Mean a thing

Christopher DellIt don’t mean a thing if it ain’t got that swing, sagt Duke Ellington. Es bedeutet nichts, wenn es nicht swingt. Dieser Satz definiert Musik also ex negativo. Das ist clever: Ellington sagt nicht, was die Musik meint, sondern nur, dass sie nichts meint, wenn sie nicht die Bedignung des Swingens erfüllt. Mal ganz abgesehen davon, dass es nicht einfach ist zu definieren, was swingt und was nicht, wird es noch schwerer zu sagen, was Musik bedeuten kann. Denn Sinn kann in der Musik nicht dadurch erzeugt werden, dass etwas etwas anderes bedeuten kann – so wie das Wort Hund auch Hund bedeutet. Musik ist in diesem Sinne eine nicht-repräsentierende Kunst.

Eine andere Möglichkeit, Sinn herzustellen wäre, Sinn aus Kohärenz zu deuten. Also zu sagen: Diese oder jene Musik ist für mich kohärent, sie bedeutet mir etwas. Meiner Meinung nach denkt auch Ellington in diese Richtung, denn swing ist ja ein Kohärenzzustand eines rhythmischen Flows. Allerdings könnte man einwenden, dass dieser Kohärenzzustand keine Allgemeingültigkeit besitzt: Was für den einen kohärent klingt, mag für den anderen fremd, unangenehm oder störend klingen. Das Gefühl für Kohärennz verändert sich jedoch auch mit der Hörerfahrung des einzelnen selbst: Erinnerte, bereits erfahrene Musik mag beim zweiten Hören stimmiger erscheinen. Was die Sache für den Jazz schwierig macht, denn anders als in der klassischen Musik ändert sich der Text in jeder Aufführung.

Bei einem Sympsoium an der Columbia University New York, zu dem ich unlängst eingeladen war, sagte der zur Zeit dort als Gastprofessor lehrende Wolfram Knauer, dass Jazz mit „minimal memory“ arbeite, also mit kleinsten erinnerbaren Erinnerungsstücken. Das ist interessant. Für mich bedeutet das, dass im Jazz nicht nur die Musiker immer neue Strukturen verknüpfen, sondern dass auch die Hörer immer neue Hörsyntheseleistungen zu bewerkstelligen haben. Jazzhören wäre dann um einiges aktiver als Klassikhören.

Wahrnehmung und Erfahrung sind in diesem Kontext entscheidende Parameter. Das Verstehen, was die Musik meint, hängt jedoch nicht nur mit der direkten Erfahrung zusammen, sondern auch mit der Vertrautheit mit historischen Entwicklungen. Die Erfahrung des Hörers ist gekoppelt an vorherige Erfahrungen, die ein Hörer bereits mit der Musik gemacht hat. Es ist dabei jedoch nicht so, dass andere Jazzstücke in seiner Erfahrung präsent wären (auch wenn er in Soli z.B. Anspielungen auf ein Monkstück erkennt), sondern seine Erfahrung mit anderen Jazzstücken beeinflusst den Charakter seines Hörens.

Zum Beispiel: Hörer A und Hörer B hören „In Walked Bud“ von Thelonious Monk. Nehmen wir an, A kennt Monks Musik gut, B hat nie vorher Jazz gehört.
Beide Hören das Stück als Musik. A’s Erfahrung wird qualitativ anders sein als die von B. Er wird andere Monkstücke in Bezug setzen können. Hinzu kommt, dass er u.U. auch den Spieler kennt (Milt Jackson) und dessen Entwicklung mit einbeziehen kann. A’s Erfahrung des Werks ist durch seine innere Beziehung zu dem Werk Monks und Jacksons gefärbt.

A hört dabei nicht zwei Dinge, also das, was klingt, und eine frühere Version des Stücks, sondern die beiden Stücke überlagern sich, koinzidieren. Man kann sagen: A hört erinnungsgeladen. Aber mit dem Zusatz, dass es sich – nach Knauer – um minimale Erinnerung handelt. Je öfter A hört, desto mehr trainiert er, diese Minimal-Erinnerungen zu verknüpfen und daraus Sinn zu schöpfen. A entwickelt so eine Konzeption von Monk, von Jazz, von Swing.

Ob etwas swingt oder nicht, hängt also davon ab, ob es in unsere Konzeption passt oder nicht. Voraussetzung aber ist: Wir haben überhaupt eine. Und das macht den Jazz so kompliziert. Im Prinzip ist es bei zeitgenössischer bildender Kunst nicht anders. Das Einzige, was anders ist: Dort gibt es einen Diskurs. Und das macht Sinn. Aber swingt das? Dazu nur Helge Schneider: Der frühe Vogel fängt den Wurm.

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3 Kommentare zu „Mean a thing“

  1. Die Behauptung des Dukes (resp. Irving Mills‘), Musik bedeute nichts wenn sie nicht swinge, kam mir immer schon so dreist vor, dass ich mich frage, ob der Titel nicht auch übersetzt werden könnte mit: „Wenn’s nicht swingt, ist auch egal“?

  2. Michael Gottfried

    Ich glaube ja, dass in dem Zitat lediglich ausgedrückt werden sollte, wie schön es doch ist, wenn die Musik „swingt“ und dies nicht dogmatisch gemeint war, sondern einfach nur so…

  3. Die Betrachtungen über Kohärenz, Koinzidenzen im Hören insbesondere vor (individuellen) Erfahrungshintergründen bzw. der Einbeziehung/Mobilisierung von „Minimal-Erinnerungen“ – Zitat Christopher Dell: „immer neue Hörsyntheleistungen“ – finde ich außerordentlich interessant; scharfsinnig und sehr einleuchtend analysiert. Auch ich glaube, daß „Jazzhören (dann) um einiges aktiver als Klassikhören“ wäre – ich glaube im Grunde, daß es in der Tat so ist (meine Erfahrunghintergründe in mehrerlei Musik-Genres sagen mir das).

