European Jazz Legends, Teil 18
Uli Gumpert, Conny Bauer, Louis Sclavis
Conny Bauer
„Ein absolutes Gehör habe ich zum Glück nicht. Das stört ja nur.“
Die Taxifahrt von Berlin-Mitte nach Weißensee ist trotz Feierabendverkehr kurzweilig, auch weil der Fahrer Nonnenwitze erzählt, die er am Nachmittag angeblich von Klaus Wowereit gelernt hat. „Wat sacht die Nonne zum Vibrator? ‚Nu zitter ma nich so, Kleener, für mich is ooch dit erste Mal.‘“ Vielleicht liegt es also am Stammtischgrinsen, dass uns Conny Bauer eher reserviert empfängt.
Der 73-jährige Posaunist mit dem langen weißen Zopf will noch einmal erfragen, was genau wir mit ihm vorhaben, ob er den Text vor Veröffentlichung gegenlesen kann, wen wir sonst so gesprochen haben. Natürlich weiß er, dass wir Baby Sommer porträtiert haben, schließlich hat der uns seinen Kontakt gegeben. Und dass wir direkt von Uli Gumpert kommen, erschließt sich durch die freundlichen Grüße, die ihm der Klavierkollege ausrichten lässt.
Ein paar mit abwägendem „Na ja“ beginnende Sätze später erklärt sich seine Zurückhaltung: Bauer wollte nicht an der Produktion und den Konzerten des Zentralquartetts mit Wolf Biermann teilnehmen, weil er sich nicht als Begleiter eines Liedermachers versteht. Dass die Kollegen jetzt nicht nur die Biermann-Konzerte ohne ihn spielen, sondern auch für die übrigen Auftritte einen neuen Posaunisten engagiert haben, sitzt ihm quer. Nach mehrmaliger Versicherung, weder Sommer noch Gumpert hätten behauptet, ihn „aus der Band geworfen“ zu haben, entspannt sich die Lage.
Konrad „Conny“ Bauer wurde am 4. Juli 1943 in Halle an der Saale geboren. Bis der Sohn eines Pfarrers, der „als Jugendlicher in Oberfranken auch mal in einem Mandolinenensemble gespielt hatte“, Rock ’n’ Roll entdeckte, war Musik für ihn eher Nebensache.
„Meine Schwester hatte mal Klavierunterricht, aber keine Lust zu üben“, erzählt er im geräumigen Atelier eines befreundeten Künstlerpaares, in dem er dieser Tage gerne übt. „Ich habe dadurch wenigstens gemerkt, dass es schon eine Belastung war, so eine Stunde am Tag Klavier zu üben. Der Kirchenmusiker der Gemeinde war aber natürlich auch kein Pädagoge. Im Chor konnte ich die Lieder immer ganz schnell auswendig, also hab ich natürlich nicht mehr in die Noten geguckt. In der Nachbargemeinde wurde ich aus irgendeinem Grund mal ans zweite Flügelhorn gesetzt. Die zweite Stimme war schon schwieriger, das hat mir keinen Spaß gemacht. Ein absolutes Gehör habe ich zum Glück nicht. Das stört ja nur. Aber wenn ich wissen will, welcher Ton das ist, singe ich ihn kurz an, das stimmt meistens.“
Mit 15 traten Elvis Presley, Little Richard, Bill Haley und Ray Charles in sein Leben.
„Ich habe mich anfangs mehr für Rock ’n’ Roll interessiert, das mochten die Eltern nicht so. Na ja, Pfarrersfamilie. Jazz habe ich zum ersten Mal natürlich im Radio gehört. Außerdem gab es Pfarrer Theo Lehmann aus Chemnitz, der Vorträge über Gospels gehalten hat und überall mit Schallplatten aus dem Westen rumgereist ist. Das fanden meine Eltern in Ordnung. Das war so toll zu merken, wie cool die Gottesdienste in Deutschland abliefen und was dort in den Gospelgemeinden passiert. Da hab ich zum ersten Mal Ray Charles gehört!“
Er begann, sich Musik aus dem Radio aufzunehmen und auf einer Gitarre nachzuspielen, nach dem Umzug nach Sonneberg bald auch mit Verstärker.
