Céu

Metropolis in den Tropen

In den letzten zehn Jahren gab es hierzulande um kein brasilianisches Pop-Phänomen mehr medialen Aufruhr als um Maria do Céu Whitaker Poças, kurz Céu. Nun hat sich die Schöne aus São Paulo für ihr viertes Studioalbum „Tropix“ (Six Degrees/Indigo) nach den psychedelischen Retrosamba-Sounds eine elektronische Verschlankungskur verordnet.

Céu (Foto: Luiz Garrido)

Bevor man auch nur einen Ton aus dem neuen Werk gehört hat, stellt bereits das Cover klar: Hier hat ein Ästhetik-Wechsel stattgefunden. Als halbmythische Gestalt grüßt die Protagonistin, die Gesichtszüge im Schwarz-Weiß verschattet, funkelnde Hochhauslichter um sie herum. Man hat das schon mal gesehen, und Céu hilft auch auf die Sprünge, wo:

„Ich wollte mit der Idee spielen, eine Art Roboter zu werden, so wie die Maria in Fritz Langs ‚Metropolis‘. Denn diese neue Platte flirtet mit der synthetischen Welt, der Elektronik und den Maschinen.“ Und sie beeilt sich hinzuzufügen: „Ohne freilich die Tropen auszuklammern, für die steht der glänzende Schimmer auf dem Bild.“ So erklärt sich auch der Titel dieses Werks, den sie aus „Tropen“ und „Pixel“ zusammengesetzt hat, eine Hommage an die kleinste grafische Einheit des Computerzeitalters, übertragen in die akustische Welt. „Ich fühle mich ein bisschen wie das Pixel, ein Mikroteilchen in der digitalen Welt.“

Was sich reichlich abstrakt anhört, gewinnt beim Hörgenuss von „Tropix“ schnell Konturen. Céu lässt nicht wie auf ihren früheren, versponnenen und fantasiereichen Alben die Keyboards als Gimmicks durch die Texturen flubbern, sondern nutzt sie als kräftiges Gerüst, um packende Popsongs zu bauen. Dafür hat sie sich gleich zwei Produzenten an Land gezogen: Zum einen den alten Kumpel Pupillo, der einst als Nação-Zumbi-Drummer wirkte und bei vielen wegweisenden Scheiben der brasilianischen Popmoderne am Pult stand. Zum anderen aber den Franzosen Hervé Salters, besser bekannt als General Elektriks. „Hervé ist ein großer Kenner von Synthesizern und besitzt eine ungeheure Sensibilität. Durch ihn konnten wir aus unserer brasilianischen Einigelung rauskommen.“

In der Tat lebt „Tropix“ von der Spannung Europa-Brasilien. Im Intro zu „Étilica“ könnte sich ein Song aus der Frühphase von Depeche Mode verbergen, und in der „Rapsódia Brasilis“ schwingt die Präzision eines Kraftwerk-Patterns mit. Dank dem Streichereinsatz und funkiger Knackigkeit wird aber auch in Richtung organischem Soul und Funk à la Daft Punk ein Törchen geöffnet

„Wenn du dir die Maschinen wegdenkst, dann hast du plötzlich wieder Sambas und Xaxados“, deckt Céu auf. „Es gibt hinter der Elektronik unzählige organische Elemente auf dem Album, vieles, was jenseits der Broken-Beats-Welt Bedeutung hat.“

In ihrer Ode an die Maschinen, so philosophiert sie weiter, sei sie sich ja immer bewusst, dass Technik mitten im Urwald schnell Rost ansetze. Deshalb klingt „Tropix“ auch keinen Takt lang steril, spielt mit der Vergänglichkeit des Künstlichen, die sich sinnträchtigerweise vor allem in einem Fuhrpark analoger Synths ausdrückt. Der wird immer wieder torpediert von der Stromgitarre Pedro Sás, seit den Neunzigern einer der unbestrittenen Saitenhelden aus Rio:

„Es war das erste Mal, dass ich mit Pedro aufgenommen habe. Er war die Idealbesetzung für mein Anliegen, dass die Gitarre sehr punktuell zwischen den Keyboards hervorblitzen sollte.“

Die organischste Andockstelle in diesem Klangraumschiff ist freilich Céus Stimme, die nicht mehr so verträumt und durch einen Schleier daherkommt wie einst, sondern an Direktheit gewonnen hat. Im Spiel von Tradition und Futurismus kann sie sich mal im Glamrock- und Postpunk-Setting austoben, etwa wenn sie den „Chico Buarque Song“ der Band Fellini covert, der einzige Moment in englischer Zunge auf dem Werk.

Dann wieder geht Céu in einen ganz sinnlichen Kontext mit ihren Vocals, wenn sie wie in „Sangria“ zwischen Fado und Sehnsuchtssamba umherschwirrt. Die Komposition hat freilich nichts mit dem Eimergesöff aus Malle zu tun, sondern schüttet in grandiosen poetischen Bildern die Nöte eines offenen, blutenden Herzens aus.

Kein Zweifel, das Image der Märchenprinzessin von einst hat die mittlerweile 36-Jährige ad acta gelegt. Bloß in den Lyrics der „Rapsódia Brasilis“ zeigt sich noch eine charmante Erinnerung daran:

„Da erzähle ich die Geschichte eines Mädchens aus einer superaristokratischen Familie, die viel lieber unterm Küchentisch bei der schwarzen Hausangestellten spielt, als artig bei den Eltern am Esstisch zu sitzen.“ Sie pausiert ein wenig.“ Könnte auch meine eigene Geschichte sein.“

Text
Stefan Franzen
Foto
Luiz Garrido

Veröffentlicht am unter 114, Feature, Heft

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