Dee Dee Bridgewater
Viva la deeva!
„Ich wollte kein Superstar werden. Ich wollte einfach nur leben – von meiner Musik. Weißt du, es ist ziemlich schwierig, in Amerika mit Jazz eine Familie durchzubringen. Ich hab das mit meinem ersten Ehemann Cecil erlebt: Er war ein Jazzpurist– und er bewegte seinen Arsch nicht, um seine Familie zu unterstützen. Also musste ich das tun: Tagsüber habe ich als Sekretärin gearbeitet, und abends habe ich gesungen.
Ich habe mit Pop angefangen, als ich es bei Thad und Mel einfach nicht mehr aushalten konnte. Wir hatten eine Art Liebe/Hass-Beziehung. Je mehr ich meinen Ruf als Sängerin entwickeln konnte, desto weniger haben sie mich singen lassen. Es wurde eine Art Wettbewerb. Im Vanguard war es oft so, dass die Leute gegangen sind, wenn ich nicht gesungen habe. Dann fingen sie an mit: ‚OK, du singst zwei Songs im ersten und zwei im zweiten Set.‘ Aber der erste Set ging vorüber – und dann hieß es: ‚Oh, wir haben ganz vergessen, dich aufzurufen.‘ Dann durfte ich ein oder zwei Songs am Ende singen, wenn keiner mehr da war.
Schließlich fingen sie auch noch mit dieser Scheiße an, dass Cecil und ich ja beide in der Band arbeiten und zu viel Geld verdienen würden. Also haben sie mir das Gehalt gekürzt. Auf einmal habe ich Konzerte gemacht, für die ich überhaupt nichts oder vielleicht 10 Dollar oder so bekommen habe. Mehr als 25 Dollar hat da sowieso nie jemand verdient… Außerdem hatte ich auf meinen Tourneen in Europa erlebt, dass Leute wie Miles und Dizzy und Max, Sonny Rollins oder Dexter Gordon hier in den Clubs spielten und absolut nichts verdienten. Ich wollte nicht mein Leben damit zubringen, zu leiden und vielleicht unglücklich und drogensüchtig zu werden. Also sagte ich mir, lass mich aus dieser Scheiße rauskommen.
Ich habe dann zunächst Theater gemacht. Ich liebe das Theater. In meiner Kindheit habe ich mir oft heimlich die alten Musikkomödien angeschaut und davon geträumt, wie es wäre, eine dieser endlosen Treppen herunterzuschreiten, umgeben von Hunderten von Männern… Ich habe dann für ‚The Wiz‘ vorgesungen – und nach vier Auditions die Rolle der Glinda bekommen. Nachdem ich dann den Tony-Award für diese Rolle bekommen hatte, hat man mir Plattenverträge angeboten – und ich habe Jerry Wexlers Angebot angenommen, zu Atlantic zu kommen. So bin ich vom Jazz zum Pop gekommen – wo ich einige schreckliche Poperfahrungen gemacht habe…“
So stand schon ihr Atlantic-Debüt unter einem schlechten Stern: Die Stücke, die sie hierfür mit Jerry Wexler (mit dem sie schon auf dem Cast-Album zu „The Wiz“ gearbeitet hatte) als Produzent aufgenommen hatte, wurden nicht veröffentlicht – unter anderem, weil Wexler die Firma bald nach den Sessions nicht gerade im Frieden verlassen hatte. Auch bei Elektra, ihrer zweiten Station, geriet sie bald in firmenpolitische und andere Turbulenzen. Trotzdem entstand dort immerhin ein Album, hinter dem sie nach wie vor steht:
„Das erste Album dort mit Stanley Clarke (‚Just Family‘) war das einzige, wo ich selber entschieden hatte, wie ich die Musik haben wollte. Ich wollte damals mehr in Richtung Rock gehen. Es ist das einzige von meinen drei Elektra-Alben, das wirklich einen Eindruck davon gibt, was ich musikalisch zu sagen hatte – und wo ich einen Produzenten hatte, der mir wirklich zugehört hat.
