Be happy

Lili LamengVor einigen Wochen erzählte mir eine Bekannte davon, dass sie ihr Leben grundsätzlich ändern wolle und sich auf der Suche nach dem Glück befände. Ich selbst habe aus ihrer Sicht ja schon das gefunden, was ich suchte, denn im Jazz könne es ja nichts anderes geben, als völlig mit sich eins zu sein. Folglich sei ich auch eine Inspiration für sie. Nur sei sie eben keine Musikerin und müsse das Glück auf anderem Wege suchen.

Ich war sprachlos. So hatte ich mich noch nie gesehen. Gerade in den letzten Monaten war ich des Öfteren darüber ins Grübeln geraten, wie ich meinem Leben mehr erfüllende Momente geben könnte. Ich war in einer Phase, in der ich mich erschreckend normal fand. Ein Mensch in den Mühlen der Routine, auch wenn diese von außen betrachtet aufregend erscheinen mag. Meine Stunden mit Musikschülern zählen sicher nicht dazu, doch Auftritte auf schummerigen Bühnen schon.

Die Bekannte war dabei, sich beruflich neu zu orientieren. In ihrem neuen Umfeld befanden sich Menschen, die sich ebenfalls weiterentwickeln wollen und sich dabei an anderen orientieren, die Unterstützung auf diesem Weg geben. Sie besuchen Workshops. Das fand ich interessant, hatte ich bislang doch nur Workshops im Jazzbereich besucht. Ich könnte auch an meiner Persönlichkeit arbeiten und so zu neuen Erfahrungen kommen.

Just am nächsten Wochenende sollte es einen „Glückstag“ geben, ein Einführungsseminar zum Glücklichsein, im Haus des Seminarleiters am Rande Berlins. Zwar schien mir der Seminartitel etwas anmaßend, doch schließlich wollte ich eine neue Erfahrung sammeln, und glücklicher wollte ich auch sein. Das würde sich sicherlich auch günstig auf meine Musik auswirken.

Der Seminarleiter empfing die zehn Teilnehmer im Souterrain seines Hauses. Bei der Begrüßung war er so konzentriert, dass er mir nicht in die Augen sehen konnte. Das Mobiliar hatte er mit weißen Tüchern verhüllt, es brannten Kerzen. Einige der anderen Teilnehmer kannten sich schon aus anderen Seminaren. Alle setzen sich in Sessel um einen Tisch voller Süßigkeiten. Zucker macht ja vorübergehend auch glücklich. Der Seminarleiter hatte zu beiden Seiten je einen Assistenten platziert, die waren auf dem Weg zum Glück wahrscheinlich weiter als wir. Die Assistenten durften allen Getränke einschenken und achteten darauf, dass wir ständig Tee oder Kaffee vor uns hatten.

Neben mir saß ein Mentaltrainer, der sich in der vierten Woche einer Fastenkur befand. Wahrscheinlich half das auch auf der Suche nach dem Glück. Die verschiedensten Berufe waren vertreten, und alle waren begierig, Neues zu lernen. Im Wesentlichen ging es darum, dass wir lernen sollten, „Leben in Glück zu verwandeln“. So schlimm fand ich mein Dasein auch wieder nicht. Ich besann mich auf gute Momente in meinem Leben. Die besten Auftritte, das Gefühl von Zeitlosigkeit beim Chorusspielen, die Spannung, wenn ich in einer neuen Band spiele.

Der Seminarleiter bezog sein höheres Wissen „direkt von Gott“. Ich habe nicht so eine Quelle. Beim Chorusspielen verlasse ich mich auf mich selbst. Immer wieder ging es um „Engramme“, die wir verändern müssten, um dem Glück näher zu sein. Wir sollten unsere Gewohnheiten verändern, Engramme überschreiben. Neue Gewohnheiten etablieren, das fand ich ganz gut.

So ging es bis zum Mittagessen. Danach fragte der Seminarleiter nach unserem Befinden. Daraufhin brach eine Teilnehmerin in Tränen aus. Sie habe nun verstanden, dass sie ihre Engramme dringend überschreiben müsse. Eine weitere neu Überzeugte weinte ebenfalls. Aggression sei für sie ein Problem, konstatierte der Seminarleiter. Auch der Mentaltrainer brach in ein trockenes Schluchzen aus. Ja, er habe viel erlebt und sei nahe am Durchbruch zum Glück.

Ich haderte mit mir, was ich denn sagen sollte. Es ginge mir wunderbar, und danke für die tollen Tipps zur Glückssuche. Keinesfalls wollte ich mich von dem Tränenmeer um mich herum erfassen lassen. Innerlich kochte ich vor Wut. Alles, was ich in letzter Zeit erlebt hatte, war besser als die Zeit an diesem Süßigkeitentisch.

Am Ende des Tages ging ich noch mal in mich. Ich wollte mich nicht noch den ganzen Abend ärgern. Was ist das Gute an der Sache gewesen? Ich habe wieder vor Augen geführt bekommen, dass ich keine Gurus mag. Ich denke gerne selbst. Ich kann selbst weiterexperimentieren. Ich kann mir neue Bühnen suchen, mich selbst anders präsentieren, endlich tanzen lernen und alle Antennen ausfahren, um gute Momente zu sammeln. Und dazu habe ich im Jazz die besten Voraussetzungen, das hat meine Bekannte schon richtig gesehen.

Veröffentlicht am unter Blog thing

STOP OVER 3 - A Residency Program

1 Kommentar zu „Be happy“

  1. Sehr schön, genau so isses!

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