European Jazz Legends

Fred Frith, Ralf-Rainer Hübner, Heinz Sauer


Fred FrithHeinz Sauer

Ralf-Rainer Hübner

„Man wollte keine Kopie sein.“

Ein Haus am Hang, hoch oben im Taunus. Hell und freundlich drinnen, vom Art-deco-Schrank bis zur Seventies-Sitzecke. An den Wänden hängen und stehen Ölbilder: impressionistische Landschaften von der Hausherrin und fantastische Motive von ihrem Gatten.
Ralf-Rainer Hübner (Foto: Lutz Voigtländer)

„Ich male schon immer“, sagt Ralf-Rainer Hübner in entspanntem Berlinerisch beim Kaffeekochen. „Früher hatte man ja nur zu wenig Zeit dafür, je nach Auftragslage. Jetzt hab ich nichts mehr als Zeit.“ Der Drummer aus Moabit, der nicht nur mit seinen langjährigen Engagements in den Gruppen von Albert Mangelsdorff oder bei Manfred Schoof Jazzgeschichte geschrieben hat, wohnt hier in Glashütten seit 1999 zur Miete. Die fünf Jahre davor lebte das Paar auch nur ein paar Straßen entfernt. „Der sogenannte Ruhestand hat mich hierher verschlagen. Ich mach‘ ja nichts mehr. Das letzte Konzert hab ich 2011 gespielt, im Palmengarten. Mit Christof Lauer, Vitold Rek und Michael Wollny.“

Ein Schlagzeug sucht man in diesem Haushalt vergeblich.

„Ich hatte ein Sonor Light, schönes Instrument. Aber ich bin froh, dass ich das Ding los bin. Immerhin hat es jemand gekauft, der mit Vitold Rek in Mainz auf der Musikschule arbeitet – und neulich darauf mit dem Schoof gespielt hat. Das Spielen selbst ist überhaupt kein Problem. Hab ich immer sehr gerne gemacht. Den Rhythmus verliert man nicht, wie den Dialekt oder den Humor. Aber das ganze Drumherum: der Aufbau und die Gagenverhandlungen und die Koordination mit den Musikern … Mal konnte der eine nicht und mal der andere. Und dann muss man Ersatz finden. Es ist wie beim Fußball: Da ist ein eingespieltes Team, bei dem läuft alles. Wenn ein Neuer dazukommt, geht das schon noch so durch, aber es geht eben nur grad so. Das gefällt mir nicht.“

Es liegt wohl vor allem an seinen dunklen, stechenden Augen, dass Ralf-Rainer Hübner jünger als seine 77 Jahre wirkt, fast wie ein künstlich alt geschminkter Schauspieler. Auch die Haare sind fast zu gleichmäßig grau. Nur beim Lachen sieht man die Falten an den Augenrändern. Etwa, als er von seiner jugendlichen Faszination mit den Jazzsendungen auf AFN in Berlin erzählt.

„Wir haben da immer unten auf der Straße Fußball gespielt, kam ja nur alle halbe Stunde ein Auto. Meine Freunde wussten schon: ‚Ralf, gleich ist es fünf, du musst hoch.‘ Da lief die Sendung ‚Frolic at Five‘. Viel Swing. Und wenn es mal moderner war, dann Brubeck oder Mulligan. Später bin ich auch in die Konzerte gegangen, im Sportpalast zum Beispiel. Lionel Hampton war wohl die Initialzündung. Der hat da getrommelt und Vibrafon gespielt wie ein Wahnfried, und Illinois Jacquet hat auf dem Rücken gelegen und Saxofon gespielt und der Hampton hat dabei auf seinen Schuhsohlen getrommelt. Tolle Stimmung. Der Sportpalast hat gekocht.“

Weil ihn das Schlagzeug interessierte, studierte er Musik.

„Auf der Hochschule war Jazz verpönt, ein großes Feindbild. Jazz? Freiheit? ‚Geht ja gar nicht‘, meinten die Professoren, die ja auch noch aus der Nazizeit kamen, ‚wir müssen hier richtig arbeiten.‘ Ich hab ja mit der klassischen Musik keine Berührungsängste. Wir kannten Boulez und Henze, auch abhängig von den Noten, die der Professor hatte. Die Schlagzeuggruppe der Musikschule hat da auch mal was für acht Schlagzeuger aufgeführt. War das von Boulez? Jedenfalls kam ich mal wieder als Letzter, weil ich am Abend vorher zu lange im Club war. Alle guckten mich so komisch kichernd an. Einer sagt: ‚Da sind deine Noten.‘ Ich machte die auf, und die waren von vorne bis hinten schwarz – für Kuhglocke! Selbst der Professor hat das oft nicht verstanden. Da konnte man sich an nichts gewöhnen, variables Metrum, mal vier Viertel, mal drei. Das haben sie mir übriggelassen – und der mit der großen Trommel musste nur ab und zu mal ‚bum‘ machen.“

Weil Joe Nay mit Michael Naura nach Hamburg ging, wurden auch dessen andere Stellen frei, etwa beim Manfred Burzlaff Quintett.

