebop gehen bei Tré eine friedvolle Liaison ein. Es ist eine freie, selbstbestimmte Liebe, bei der revolutionäre Love-&-Peace-Parolen nicht mehr laut skandiert werden müssen. Sich von allen Musikstilen lustvoll inspirieren lassen, das fördert auch ihr risikoreiches Musizieren (den schwindelfreien Hochseilakt ohne Bass und Boden beherrschen sie ohnehin).

Ihre Musik bringt aber auch Humorvolles zu Tage, nicht den krachledernen, sondern den schweizerisch verschmitzten Humor. „Wir sind Understatement-Typen“, prusten sie plötzlich im Unisono los, und nochmals erklärt Bamert seriös, wie handwerklich geschickt Tré mit gängigen Musik-Klischees hantieren und ironisch auf die musikalische Vergangenheit verweisen. „Oft haben wir einen fast naiven Zugang zu anderen Kulturbereichen. Wenn wir etwa Volksmusik aus dem Balkan in unsere Stücke mit einflechten. Da merken wir jeweils, dass uns dabei eine Verbildung eher im Weg stände“, sinniert Lüthi, „oft kann man in unseren Themen auch Fragmente von Kinderliedern vernehmen.“ Das ist in diesem wilden Stilmix möglich, ohne jemals platt zu wirken – wie das CD-Debüt „Fundamental Music“ (Double Moon/sunny moon) dokumentiert.

Wedeln wir zuletzt die Marx-Büste ein wenig ab, vielleicht würde Carlo heute ja diese leicht abgewandelte These in den Bart brummen: „Die Musiker haben die Noten nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Und beim Verlassen des Restaurants scheint es fast, er habe uns kurz zugezwinkert.

Weiterführende Links:
Tré

Text
Michael Heisch
Foto
Peewee Windmüller

Veröffentlicht am unter Next Generation

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