Das zweite Album habe ich dann mit George Duke aufgenommen (‚Bad For Me‘), weil die Plattenfirma wollte, dass ich etwas mache, was mehr fonkee ist – das war zur Disco-Zeit. Ich mag George Duke und seine Musik, aber es hatte nicht viel mit dem zu tun, was ich machen wollte. Zu der Zeit wollte ich mit den Eagles zusammenarbeiten – und ich habe mit Jackson Browne rumgehangen.“
Anfang der 80er Jahre hatte Dee Dee die Nase vom Plattenbusiness und von Amerika gestrichen voll – nicht nur aus künstlerischen Gründen:
„Ich wurde sehr verbittert und habe mir gesagt, ich höre besser auf damit, bevor es noch schlimmer wird. Man hat mir ständig diese Angebote gemacht – ich war jung, man hat mich als sexy young chick gesehen… Ich habe mich geweigert, mit dem Vizepräsidenten von Atlantic ins Bett zu ghen – so ist mein Kram da im Regal gelandet. Bei Elektra habe ich mich auch geweigert, mit jemandem ins Bett zu gehen – und so ist mein Kram auch da im Regal gelandet. Und dann hat man mir gedroht, dass ich nie mehr einen Vertrag bekommen würde, wenn ich darüber rede. Und in gewisser Weise ist das auch passiert: Ich wurde auf die schwarze Liste gesetzt… Also sagte ich: ‚Verdammt – ich mach was anderes.‘
Dann habe ich angefangen, wieder mehr Theater zu spielen – und auch da habe ich Probleme bekommen: Ich war ihnen nicht schwarz genug, ich habe zu sauber gesprochen, und ich hatte die typischen Black Features nicht: große Lippen, große Nase, großen Arsch; ich war nicht dunkel genug, mein Haar nicht kraus genug… AIs ich dann ein Angebot von einer Touring Company bekam, mit ‚Sophisticated Lady‘ auf Tour zu gehen, habe ich nur gefragt, wohin – und als sie sagten, erst sechs Monate durch die Staaten, dann nach Japan, danach Frankreich, habe ich nur gesagt: ‚lass uns gehen‘. Ich lernte hier in Paris einige Leute kennen, und nachdem die Show vorbei war, entschloss ich mich, zu bleiben.“
In den nächsten Jahren konnte sich Dee Dee in Frankreich als Musicalsängerin etablieren und gleichzeitig einen soliden Ruf als Jazzsängerin aufbauen – mit Standard-Interpretationen:
„Als ich nach Paris kam, hatte ich die Charts von meinen Pop- und Fusion-Alben dabei. Aber ich habe niemanden gefunden, der sie lesen konnte. Dann kamen die ersten Engagements für kleinere Konzerte oder Jazzfestivals. Dort haben sie Rhythm Sections für mich zusammengestellt – und das einfachste war es halt, Standards zu machen. Das war 1986. Irgendwann dachte ich mir: ‚Mann! Niemand singt heute mehr Standards – alle nehmen Originalmaterial auf. Scheiße! Da stirbt eine ganze Tradition. Lass‘ mich bei den Standards bleiben und mithelfen, die Tradition von Ella und Sarah zu bewahren.‘“
Dokumentiert wird diese Phase auf den beiden Live-Alben „In Montreux“ und „In Paris“, die von Kritik und Publikum bejubelt wurden. Dee Dee selbst ist mit den Platten aber ganz und gar nicht zufrieden:
„Ich mag meine Stimme darauf nicht. Wenn ich nervös bin, schreie ich. Vielen Leuten gefallen meine Liveplatten, aber das ist nicht meine natürliche Stimme. Die hörst du auf meinen Studioplatten – da bin ich entspannt, nicht unter Stress. Meine Liveplatten habe ich mit meinem damaligen Produzenten und Manager gemacht. Seine Vorstellung von Jazz war: live, schnell und wenig Geld für die Produktion ausgeben. Ich wollte immer schon Studioalben so machen, wie man auch Pop- oder Rockalben aufnimmt – wo man Zeit und Geld aufwendet, um einen guten Sound zu bekommen.“
