Bass-Solo für Miles
Zwei Dinge, die auf meiner Liste von Lebenszielen sehr, sehr weit – ja, eigentlich nicht erkennbar – hinten standen, waren die Konzeption eines Bass-Soloprogramms und die Beschäftigung mit der Möglichkeit eines „Tributes“ für wen auch immer.
Da ich mit meiner Rolle als Bassist in der Band mehr als beglückt bin und ich zudem bei jedem Konzert ein bis zwei bisweilen ausufernde und von meinen Mitmusikern gefürchtete Intros spiele, kam mir die Möglichkeit eines puren Bassabends nicht zwingend in den Sinn.
Außerdem schienen mir andere Instrumente besser geeignet für einsame Bühnenbegehungen. So wird ein glückseliger Trompeter in einer Kirche seinem Ton ganz versunken mitunter mehrere Minuten nachlauschen dürfen. Und auf Vernissagen kann man natürlich mit einem Saxophon viel besser tief inspiriert zwischen den Skulpturen oder Installationen des Künstlers wandeln.
Schlagzeuger hingegen können allein schon durch die Menge des von mehreren Lieferwagen transportierten Instrumentariums, vom winzigen Schüttel-Ei über geweihte Gongs aus tibetanischen Klöstern bis hin zu bisweilen brennenden Metallfässern, einen imposanten Eindruck generieren.
Aber Bass?
Beim Besuch eines Solo-Konzertes des von mir sehr geschätzten Kollegen Eberhard Weber machte dieser in seiner wunderbar lakonischen Art eine dahingehende Anmerkung, dass er selber nicht wisse, ob er ein Konzert, das mit „Weber solo“ angekündigt wird, besuchen würde.
Ähnlich unklare Gefühle habe ich auch zu den in den letzten Jahren geradezu epidemisch grassierenden „Tribute“-Programmen. Einerseits gibt es Grandioses in dieser Sparte. Mir fällt Joe Hendersons Hattrick aus den 90er-Jahren ein. Oder auch Michael Schiefels Umsetzung der NDW-Thematik fand ich sehr gelungen. Anderseits scheinen oftmals kommerzielle Visionen Motor des kreativen Schaffens zu sein. Und schon Altkanzler Helmut Schmidt merkte an, dass Leute mit Visionen zum Arzt gehen sollten. Ich finde zudem die Vorstellung geradezu morbide, dass Musiker Wikipedia nächtelang dahingehend durchforschen, welcher Musiker, Maler oder Dichter demnächst irgendetwas zwischen seinem 20sten und 500sten Todestag begeht.
Zudem ist das Schreiben von Musik eine wesentliche Triebfeder meines Musikdaseins. Und in diesem Zusammenhang ist es genug an Tribut, mich von anderen Komponisten, bis an die Grenze des Diebstahls, inspirieren zu lassen.
So reicht mir also meine eigene Musik… meistens.
Doch jetzt hat es auch mich, und das gleich doppelt, erwischt.
Ich werde heute, am 4. Mai 08, bei einer so genannten Bass-Gala in Saarbrücken alleine Kontrabass spielen. Und das auch noch unter der Überschrift „Tribute to Miles“. Denn Top-Act des Abends ist die Basslegende Ron Carter. Da kommt also einiges, was zu hysterischen, nervösen Zusammenbrüchen führen kann, zusammen.
Nach dem Beckenbauer’schen Lebensmotto „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ (für den bildungsnahen Leser füge ich Wolf Biermanns Poesiealben-Weisheit „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ als Alternative an) suche ich also seit einigen Wochen eine Lösung, die nicht allein im Nachspielen von Miles Davis-Kompositionen verharrt.
Mittlerweile bin ich spielerisch zu der Erkenntnis gelangt, dass ich in meine Improvisationen kleine Miles-Module einbaue. Das werden Motive aus Soli, Bassriffs und Melodiefragmente des Meisters sein. Nichts Großes, eher abstrahierte Kürzel als Ausgangspunkte für Eigenes. Eingerahmt wird das Ganze von „Blue in Green“, dem Balladenklassiker gemischter Herkunft, und „Nardis“, einer von vielen Menschen häufig und von Miles wohl selten gespielten Komposition.
Bleibt als einfaches Zwischenfazit:
Bass spielen macht auch solo sehr viel Spaß.
Und niemand kommt zu spät zur Probe.
Stellt sich noch die grundsätzliche Frage, was Miles Davis, Genie und Inbegriff des hippen Musikers, mit mir, der fleißigen Kreativkraft vom Dorf, zu tun hat. (Von Rocko Schamoni gibt es das wunderbare Buch „Dorfpunks“. Sollte man mal auf Jazz übertragen…)
Um es kurz zu machen: Miles‘ Musik hat mich zu dem, was ich jetzt mal pauschal und undifferenziert als „akustische, improvisierte Musik“ bezeichne, zielsicher hingeführt. In meinem persönlichen Jazzbaum ist Miles wesentlicher Bestandteil des Stammes. Seine CD „Tutu“ aus der nicht unumstrittenen späten Phase war für mich die perfekte Einstiegsdroge in Sachen Jazz. Auf dieser Scheibe waren Klangerlebnisse, die ich mit meinem funkverdrehten Hirn verstehen konnte. Dazu dieser einzigartige Trompetenklang, den man nicht mehr missen möchte. So führte mein Forscherdrang mich bald zu den anderen Miles-Perioden. Eine inspirierter als die andere. Und immer wirkt des Meisters einzigartige Fähigkeit, seine Musik ständig zu ändern und sich trotzdem treu zu bleiben, exemplarisch.
Zudem steht Miles für ein einzigartiges Charisma. Ich hatte ein Jahr vor seinem Tod die Gelegenheit, auf dem Leverkusener Jazzfestival ein Konzert mit seiner letzten Band zu erleben. Auch in dieser späten Phase seines Lebens umgab den Trompeter eine ungewöhnliche Aura, welche sich unmittelbar auf seine Mitspieler auswirkte. Bei besagtem Konzert hatte Miles während des Konzertes hinter der Bühne eine Art Zusammenbruch. Während seiner zeitweiligen Abwesenheit sank das Niveau der Band schlagartig auf das einer beliebigen Funkband. Irgendwie überflüssig. Hinter der Bühne wurde der Trompeter zwischenzeitlich wieder hochgepäppelt und kehrte so kurzzeitig auf die Bühne zurück. Und mit ihm die Magie seiner Musik.
Wow, klasse Artikel.. eh.. Blog!
Ich wünsche dir viel, viel Erfolg und vor allem Freude bei der großen Herausforderung heute!
Zumindest hast du dann bei deinen zwangsweise ausufernden Basseskapaden keine Musiker um dich herum die drauf warten endlich auch spielen zu können.
Bass- Solo, ja, es gibt auch noch andere Seiten als die Basssaiten E, A, D und G:
Nur Du und der Bass an Deiner Seite!
Ein Solokonzert von Dir nahe meiner Heimat, das hätte ich gerne unter den 400 Gästen miterlebt!
Mir bleibt dann wohl ‚‘nur'‘ vergönnt, wieder nur darauf warten zu können, bis ich endlich auch spielen kann…
Aber diese Seite mag ich eben auch sehr und E, A, D und G sind gar nicht mal so übel, find‘ ich !
Chapeau!
Beste Grüße