Dem Jazzfan sei Dank!
Als ich anfing mich für Jazz zu interessieren, lernte ich über unsere Katze diesen jazzbegeisterten Nachbarn kennen. Er war es, der mir meine ersten Schallplatten von Thelonious Monk, John Coltrane, Miles Davis, aber auch von Musikern wie der deutschen Pianistin Jutta Hipp schenkte. Es war meine erste Begegnung mit einem echten „Jazzfan“! Die Schrankwand seines Wohnzimmer reicht bis unter die Decke und wurde speziell für sein Vinyl angefertigt. Er kauft sich regelmäßig neue Platten und CDs, liest interessiert die Liner notes, hat neben zahlreichen Biografien und Bildbänden natürlich auch „Das Jazzbuch“ von Joachim-Ernst Berendt und das „Jazzlexikon“ von Martin Kunzler im Haus. Am Abend macht er es sich mit einem guten Rotwein gemütlich, raucht genüsslich ein paar Zigaretten und hört lautstark seine Lieblingsmusik.
Die meisten Fans jedoch lernt man eher nicht durch das Haustier, sondern bei Live-Auftritten kennen. So zum Beispiel habe ich vor einigen Jahren ein Schweizer Ehepaar auf einer Jazzcruise getroffen. Sie sind bereits in Rente und derart jazzbegeistert, dass sie ihre Freizeit und ihren Urlaub immer mit Jazz-Events kombinieren. Für Konzerte reisen sie unzählige Kilometer und scheuen weder Geld noch Mühe. Zu jedem Wiedersehen bringen sie mir etwas mit, ich bekomme ein Feedback, was mein Spiel und Aussehen betrifft, und man verabredet sich zum nächsten Konzerttermin. Am Jahresende stellen sie dann eine CD mit den von ihnen gehörten musikalischen Höhepunkten zusammen, schicken Geschenke und melden sich auch sonst in regelmäßigen Abständen. Mit der Zeit ist daraus eine gute Freundschaft entstanden.
Ähnlich ist es mit einem wunderbaren Paar hier aus der Gegend. Ich komme seit vielen Jahren zum Klavierunterricht (an zwei Steinway-Flügeln!) in ihr Haus, in dem sie ab und zu auch Konzerte und Matineen veranstalten. Sie haben mich schon in vielerlei Hinsicht unterstützt und sind zu meinen Auftritten nach München, Holland, ja selbst bis Spanien gereist. Als meine Waschmaschine vor ein paar Wochen den Geist aufgab, haben sie mir zu Weihnachten eine neue geschenkt – das klingt unglaublich, ist aber wahr!
Viele Jazzfans lerne ich auch durch Workshops kennen. Manche Teilnehmer haben diese Musik gerade erst entdeckt und sind bereits ganz engagiert. Sie müssen teilweise noch von den Eltern zu Konzerten und Unterricht gefahren werden, schauen sich Konzertmitschnitte auf YouTube an und werden später vielleicht sogar den Weg zum Berufsmusiker einschlagen. Außerdem trifft man dort auf Hobbymusiker, die neben dem eigentlichen Broterwerb begeistert zu Workshops und Jazzkonzerten gehen, CDs kaufen und oft sehr informiert sind über Neuerscheinungen und Veranstaltungen. Interessant auch, die Geschichten von „früher“ zu hören. Der ein oder andere hat damals in den „Ami“-Clubs gespielt, der nächste bei Ex-Kanzler Kohls Vereidigung, ein weiterer arbeitete als Toningenieur im Studio des MPS-Labels und war bei den legendären Oscar-Peterson-Aufnahmen dabei. Mit einigen verbindet mich inzwischen eine langjährige Freundschaft, sie kommen zu meinen Gigs, schreiben Mails oder schicken Fotos und Kritiken und verfolgen alles, was ich beruflich mache.
Was waren das für Leute, die nach 1945 die Jazzclubs in Deutschland gegründet haben? Was sind das für Leute, die sich auch heute jedes Wochenende bis in die frühen Morgenstunden in die Kellergewölbe der Clubs in z.B. Ettlingen, Karlsruhe oder Villingen stellen? Die sich um das Booking, das Plakatieren, die Betreung der Musiker kümmern, ohne auch nur einen Cent dafür zu bekommen? Die meisten sind eben leidenschaftliche Jazzfans und machen es aus Liebe zu dieser Musik, wollen den Jazz unterstützen und live erleben und schätzen den direkten Kontakt zu den Musikern.
Der Katzenfreund und Nachbar hat mich inzwischen in seinem Testament als Erbin seiner gesamten Schallplattensammlung vermerkt. Als wäre das nicht schon rührend genug, hat er außerdem zwei weitere Plattenspieler, Ersatznadeln und Zubehör angeschafft und alles gut verpackt im Keller verstaut. Er möchte sichergehen, dass ich die Sammlung später auch wirklich hören kann: „Man weiß ja nie, wie lange es noch Schallplattenspieler gibt.“
Jazzfans aber wird es hoffentlich immer geben!