„Am Anfang war auch dieser Anklang bei den Zuhörern ein Antrieb. Ich habe zum Beispiel Fahrradtouren gemacht, und wenn ich keine Lust mehr hatte, habe ich mir eine Jugendherberge gesucht – für 25 Pfennig konnte man da übernachten, für 50 mit Frühstück. Da lag dann oft eine Gitarre auf dem Schrank. ‚Kann man die spielen?‘ ‚Dafür ist sie da!‘ Dann habe ich für die Leute am Lagerfeuer Rock ’n’ Roll gespielt, und die wollten mich gar nicht gehen lassen. Dass man mit Musik so schnell Menschen um sich versammeln kann und die dann auch gute Laune kriegen, das hat mich schon fasziniert.“
An der Hochschule in Dresden wurde Conny Bauer 1964 angenommen, „mit Posaune, obwohl ich viel besser Gitarre spielen und schon richtig über Jazzstandards improvisieren konnte“. 1964 waren die Beatles und die Rolling Stones auch in der DDR Popstars, es hatten sich 50 Gitarristen beworben. Bauer hatte Gitarre und Posaune vorgespielt.
„Die Lehrer haben sich sehr auf diese Swing-Stilistik konzentriert. Das hat mir viel gebracht. Ich würde mal sagen, an der Dresdner Schule haben wir sehr guten Unterricht im Arrangieren gehabt. Die Lehrer haben sich das von Platten rausgehört. Nur was sie immer meinten: Wenn man ein Solo spielt, muss man sich das vorher überlegen und aufschreiben. Das würden sich ja die großen Amerikaner auch nicht trauen, wenn’s drauf ankommt, einfach so loszuspielen. Also haben wir uns was ausgedacht, es aufgeschrieben und entsprechend vorgespielt, wenn die Bigband einen öffentlichen Auftritt hatte. Später, als wir auch mit Amerikanern in der DDR gespielt haben, wunderten die sich oft, dass einer aus einem thüringischen Dorf so swingen kann. Wir wussten ja selbst nicht, dass Dresden mit dieser Art des Studiums sehr früh dran war.“
Schon zu Hochschulzeiten spielte Conny Bauer in Bands, meistens allerdings Gitarre. Oder er sang.
„Als Sänger hatte ich 1969, ein Jahr nachdem ich das Studium in Dresden abgeschlossen hatte, einen Hit mit ‚Morgen‘ mit Petrowskys Tanzkapelle, dem Manfred Ludwig Septett. Baby Sommer hat da auch mitgespielt und auch Background gesungen. Mein elf Jahre jüngerer Bruder Johannes hatte das in der Schule als Beispiel für sozialistische Tanzmusik. Als es lief, hat er sich natürlich unter der Bank verkrochen.“
Von 1970 bis 1973 konnte Conny Bauer in der Modern Soul Band endlich Posaune spielen.
„Die LP der Band kenne ich gar nicht, die haben die erst 1974 aufgenommen. Wir haben da ja auch viel James Brown gehört, aber das kann man ja gar nicht so richtig nachmachen, es wurde wie von selbst etwas Eigenes. Ich habe nebenbei angefangen, auch Free Jazz zu machen. Und da waren die sehr hilfreich. ‚Wenn du das machen willst, nehmen wir uns eine Aushilfe.‘“
Irgendwann musste er sich entscheiden:
„Das eine richtig oder beides ein bisschen – und ich habe mich für den Free Jazz entschieden. Aber da sind wir sehr im Guten auseinandergegangen. 2017 ist das 50. Jubiläum der Modern Soul Band, und da haben sie mich auch wieder eingeladen. Ich mag ja diese Musik. Es ist nur so: Damals wurde in den Diskotheken zum Tanz gespielt, so fünf Stunden am Stück. Wenn man das im Monat 20-mal machte, hingen einem irgendwann die schönsten Stücke zum Hals raus. Da habe ich mich natürlich sehr gefreut, wenn man im Free Jazz immer spielen konnte, wie man sich gefühlt hat, und darauf eingehen konnte, wie der Raum klang, wie das Publikum war. Das ist bis heute eine spannende Sache geblieben.“
Conny Bauer betont, wie wichtig Musikern und Publikum die Freiheit im Free Jazz war.
