Daniel Herskedal

Das passende Ventil

Die Tuba drückte ihm jemand in die Hand, die Basstrompete erstand er für eine Hand­voll Dollar bei einem Krämer in Man­hattan. Daniel Her­ske­dals Kunst ist ge­prägt von Zufällen, die sich aber in Alben wie „Harbour (Edition/Membran) kreativ brillant verdichten.

Daniel Herskedal (Foto: Knut Aaserud)

Nett sieht er aus. Ein gut gelaunter Enddreißiger im Norwegerpulli vor gleißendem Molde-Licht, das durch das Fenster im Hintergrund des Zoom-Bildschirms fällt. „I‘m a nice guy, meint Daniel Herskedal, er müsse ja auch vorsichtig sein, wegen der Lippen und der Finger.

Als Jugendlicher allerdings stieg er gerne in den Ring. Denn er entstammt einer Familie der Fäuste. Sein Großvater war Boxer, die Brüder sind vom Fach, und in der nächsten Generation stehen schon Neffen am Sandsack. Fast hätte auch er sich dieser Tradition gewidmet, wenn nicht einige Zufälle dagegen gearbeitet hätten.

„Eigentlich habe ich French Horn gespielt und mich gelangweilt, erinnert sich Herskedal an die entscheidende Phase der musikalischen Selbstfindung. „Ich wollte lieber boxen, aber als ich 14 war, verlor mein Club seinen Coach, und ich musste da erst einmal aufhören. Ich bin aus Molde, und dessen Jazzfestival bietet neben Konzerten auch Workshops an. Dort bin ich gelandet. Jemand drückte mir eine Tuba in die Hand, ich kannte das Instrument von meinem Bruder, der auch Tuba spielte. Im Workshop starteten wir eine Jazzband, ein paar Monate später hatten wir unseren ersten Auftritt. Dadurch wurde etwas losgetreten. Schließlich fing ich an, Tuba zu studieren.“

Damit war der Junge für den Leistungssport verloren, machte dafür seinen Bachelor in Trondheim, zog weiter nach Kopenhagen und stellte fest, das sowohl die klassische Musik als auch der Jazz für sein Instrument nur ein begrenztes Repertoire zu bieten haben. Herskedal begann, sich mit Volksmusiken zu beschäftigen, mit dem Joiken des Nordens und der Tonalität des Südens:

„Ich bin auf Tournee durch Syrien oder den Libanon gereist, habe Musiker getroffen, unterrichtet. Freunde wie Maher Mahmout, der aus Syrien flüchten musste, kenne ich aus Dänemark, er hat zum Beispiel Oud auf meinem Album „Voyage‘ gespielt. Aber ich glaube, diese Einflüsse begleiten mich viel länger, als es mir ursprünglich bewusst war. Mit meiner Mutter fuhr ich zum Beispiel als Zehnjähriger in die Türkei, in ein Fischerdorf für einen Malkurs. Mein Bild von einem Minarett konnte ich sogar verkaufen, als Einziger im Kurs. (lacht) Jedenfalls bin ich zur orientalischen Musik gekommen, vielleicht weil sie sich älter anfühlt und Tonalität besser bewahrt hat als vieles aus unserem Kulturkreis. Hier ist in der Folk Music alles systematisiert, klanglich manchmal weniger offen.“

Auf seinem neuen Album „Harbour“ tritt das orientalische Element allerdings ein wenig in den Hintergrund, obwohl man es in vielen Phrasierungen erahnt. Das liegt auch am Konzept. Denn nach drei Programmen mit derselben Basisband sollte es diesmal ein Zwischenresümee werden. Die Seuche allerdings krempelte vieles um. Von den 2020 geplanten Konzerten wurden rund vierzig abgesagt, gerade drei fanden tatsächlich statt:

„Für mich ist das meine bislang wichtige Band, also musste etwas geschehen – neue Musik, Experimente, Aufnahmen. Die Stücke entstanden im vergangenen Sommer, und als immer mehr Konzerte ausfielen, haben wir die Termine mit Proben besetzt, um möglichst weit in das Material eintauchen zu können.“

Von den Mitstreitern blieben der Pianist Eyolf Dale und der Schlagwerker Helge Norbakken übrig. Die karge Besetzung erwies sich als Chance, alle gleichberechtigt wirken zu lassen. Als die lange Winternacht nahte, zogen sich die Drei auf eine Insel in die Ocean Sound Recording Studios in Giske zurück. Kaum Tageslicht, keine Ablenkung, raues Meer vor der Tür, gelassene Konzentration:

„Wir haben einiges mit der Musik erlebt. Es wurde Zeit, dass sie nach Hause kommt, in einen Hafen einfährt und dort eine Weile bleibt. Einerseits, um Geschichten von unterwegs zu erzählen, andererseits, um Zeit zum Planen zu haben, wohin es als nächstes gehen soll.

Dale schuf weit ausholende Schwebungen am Klavier, Norbakken trieb mal feine Pflöcke, mal wuchtige rhythmische Wegmarken in die Klanglandschaft, Herskedal wanderte legatesk mit Tuba und Basstrompete die Pfade entlang. Es entstand folkgetönte, übergreifende Harmonie aus der Gemeinsamkeit. Ein Stopp der Reise am Rand der Welt. Nur manchmal kehrte die surreale Gegenwart in den Künstlerkosmos zurück. Boxen als Entspannung, mit VR-Brille. Dann schlug Herskedal Löcher in die Luft. Das kann gut tun, daheim, in the middle of nowhere.

Text
Ralf Dombrowski
Foto
Knut Aaserud

Veröffentlicht am unter 140, Feature, Heft

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