„Das war damals die beste moderne Jazzgruppe in Berlin. Alles so Cool-Kram, viel Besen. Ich hab da viel Geld verdient, aber auch viel gelernt. Wir haben vorher so rumgefetzt wie Blakey und Konsorten. Wenn ich dann die Stöcke genommen habe, haben die schon geguckt: ‚Jetzt geht es wieder los.‘ Ach Gott, diese Erinnerungen.“

Bei einer Faschingsparty an der Hochschule erlebten Hübner und seine Jazzfreunde zum ersten Mal Albert Mangelsdorff und dessen Gruppe.

„Anfangs mochten wir’s nicht, wie der Hartwig Bartz und der Peter Trunk da rumstanden, völlig zugedröhnt. Aber nach einer Stunde haben die gespielt wie junge Götter. So richtig schön. „‚Nica’s Dream‘ hatten wir noch nie so gehört. Wir kannten ja nur die Originalfassung vom Blakey und den Jazz Messengers. Der Pepsi Auer hat uns anschließend auch zugehört und Mut gemacht.“

Als Mangelsdorff das nächste Mal in der Stadt war, diesmal in einem subventionierten „Senatsladen“ in Steglitz, ging Ralf-Rainer Hübner wieder hin.

„Nach dem Konzert kam der Günter Kronberg vorbei und meinte, sie würden dann zum Old Eden fahren, ein Bier trinken. Da bin ich mit. Am nächsten Tag passierte es dann: Da gab es so einen Jazzfan namens Mac, ein Typ mit Buckel und Kodderschnauze. Immer, wo der auftauchte, waren schnell ein paar Kisten Bier unterm Tisch, und schon ging’s los. Richtig Stimmung. Irgendwann rief der Mac zur Bühne: ‚Olle Ralf soll ma trommeln!‘ Und Mangelsdorff hat mich tatsächlich auf die Bühne geholt. Es war so’n Mediumtempostück, Hardbop. War mir im Grunde auch sehr recht, da konnte man sich ein bisschen sammeln. Albert war sehr angetan und nett, hat sich auch relativ schnell gemeldet. Aber ich konnte nicht, weil ich vertraglich in einer Band mit Benny Bailey und Nathan Davis festgelegt war. Bald danach hat Albert wieder angerufen, und da hat es dann geklappt, im Spätsommer nach dem Studium.“

Zehn Jahre lang gehörte Ralf-Rainer Hübner zu Albert Mangelsdorffs Quartett und Quintett. Er war mit der Gruppe auf der ersten vom Goethe-Institut finanzierten (und von Joachim-Ernst Berendt organisierten) Tour durch Asien – 68 Tage mit 62 Konzerten. Im Smoking. „Der konnte aufgrund von Zeitproblemen zwischen den Konzerten nicht gereinigt werden. Die weißen Schweißränder hab ich abgebürstet.“ Die Gruppe nahm auch in Kairo fürs Radio auf, immer wieder „von einem Mullah unterbrochen, der Koransuren live über den Äther schickte.“ Eigentlich, sagt er, „war das so eine richtige Abenteuertournee, mit Wanzen und Läusen und im Bus bespuckt und dran rumgerüttelt werden. Ach, du liebe Zeit.“ Dabei konnte man nicht nur andere Länder sehen, sondern auch sich selbst entdecken.

„Diesen eigenen Weg zu gehen, das war doch sehr schwierig. Man wollte keine Kopie sein, sondern selbst herausfinden, wie man jetzt diesen Fill spielen soll. Ich wollte gar keine Soli spielen, sondern mich in der Musik aufhalten. Das war der musikalische Sinn. Und das habe ich eigentlich auch perfektioniert über die Zeit. Aber das ist halt etwas, womit man keinen Blumentopf gewinnt. Die Leute wollen sehen, dass da einer rumwirbelt und rumpoltert. Es ist immer die Frage, wie so die Konzepte sind.“

„Damals war alles noch nicht so schnelllebig“, meint er, „und etwas bequemer.“ Abgesehen von „Now Jazz Ramwong“ vielleicht, denn diese traditionelle thailändische Volkstanzmelodie als modaler Modern-Jazz-Hit wurde von Ralf-Rainer Hübner mit dem vierfachen Tempo begleitet. Was so lange gut ging, bis die Band damit eines anstrengenden Abends in Rostock oder Greifswald, jedenfalls irgendwo in der DDR, auftrat.