„Das Publikum in der DDR war bereit für oder gespannt auf Improvisation. Man muss am Anfang gegeneinanderspielen, das kann furchtbar klingen, aber irgendwann trifft man sich auch, und das kann was ganz Tolles ergeben. Diesen Prozess hat das Publikum im Free Jazz in der DDR in den 70er- und 80er-Jahren regelrecht gewollt. Für mich hat die Freiheit immer bedeutet, dass man alles aus seinem Instrument rausholen konnte. Nicht nur Tonleitern und so wie in der Hochschule.“
Nicht nur durch das Zentralquartett wurde Conny Bauer auch über die Grenzen der DDR bekannt. Er war und ist im Duo mit Han Bennink, Peter Brötzmann oder Nils Wogram zu hören, spielte außerdem mit Barry Guy, Alexander von Schlippenbach, Peter Kowald, Louis Moholo-Moholo, Joachim Kühn, Ernst Reijseger, Irène Schweizer und Barre Philipps, dazu mit dem London Jazz Composers Orchestra, der NDR Bigband und dem European Jazz Ensemble. Louis Sclavis erinnert sich ein paar Tage später gern an die gemeinsamen Auftritte Anfang der 80er-Jahre.
„Viele der europäischen und amerikanischen Jazzmusiker kamen ja ziemlich früh schon in die DDR, und wir wollten einfach mal zugucken“, blickt Bauer zurück. „Für uns war in den 70er-Jahren das Label FMP – Free Music Production – sehr wichtig. Es gab da eine regelrechte Sammlung in Ostberlin, da konnte man sich die Platten ausleihen und auch überspielen, da hat einer Buch geführt. Wenn man später das erste Mal mit diesen Musikern zusammengespielt hat, wusste man also meistens schon, was man zu erwarten hat.“ Was nicht bedeutet, dass Bauer chamäleonhaft auf die ausländischen Kollegen eingegangen ist. „Ich hab immer gesagt: Warum kann man nicht, wenn man improvisiert, auch ein Stück von zehn oder sechs Minuten spielen, mit einem schönen Anfang und einem schönen Ende. Welcher Komponist hat schon Stücke von 30 Minuten geschrieben? Da ist es schon wichtig, dass man auf einer Wellenlänge ist.“
Ein jüngerer Kollege erzählte kurz vor unserem Termin von der enormen „Power“, die Conny Bauer nach wie vor im Konzert an seinem Instrument beweist.
„Es ist keine Frage der Power, sondern eher des Repertoires. Ich mach inzwischen meistens Solokonzerte in Kirchen. So sind ja Kirchen gemacht: dass man es gut hört, wenn der Pfarrer leise spricht, aber wenn der Chor singt, kommt der Hall dazu. Ich hab bisher insgesamt sechs Solo-CDs veröffentlicht, da sind auch zwei Live-Aufnahmen dabei. Jetzt hab ich schon das Material für eine siebte zusammen. Bei den Live-CDs gibt es schon mal Wiederholungen. Ich hab nie reproduziert, also nicht bewusst. Selbst wenn ich Sachen schon so lange spiele, werden die im Konzert immer auch neu beleuchtet.
Seit ein paar Jahren spiele ich zusätzlich Bassposaune, auch eine neue Herausforderung. Da muss man wieder üben. Ich hab Jahrzehnte sehr gerne mit einem Kollegen gespielt, der auch mein Bruder war – und der ist ja vor Kurzem gestorben. Johannes hat viel mit Gruppen gearbeitet, und ich habe mich eher auf die Soloschiene vertan, deshalb fange ich jetzt so langsam wieder an, auch mit Bands zu spielen. Am Sonntag spiele ich in Bochum mit dem Bassisten Dieter Manderscheid ein Gedenkkonzert mit der Band 4in1, zu der Johannes gehörte. Vielleicht entwickelt sich da ja auch jetzt was, mal sehen. Es gibt noch so viel zu tun, das schafft man in diesem Leben gar nicht. Also dass ich mich langweile, das passiert nicht.“