Aus der Redaktion
Über nichts streiten Jazzfans lieber als über Jazz. Da die größten Jazzfans in der Redaktion von Jazz thing sitzen, streitet niemand leidenschaftlicher über Jazz als die Jazz-thing-Redakteure. Das geht dann etwa folgendermaßen.
Axel: Seine Stücke sind ziemlich schwach, aber vor allem in der Improvisation fällt ihm ja überhaupt nichts ein.
Martin: Ihm fällt eine ganze Menge ein, er setzt es nur nicht richtig um.
Guido: Im Gegenteil, er setzt es optimal um, und zwar indem er sich gerade dem Erwarteten widersetzt, wenn ihr versteht, was ich meine.
Uli: Für mich war das immer klar, dass er das Konzept der Improvisation als Ganzes hinterfragt.
Uta: Er ist also einen Schritt weiter als die anderen?
Axel: Okay, geben wir ihm die Titelstory.
Bei meinem letzten Besuch in Köln ging es im weitläufigen Großraumbüro der Redaktion gerade besonders heiß her. Denn hier sind Perfektionisten am Werk.
Axel: Der kann doch einen 77-jährigen Musiker nicht einfach duzen und beim Vornamen nennen.
Martin: Er hat es aber getan, alle tun das.
Guido: Ja, im Englischen. Im Deutschen klingt das ganze Interview irgendwie künstlich.
Uli: Aber wir können doch nicht „Sie“ und „Mister Jones“ dafür einsetzen, das wäre ja eine Fälschung.
Uta: Kommt das „Du“ denn oft vor?
Axel: Gute Idee, wir kürzen. Ist sowieso zu lang.
Zuweilen müssen sich Jazzredakteure auch über orthografische Fragen einig werden. Da helfen nur langjährige Erfahrung, Fachwissen und Sachverstand.
Axel: Hat er nun hintereinander vier Grammys mit „y“ gekriegt oder vier Grammies mit „ie“?
Martin: Das lernen doch schon die Fünftklässler: Im englischen Plural wird „y“ zu „ies“.
Guido: Der Text ist aber auf Deutsch, diese Pluralbildung gibt es bei uns nicht.
Uli: Aber „ys“ sieht völlig verkehrt aus, die Leser halten uns doch für Vollidioten.
Uta: Hat er wirklich jedes Jahr einen Grammy gekriegt?
Axel: Genau, so schreiben wir’s.
Es gibt aber auch Situationen, die sind so verfahren, dass trotz vielfältiger Kompetenz keine Lösung mehr möglich scheint.
Axel: Was ist das eigentlich: Rai?
Martin: Ein Waschmittel.
Guido: Quatsch, marokkanischer Wüstenrap.
Uli: Ihr meint wohl Ra-hi?
Axel: Ist das nicht ein Transkriptionsfehler aus dem Arabischen?
Martin: Ich glaube, das muss „Räh“ heißen.
Guido: Nur im nordtunesischen Straßendialekt.
Uli: Das „i“ wird eigenständig lautiert.
Uta: Da fehlt noch die Diskografie.
Axel: Ja, dann müssen wir leider aufs nächste Heft schieben.
Pit Huber
Ja, doch… Jetzt gehen bei mir endlich einige Lampen an.
Aber bei Jazz thing wird wenigstens noch diskutiert. Andere stimmen bestenfalls mit sich selber ab, ob sie ein Thema ins Heft heben. Wenn der Chefredakteur sich noch kein abschließendes Urteil gebildet hat, weil die ästhetische Kompenente, ähm, Befremden auslöst, und sich deswegen halt der Stimme enthält, dann hat Chris Barber eben wieder mal Pech gehabt. Antrag abgelehnt! Dann schon lieber Peter Brötzmann und die Einstürzenden Neubauten bei ihrem Jam mit dem Buena Vista Social Club. Dafür gibt es wenigstens eine satte Mehrheit von 1:0.
Oder weiter südlich: „Do hänt mir scho lang koi G`schicht über de Satchmo mehr im Blättle g`hätt, also machet mir`s. Aber schreibet Se net zuviel, gell!“
Das Leidwesen der Diktokratie ist, dass viele mitreden und denken, sie würden die Prozesse tatsächlich noch beeinflussen. In einer Demokratur! Ha, dass ich nicht lachte! Wäre das erste Mal! In einer Zeitungsredaktion!
Liebe Grüße von einem guten Freund und Danke für die Enthüllung Pit!