Im Jahr 1993 konnte sie endlich ihre eigenen Vorstellungen in Klang umsetzen: Die selbstproduzierte CD unter dem programmatischen Titel „Keeping Tradition“ brachte ihr den Ruf als letzte Jazzdiva ein. Inzwischen stehen Standards allerorten hoch im Kurs – verkaufsstrategisch wäre also ein „Keeping Tradition II“ eine sichere Sache gewesen. Doch Dee Dee will kein „Teil einer Bewegung“ sein:
„Für dieses Album wollte ich etwas finden, dass mich etwas von den Standards wegführt – denn heute macht jeder Standards. Ich wollte etwas finden, dass mich wirklich herausstellt als Jazzsängerin und mich unterscheidet.“
Dass sie nun eine Platte mit Vokal-Interpretationen von Horace Silver-Kompositionen aufgenommen hat, ist nur konsequent, schließlich befand sich schon auf ihren letzten Alben immer zumindest ein Stück von ihm:
„Horace Silver ist einer der größten Jazzkomponisten unserer Zeit – und ein teurer Freund von mir. Mit meiner Platte will ich erreichen, dass er noch zu Lebzeiten die Anerkennung erfährt, die er verdient, und dass er von den möglichen Erlösen profitiert. Ich halte es für sehr wichtig, Leute zu ehren, solange sie noch am Leben sind. Diese ganzen Tribute an Verstorbene mag ich überhaupt nicht – das ist schrecklich.“
Verständlicherweise war Horace Silver von der Idee angetan – und wirkte bei der Umsetzung kräftig mit. Ursprünglich hatte Dee Dee selbst die Texte zu den bislang meist nur instrumental aufgenommenen Kompositionen verfassen wollen. Doch Horace Silver wollte nicht zuletzt aus urheberrechtlichen Gründen lieber selbst die Texte schreiben – was dann allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen sollte. Als Dee Dee im Sommer ‚94 auf Tournee gehen wollte, um auszutesten, welche Songs am besten beim Publikum ankämen, waren noch nicht alle Texte fertig. Per Fax wurden sie eiligst nachgereicht – und weil nicht genug Zeit zum Auswendiglernen blieb, bestritt Dee Dee die ersten Konzerte mit Textbuch. Im Laufe der Tournee kristallisierten sich die „Publikumsrenner“ heraus, die nun auf „Love And Peace“ zu finden sind.
Unterstützt wird Dee Dee auf dieser Platte von ihrer französischen Band, die sie für dieses Projekt vom Trio zum Quintett erweitert hat – eine Band, die sie für eine der besten in Europa hält. Und in der Tat swingen Hein van de Geyn (b), André Ceccarelli (d), Thierry Eliez (p), Lionel Belmondo (tp) und Stéphane Belmondo (ts) fast so „blue“ und so funky wie seinerzeit Blue Mitchell, Junior Cook, Gene Taylor und Louis Hayes. Hauptattraktion der Platte ist aber Dee Dees Stimme – eine Stimme, die den Weltschmerz einer Ballade wie „Lonely Woman“ ebenso transportieren kann wie die Lebensfreude eines „Filthy McNasty“ (mit Jimmy Smith als Gast); eine Stimme, die exaltiert improvisieren kann – sich aber nicht zu schade ist, „nur“ die Melodie zu singen oder im Hintergrund als „dritte Bläserstimme“ ein Pianosolo zu begleiten – etwa auf „Song For My Father“ (auf dem Horace Silver höchstpersönlich mitspielt).
Dee Dee ist sich ihrer Qualitäten bewusst – und sieht völlig zu Recht keinen Grund für Bescheidenheit:
„Ich bin jetzt 45. Ich bin in einem Alter, wo ich meine Position verteidige, in jeder Hinsicht. Ich weiß, dass ich gut bin. Ich weiß, dass ich eine der besten bin. Ich sage nicht, dass ich die beste bin, denn ich glaube nicht, dass so etwas existiert, Aber ich mache meine Sachen verdammt gut – und dafür will ich die Props und den Respekt, der mir zusteht. Ich habe mich abgeschuftet, ich musste kämpfen, aber jetzt bin ich in einer Position, wo ich Respekt einfordere.“