Mein Jazzbuch

Pit HuberBloggen macht richtig Spaß. Aber manchmal würde ich gerne etwas Größeres schreiben, ein richtiges Buch zum Beispiel. Am besten so eine gebundene Leinenausgabe im feinen Schutzumschlag mit goldenen, erhabenen Prägelettern: „Pit Huber: Alles über Jazz“, in der Art. Obwohl: „Alles“? Nein, die Geschichte des Jazz würde ich sicherlich nicht nacherzählen, das gab’s schon oft genug. Auch über Armstrong und Miles und die Bigbands wurde ausreichend geschrieben, über Marsalis und Freejazz ebenfalls. In meinem Buch ginge es um die wirklich spannenden Dinge. Etwa die stilistischen Kontinuationsprozesse in der trompeterischen Entwicklungslinie Navarro-Brown-Morgan. Oder die intonationstechnischen Qualifikatoren im Wandel der elektrifizierten Saiteninstrumente.
 
Nur dumm: Das Millionenpublikum bliebe dann wohl aus, die Goldprägung würde mir der Verleger glatt ablehnen: „Das Buch ist zu speziell!“ Eine Bekannte, die als Buchlektorin arbeitet, sagte mir sogar mal: „Wenn du ein Sachbuch richtig verkaufen willst, darfst du vom Thema gar nichts verstehen. Und dann musst du das schreiben, was deine Leser, die von dem Thema auch nichts verstehen, schon immer hören wollten.“ Nach ihrer Meinung ist es nur nötig, dabei mit ein wenig Autorität aufzutreten: Zitate, Zahlen, Kurven, Fußnoten. Dann wird es ein Bestseller.
 
Ich könnte also zum Beispiel über Wirtschaftspolitik schreiben, davon verstehe ich nämlich überhaupt nichts. „Der Euro macht uns kaputt“ wäre ein schöner Buchtitel, da applaudieren die Stammtische. Die Warenpreise vor und nach der Euro-Einführung, dazu kleine Statistiken und Tabellen, dazwischen noch ein bisschen Nostalgie: die schöne Kindheit, als das Brötchen noch acht Pfennige kostete. Acht Pfennige! Vielleicht auch eine rührende Anekdote über den Bäcker, der jeden Tag in unsere Straße kam, und über den Tante-Emma-Laden an der Ecke? 400 Druckseiten zusammenzubekommen sollte da kein Problem sein.
 
Auch von der Geschäftspolitik von Fernsehsendern verstehe ich rein gar nichts. Aber ein Buchtitel wie „Werbung macht blöd“ käme bestimmt an. Es gibt doch viel zu viel Werbung im Fernsehen – endlich sagt’s mal einer! Sicherlich lassen sich dazu auch ein paar prima Zahlen finden, Kurven mit Jahreskoordinaten, eindrucksvolle Steigerungen in Prozent. Früher, da hatten wir zwei Fernsehprogramme – und die sendeten Werbeblöcke nur zwischen 18 und 20 Uhr! Genau, das hat doch auch funktioniert!
 
Jetzt habe ich’s: Fußball! Von der Finanzpolitik der Vereine habe ich auch keine blasse Ahnung, aber eines weiß ich: „Fußballer verdienen zu viel.“ Ein schöner Buchtitel! Die Transfersummen: astronomisch! Die Jahresgehälter: galaktisch! Die Entwicklungskurven: halsbrecherisch! Um diese Millionen zu rechtfertigen, dürften Spitzenspieler eigentlich nie einen schlechten Tag haben. Niederlage gegen einen Zweitligaverein? Ein solches Versagen dürfte sich ein normaler Büroangestellter überhaupt nicht erlauben. Und man muss auch mal fragen, warum bei all den Millionen, die die Vereine einnehmen, die Stadion-Eintrittspreise für den Fan nicht stabil bleiben können. In meiner Kindheit kostete die Stehplatzkarte 2,50 Mark, für Jugendliche 1,50 Mark. Die Stammtische wissen, wovon ich rede. 500 Seiten könnte man darüber locker schreiben.
 
Ja, als Jazzkritiker bin ich für ein Thema wie Fußballer-Ablösesummen geradezu prädestiniert. So wie ein Bundesbank-Vorstand für Integrationsfragen von Migranten. Aber das Blöde ist: Eigentlich bereitet mir Schreiben eben nur dann richtig Spaß, wenn es um Jazz geht. Bloß: Wie macht man da einen Bestseller? Sarrazin würde wahrscheinlich die Stammtische befragen, was sie von Jazz halten. Oder die digitalen Nachfolger der Stammtische, die Internet-Foren. Okay, ich habe da schon mal ein bisschen vorgefühlt. Hier sind die ersten Stichwörter aus dem Internet: die Kapitel-Vorgaben für mein 1000-Seiten-Buch über Jazz.
 
– Ich halte mich für sehr tolerant, aber ich habe definitiv ein körperliches Problem mit Jazz.
– Musikalische Beiträge, die nicht zueinander passen: Jeder dudelt vor sich hin.
– Jazzhörer sind Masochisten.
– Jazz macht mich aggressiv. Ich wäre beim Hören von Jazz fähig, jemanden zu töten.
– Mich nervt diese aufgesetzte intellektuelle Attitüde.
– Jazz ist in den 70er-Jahren zum Stillstand gekommen.
– Meine Kopfhaut zieht sich zusammen wie beim Geräusch von Kreide auf einer Tafel.
– Jazzfanatiker lachen einen nur kopfschüttelnd aus.
– Unmelodisches Gedudel. Speziell von Saxofonen bekomme ich Zahnschmerzen.
 
Pit Huber

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