Merry Christmas, Rudolph!
Seit Tagen hat sich Rudolph in Gestalt eines Ohrwurms bei mir eingenistet. Noch eine Weihnachtsfeier, dann verlässt er mich hoffentlich wieder. Wenn ich dieser Tage meinen Nachbarn Martin beim Bäcker um die Ecke treffe, pfeift er „Jauchzet, frohlocket“ vor sich hin. Meine Lippen pfeifen unwillkürlich die Melodie vom rotnasigen Rentier als Antwort. Martin ist Klassiker, Trompete. Pfeifen dient auch seinem Ansatztraining. Fünf Weihnachtsoratorien hat er schon hinter sich, der Dezember ist seine Hochsaison.
Ich möchte auch eine sichere Hochsaison haben. Deshalb ist Rudolph trotz seiner Anhänglichkeit mein Freund. Ich bin froh, dass Weihnachtsjazz immer beliebter wird. Statt in Kirchen verdinge ich mich auf Weihnachtsfeiern größerer Firmen. Von mir verlangt man fröhliche Weihnachtsstimmung jenseits deutscher Besinnlichkeit. Auch wenn die Auftraggeber sich ganz allgemein etwas Weihnachtliches wünschen, so meinen sie doch Christmas Carols oder Winterlieder, so wie Ella sie singt, gar nicht betulich. „Have Yourself a Merry Little Christmas“, ein heiterer Trost für alle, die Weihnachten allein verbringen. Oder „Let it Snow“. Ein schöneres Bild von warmer Wintergemütlichkeit inmitten eines Schneegestöbers kann niemand singen. Ella wishes you a Swinging Christmas, meine einzige Weihnachts-CD.
Meine Bandkollegen haben sich zunächst gegen das amerikanische Weihnachtsrepertoire aufgelehnt. Überhaupt hatten sie ein unbestimmtes Verhältnis zu Weihnachten. Seit „Jingle Bells“ ununterbrochen in den Kaufhäusern ertönt und sich „O Tannebaum“ und „Kling Glöckchen kling“ auf den Weihnachtsmärkten überlagern, waren sie gegen Weihnachten immun. Natürlich backen sie keine Plätzchen mit ihren oder den Nachbarskindern. Um Geschenke für die Familie kümmern sich – so vorhanden – ihre Freundinnen. Weit entfernt waren sie von Ebeneezer Scrooge aus Charles Dickens‘ Weihnachtsgeschichte, der nach seiner Läuterung Weihnachten das ganze Jahr im Herzen trägt. Sie hatten Vorurteile gegen Rudolph mit seiner leuchtenden Nase, sie kannten ihn nicht.
Jetzt wissen sie um Rudolphs Einzigartigkeit. Dass er gar nicht vom Nordpol stammt wie seine Mitstreiter, sondern in einem ganz normalen Rentierdorf aufwuchs. Wie er von allen wegen seiner leuchtenden Nase gehänselt wurde und nur seine Eltern zu ihm hielten. Ein Underdog der Rentierwelt. Und wie er dann Santa Claus in einer nebeligen Weihnachtsnacht begegnete und ihm aus der Patsche half, indem er ihm den Weg zu den Kindern mit seiner Nase erleuchtete. Und dass er seitdem Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet und Cupid, Donder und Blitzen anführen darf. Eine Erfolgsstory, auch für Rudolphs Erfinder Robert L. May, der seine Geschichte 1939 schrieb. Innerhalb von sieben Jahren wurde das Buch über sechs Millionen Mal verkauft. Noch besser wurde es, nachdem Robert Mays Schwager Jonny Marks die Story in den Song verwandelt hatte und Gene Autry diesen 1949 aufnahm: Zwei Millionen Platten wurden im selben Jahr verkauft. Nur „White Christmas“ ist noch bekannter.
Also wird Rudolph auch uns zumindest zu einer sicheren Hochsaison verhelfen. Das haben die Jungs eingesehen. Rudolph ist nun auch ihr Freund. Zu Weihnachten wird Santa ihnen T-Shirts mit Rudolphs Konterfei schenken.
Good old Rudy ist definitiv ein Swinger und ein echter Jazz Messenger. Um seiner Jazz-Botschaft auch hierzulande auf die Sprünge zu helfen, habe ich vor Jahren sogar mal eine deutsche Version geschaffen. Die „Sendung mit der Maus“ wollte sie nicht haben, daher nun exklusiv auf BLOG THING – zum Mitsingen:
Rudi, das kleine Rentier,
Hat ’ne Nase, die rot glüht,
so wie eine rote Ampel,
die man auch im Dunkeln sieht.
Rudi, das kleine Rentier,
wird darum oft ausgelacht.
Wenn die andern Tiere spielten,
hat er selten mitgemacht.
Doch in einer Winternacht
kam der Weihnachtsmann,
fand im Dunkeln nicht den Weg -
weißt du, wer ihm helfen kann?
Rudi, das kleine Rentier,
hat ’ne Nase, die rot glüht.
Stolz auf ihn sind alle Tiere,
wenn er nun den Schlitten zieht.