    Ich bezweifele allerdings den ergebnisähnlichen Schluß – Zitat: „ob etwas swingt oder nicht, hängt also davon ab, ob es in unsere Konzeption passt oder nicht“. Ich erlaube mir hier mal, die leicht abweichende Differenzierung in „ob wir etwas als swingend wahrnehmen, hängt also davon ab…“ zur Diskussion zu stellen.
    Ich finde den kleinen Unterschied groß genug. Erst dann käme das für meine Begriffe der Wahrheit näher. Ziemlich nahe sogar, würde ich sagen.
    Zu beurteilen, ob eine swingende Musik nun auch wirklich swingt, würde wohl eine Art „fortgeschrittene Objektivität“ erfordern, die jedenfalls in einem vitalen Verhältnis zu fortgeschrittenem Niveau an erfahrenen, oder wenn man so will: abslovierten Hörsyntheseleistungen stehen müßte.
    Mit „vital“ meine ich, daß man über Swing gleichzeitig in einer eher verstandesbezogenen Weise „bescheid wissen kann“, also verstehen, was in der Musik da gerade vor sich geht und das dann auch spürt, also physisch empfindet, wenn’s swingt.

    Dazu eine sehr subjektives Statement: ich fand es immer ganz interessant, daß man so schwer (eigentlich gar nicht) erklären kann, was nun Swing ist – eigentlich mindestens genausowenig wie man z. Beispiel „Groove“ oder auch Blues „rein intellektuell“ erklären kann (aber das ist dann wohl doch noch ein bißchen anderes Thema) – also, ich fand (finde) gut daran, daß ich das alles genau gerad ohne die sonst übliche, in „westlicher“ Kultur ziemlich verankerte dualistische Aufteilung so mehr oder weniger gleichzeitig kapieren und empfinden kann. Auch zunächst kompliziertere Dinge wie z. Beispiel irgendwelche zusammengesetzte, ungerade Metren oder „weit draußen liegende“ harmonische Strukturen kann ich nach anfänglichen Denk-Phasen (möglicherweise) in dieses „Verstandesgefühl“ hineinnehmen. So viel als subjektive Erläuterung zu „Konzeption“ im Sinn wie oben zitiert.

    Noch einen Zweifel habe ich allerdings gegenüber der Feststellung, daß der einzige Unterschied zu zeitgenössischer bildender Kunst der sei, daß es dort einen Diskurs gäbe. Und das mache Sinn. Ich verstehe nicht ganz: soll das u. a. heißen, es „mache Sinn“, daß es diesen Unterschied zwischen Jazz und zeitgenössischer bildender Kunst gibt (wenn es ihn gibt)? Oder, daß es in zeitgenössischer bildender Kunst halt nun mal einen Diskurs geben müsse? Im Unterschied zu Jazz? Wenn ja, würde ich gern wissen wozu und auch: warum wohl nicht im Jazz.
    Also, wenn „Diskurs“ eine „Form einer verständnisorientierten Kommunikation, in der Aussagen und Argumentationen mit Blick auf eine gemeinsame Entscheidungsfindung nach festgelegten Regeln ohne Ansehen der Person und deren Status auf ihre Gültigkeit hin untersucht werden“ ist, gibt es ihn vielleicht – nur mal ein Versuch – explizit in der zeitgenössischer bildender Kunst etwa, weil man es womöglich anders nicht nachvollziehen könne, was da vor sich geht? Der Meinung wäre ich im Übrigen gar nicht mal. Wenn Diskurs als „gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung, Unterhaltung“ verstanden wird, erlebe ich das jedenfalls sehr wohl im Bereich Musik und, spezieller, ganz gewiß auch im Jazz-Genre.

    Interessant ist auch immer der Aspekt Zeit – hier besser gesagt: historische Zeit. So wie man im eigenen Erleben mit der Zeit Veränderungen – z. Beispiel in Hörkonzepten und subjektiver Rezeptionssynthese – wahrnehmen wird, wird man auch verstehen, daß z. Beispiel Swing zur Zeit sozusagen nicht gerade von in zahlenmäßiger Breite bemerkenswerten Teilen der Bevölkerung „verstanden“ wird. Das war schon mal sehr viel anders. Wenn Einer wie im ersten Kommentar (s. o.) allerdings so wenig Tiefgründigkeit in das Thema investiert hat, bevor er den Schnabel zum Reden aufmacht, daß er Herrn Ellington Dreistigkeit für seine – im Übrigen ziemlich subjektive und insofern allegorische – Behauptung vorwerfen zu müssen glaubt, dann wird schnell klar, daß der historische Aspekt komplett übersehen wurde. Mit dem flapsigen „Übersetzungs“-Versuch ist ja dann auch prompt eine nahezu inhaltslose Aussage gelungen – zum Thema jedenfalls (über die Befindlichkeit des Autors selbst sagt der Kommentar ja Einiges mehr…).

    Also, ob es swingt, daß es in der zeitgenössischen bildenden Kunst einen Diskurs gibt, glaube ich (auch) nicht.
    Ach, und wo ich gerad bei „Übersetzen“ war: Helge ist nicht etwa der Erfinder des alten angelsächsischen Sprichwortes „the early bird gets the worm“ und auch nicht unbedingt originell darin (nein, auch darin nicht), daß er das ins Deutsche übersetzt hat. Na ja, gut.

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