Kleine Meditation über Verpackung

Pit HuberSo. Geschenke eingepackt, Geschenke ausgepackt, was bleibt? Auf jeden Fall das Geschenkpapier. Man klaubt es vom Boden auf, faltet es zusammen, wiegt es in der Hand. Wie Hamlet einst seinen Totenkopf. „Schein oder nicht Schein, das ist hier die Frage.“ Verpackung ist Schein, ganz klar. Aber wie sagt der Philosoph: „Auch im Schein erscheint das Wesen.“ Zwischen den Jahren ist eine gute Zeit für Meditationen dieser Art.
 
Verpackung ist eine Botschaft. Opa bekommt seine Geschenke in einem anderen Papier als Klein-Leo. Man denkt das Geschenk mit, man denkt den Adressaten mit. Genauso ist es bei Albumcovers: Mit dem richtigen Signal sage ich das Richtige über die Musik und erreiche den richtigen Hörer. Eine Studie aus dem Jahr 1975 bewies, dass sich über 40 % aller Plattenkäufer am Cover orientieren. Das Cover ist das Image der Musik. Du musst nur die alte Doppel-LP-Hülle von „Bitches Brew“ sehen, fühlen, riechen – und spürst schon die Vibrationen darin.
 
Manche Albumcovers sind zu Ikonen geworden. „Sgt. Pepper’s“ etwa oder „Abbey Road“. Es gibt nicht nur Coverversionen von Stücken, es gibt auch Coverversionen von Covers. Die Gesichter-Collage auf „Sgt. Pepper’s“ – mit Dylan, Marx, Poe – wurde unzählige Male zitiert und gecovert. Ebenso die vier Jungs auf dem Zebrastreifen. Oder Jimi Hendrix‘ „Electric Ladyland“ mit all den nackten Damen. Selbst Albumcovers von Sonny Rollins wurden gecovert. Von Joe Jackson etwa, aber auch von Sandra Weckert.
 
Es gibt einen Freizeitsport im Internet, der heißt Sleeveface. Da halten Musikfans Plattencovers mit einem großen Musikerfoto drauf so vor ihr eigenes Gesicht, dass Musikergesicht und Fankörper zu einem Ganzen verschmelzen. Kann man googeln. Gibt’s sogar schon Bücher drüber. Macht Spaß. Unsere Musikleidenschaft verlängert sich hinein in die Bilderwelt der Albumcovers. Wir wollen auch optisch daran teilhaben.
 
Downloads haben keine Bilderwelt. Wer sich die Daten eines Songs runterlädt, sieht beim Anbieter zwar eine kleine JPEG-Datei – aber es ist ausgerechnet das Bild eines Albumcovers. Manche Download-Plattformen werben sogar mit einer Riesen-Collage aus legendären Albumcovers. Sie locken also mit dem, was sie gar nicht anbieten: mit physisch verpackten Alben. Downloads haben keine Optik, keine Haptik. Sie sind nackt, abstrakt, unverpackt.
 
Diese neue Bilderlosigkeit von konservierter Musik ist eigentlich ein Thema für einen Philosophen. Musik wechselt heute ihren Aggregatzustand. Oder um einen Vergleich zu wagen: Früher musste man zum Fluss gehen, um Wasser zu holen; dann grub man einen Brunnen im eigenen Hof; schließlich hatte man fließendes Wasser in jeder Wohnung. Früher musste man zum Konzert gehen, um Musik zu hören; dann hatte man Musikkonserven zu Hause; nun holt man sich Musik in jeder Wohnung aus dem Internet. Der Computer: ein Daten-Wasserhahn. Und wer aus dem Haus geht, hat immer seine Flasche Wasser dabei. Sein Ohren-Evian im iPod. Oder er zapft direkt mit dem Handy. Durst war gestern.
 
Für Bands, die hauptsächlich für den Download produzieren, lohnen sich eigenständige Albumcovers gar nicht mehr. Zitate genügen als Botschaft, ein Als-ob, eine Cover-Anspielung. Mostly Other People Do The Killing, kurz: MOPDTK, ist wohl so eine Band. Mit jeder Veröffentlichung zitieren sie ein bekanntes Jazz-Albumcover: In diese Richtung geht unsere Musik. Mostly other people still make albums…
 
Meine Generation dachte einmal, Musikkonserven seien wie wertvolle Flaschen Wein, die man sorgsam im Keller lagert und bei besonderen Anlässen liebevoll konsumiert. Jetzt stellt sich’s raus: Musik ist nur fließendes Wasser aus der Leitung. Jederzeit verfügbar. Gechlort und heruntergerechnet.
 
Pit Huber

Veröffentlicht am unter Blog thing

jazzfuel

1 Kommentar zu „Kleine Meditation über Verpackung“

  1. Kommentieren ist ein falsches Wort. Denn da gibt’s nichts zu kommentieren. Wahrheiten brauchen keinen Kommentar um noch wahrer zu werden.
    Und, lieber Pit: Du hast einfach recht und es gilt nur eine Träne zu zerdrücken ob dieser Einsicht, wenngleich ein Buch, das ich in aller Schwere und Pracht in der Hand halte, in vorgelesenem Zustand nichts von seinem Inhalt einbüßt.
    Und doch gibt das Rundherum eine Sorgfalt, Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, die den nackten Inhalt erst richtig wertvoll macht. Wozu man mit Schatulle Schatz sagt, wird ohne zum trivialem Geld.
    Sniiief…

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