Dee Dee Bridgewater
Viva la deeva!
Für unsere aktuelle Titelgeschichte (Jazz thing Nr. 108, ab 28.3. am Kiosk) hat der Fotograf Thorsten Roth die umtriebige Dee Dee Bridgewater doch noch mal so gerade rechtzeitig zwei Tage vor Druckübergabe in New York vor die Linse bekommen. Vor zwanzig Jahren lebten beide, Dee Dee und Thorsten, in Paris, und dort hatte er sie, ebenfalls für eine Jazz-thing-Titelgeschichte, in genauso posierfreudiger Laune vorgefunden. Die Titelstory von 1995 von Redakteur Guido Halfmann mit den Fotos von Thorsten Roth finden Sie jetzt hier. Und Sie werden sehen: Dee Dee ist absolut zeitlos.
Vive la deeva!
„Love and Peace“ heißt Dee Dee Bridgewaters neues Album, ein Tribut an den Pianisten und Songwriter Horace Silver.
Nach etlichen Um- und Irrwegen war sie Mitte der Achtziger wieder da angekommen, wo sie begonnen hatte: beim Jazz – und bei den Standards. Jetzt will Dee Dee Bridgewater den Kanon der großen amerikanischen Songwriter um einen Namen bereichern: Horace Silver.
Doch als Dee Dee uns (den Fotografen, die Visagistin und mich) mit ihrem Jeep durch die verstopften Straßen ihrer Wahlheimat Paris kutschiert, klingt sie alles andere als lieb und friedlich. Ganz und gar nicht diva-like bedenkt sie drängelnde und vorfahrtnehmende Autofahrer mit den schlimmsten Flüchen. Eine halbe Stunde und drei Beinaheunfälle später sind wir endlich am Ort unseres Foto-Shootings angekommen – und Dee Dee ist wieder so entspannt wie beim Interview zuvor. Geduldig lässt sie alles über sich ergehen: den immer zur Unzeit einsetzenden Regen, endlose Märsche zwischen den Locations, Kostümwechsel in C&A-Umkleidekabinen und Bistrotoiletten. Selbst ein obskurer Drehbuchschreiber, der ihr eine Rolle in seinem ersten Film aufschwatzen will, kann sie nicht aus der Fassung bringen. Nach vier Stunden machen sich aber doch Ermüdungserscheinungen bemerkbar: „Jetzt siehst du, was das für ein harter Job ist“, meint sie erschöpft – und ihr Gesichtsausdruck verrät, dass sie damit nicht nur die Fotosession meint.
Dabei war Dee Dees Talent schon früh erkannt worden. Ihr Vater, ein Jazztrompeter, hatte sie im zarten Alter von anderthalb Jahren mitgenommen, als er einen Tour-Job bei Dinah Washington bekam. Der elterlichen Legende nach war Diva Dinah von Baby Dee Dee schwer angetan: „Das Kind wird einmal eine Sängerin werden“, prophezeite sie. Doch der Weg zum derzeitigen Erfolg war für Dee Dee nicht gerade mit Wattebäuschen gepolstert – und er verlief längst nicht so geradlinig wie der Champs Elysée.
Begonnen hat Dee Dees musikalischer Werdegang mit „klassischem“ Jazz – und das, obwohl sie in der Blueshauptstadt Memphis geboren ist:
„Ich liebe den Blues – und ich streue auch immer mal einen Bluessong dazwischen. Vielleicht hätte ich mich mehr dem Blues zugewandt, wenn es nicht als etwas erachtet worden wäre, das Schwarze nicht tun sollten. Blues ist eine Musik, die aus der Armut geboren wurde, aus dem Leiden, aus der schlechten Behandlung. Es ist eine Musik, die die meisten schwarzen Leute, besonders aus der Generation meiner Eltern und Großeltern, nicht mögen. Meine Mutter hat mich immer angefleht: ‚Bitte sing keinen Blues.‘“
Auch örtlich entfernte sich die Familie vom Blues: Aufgewachsen ist Dee Dee in einer Industriestadt im Norden – wo die einzige Inspiration eine General Motors-Fabrik war.
Nach einigen Auftritten mit College- und University-Bands bekam Dee Dee 1970 im Alter von 20 Jahren den ersten professionellen Job: Gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann Cecil Bridgewater stieg sie bei der Big Band von Thad Jones und Mel Lewis ein. Dort lernte sie entscheidende Lektionen – wenigstens einige davon waren musikalischer Natur:
„Thad sagte immer: ‚Rognon‘ – er hat mich immer Rognon genannt, keine Ahnung wieso, auf französisch heißt das Niere! – Er sagte also immer: ‚Rognon, du musst es so machen: Du musst immer erst die Melodie und den Song entwickeln. Das schuldest du erstens dem Komponisten, und zweitens sieht dein Publikum daran, ob du gut improvisieren kannst oder nicht. Wenn du erst die Melodie singst und dann improvisierst, haben sie eine Basis und können vergleichen.‘ Direkt mit der Improvisation anzufangen, war seiner Meinung nach der schlimmste Fehler, den man machen kann, wenn man Jazz singen will. Das war für ihn die Zerstörung einer Komposition.“
Dee Dee Bridgewater war eine gelehrige Schülerin und entwickelte sich bald zum Star der Show. Nebenher machte sie sich einen Namen als Sessionsängerin, u.a. sang sie auf Stanley Clarkes Solo-Debüt „Forever Dreams“ und auf mehreren Platten von Norman Connors und Roy Ayers. Ihre musikalischen Interessen entwickelten sich dadurch immer weiter in Richtung Fusion und Soul. Mitte der 70er wagte sie dann wie viele ihrer Kolleginnen den Crossover zum Pop – eine Entscheidung, die ihren Ruf beim Jazzpublikum bis in die 80er hinein beeinträchtigte. Die Gründe für diesen Schritt sollten aber auch hartgesottene Kommerzfeinde akzeptieren:
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