„Beim 20. Takt hat der Muskel im Arm versagt. Der ist zugegangen, wie die Fußballer sagen. Da ging nichts mehr. Da hab ich da irgendwas drum herumgespielt, die anderen wussten ja nicht, was passiert ist, und haben so weitergespielt. Günter Lenz, der Bassist, kam ja von der Gitarre – der hat da so schöne akkordische Sachen dazugespielt. Na ja, das war dann so festgefressen, dass das dann bei jedem Konzert in die Hose ging. Wir mussten das Stück aus dem Programm nehmen, weil ich es nicht mehr spielen konnte.“

„Now Jazz Ramwong“ von 1964 steckt irgendwo auch in dem Stapel Schallplatten, den Ralf-Rainer Hübner auf den Wohnzimmertisch legt. Ebenso wie seine anderen Alben mit Albert Mangelsdorff aus den Sechzigern und die Aufnahmen mit Manfred Schoof (zum Beispiel „Fences“), „Jazz At The Opera“ mit „Visitation“ von Gunther Schuller, ein Album mit den „German All-Stars“, außerdem Aufnahmen mit Volker Kriegel („House-Boat“), Eberhard Weber (etwa „Chorus“ mit Jan Garbarek) oder „Für Wilhelm E.“ mit der Gruppe Voices. Auch die beiden LPs „Courage For The Past“ und „Perlboot“ mit Ralf-R. Hübner als Leader sind dabei.
Bei Ralf-Rainer Hübner (Foto: Lutz Voigtländer)

„So vieles ist mit Glück behaftet. Vieles ist so eng beieinander, der eine hat Erfolg, der andere nicht. Alles okay. Aber diese Wertschätzung, die so von außen kommt, müsste anders sein. Jazz ist schließlich auch eine Gemeinschaftssache. Natürlich steht einer vorne und gibt seinen Namen her. Aber dass dann nur der gewürdigt wird, etwa wenn es einen Preis für ein Album gibt oder so, das hat mich immer schon genervt.“

Was heute auf den Hochschulen passiert, kann ihn auch nicht begeistern.

„Ich vergleiche das immer mit so einem Gänsestopftrichter. Da kommt ein Professor und stopft denen da oben so alles Mögliche rein, und dann spielen alle die gleichen Scales und die gleichen Licks – und im zweiten Takt sind die Bassisten schon im Flageolett. Im Jazz funktioniert das heute alles gar nicht mehr, viel zu solistisch. Eher so egotripmäßig.“

Das gefiel ihm schon damals nicht. Er erzählt von einer Zeit, als sich Heinz Sauer einen Finger gebrochen hatte und für die Zeit seiner Genesung Don Menza und Gerd Dudek seinen Platz einnahmen.

„Sobald die das Mundstück im Mund hatten, haben die nicht mehr aufgehört zu spielen. Im Jazzkeller haben wir für Don Menza so drei, vier Mal einen Bogen gespielt, dass er da schön zum Ende kommen kann. Der hat immer weitergespielt. Irgendwann habe ich einfach ein Ende gespielt, bin aufgestanden, in die Küche gegangen und habe mein Bier getrunken. Das ist einfach Egotrip pur. Das brauche ich nicht.“

Unten im Keller, kurz vor dem kleinen Raum, den er als Atelier nutzt, steht ein Bild, das Joachim-Ernst Berendt als Jazzpapst zeigt, geflankt von Michael Naura, Manfred Eicher von ECM und Horst Weber von enja. Berendt hält die Fäden, die im unteren Teil des Bildes einen traurigen Drummer mit frappanter Ähnlichkeit zu Ralf-Rainer Hübner in sich zusammensacken lassen.

„Diesen ganzen Experten, denen haben wir diese Jazzszene, wie sie heute ist, zu verdanken. Weil sie angefangen haben, Bands zusammenzustellen für ihre Zwecke. Die haben Solisten gezüchtet. Als Band hat man gar keine Engagements mehr bekommen, sie wollten nur ihre zusammengestellten Bands. Richtig prima. Das hat mich so genervt. Musik mit Konzepten und mehreren Ebenen, das hat mich interessiert. Ich hab mich immer bemüht, interessante Musik zu machen. Das ist nicht immer gelungen, man muss ja auch mal in die Scheiße treten. Ich hab mich wenigstens bemüht, und es gibt auch Beispiele, die ganz gut gelungen sind. Die Quintessenz ist aber leider: Ein amerikanischer Drummer spielt vital, ein deutscher ist immer zu laut.“


Fred FrithHeinz Sauer

Text
Götz Bühler
Foto
Lutz Voigtländer

Veröffentlicht am unter 118, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2025