Gerald Clayton

Blubbernde Energie

Der Pianist Gerald Clayton spielt Jazz, der Jazz ist. Alles klingt bei ihm so natürlich, dass sogar die Verweise auf die Ahnen wie selbstverständlich aus der Musik herauswachsen.

Gerald Clayton

Es muss nicht mehr unbedingt New York sein. Zehn Jahre hat Gerald Clayton in der Jazzmetropole gelebt, inzwischen aber zieht es ihn mehr nach Los Angeles:

„Es fühlt sich an wie ein Kapitel, das abgeschlossen ist. New York ist eine großartige Stadt, um zu wachsen und von all den Leuten zu lernen, die die Stadt bietet. Aber inzwischen bin ich andauernd unterwegs, sodass es nicht mehr so wichtig ist, dort meine Basis zu haben.“

Will heißen: Gerald Clayton ist drin. Er gehört zum Zirkel derer, die wahrgenommen werden, und das unabhängig davon, dass er aus einer Jazzfamilie stammt.

Nach der Zeit in Bands von Größen wie Roy Hargrove und Charles Lloyd, die den jungen Mann mit der früh ausgereiften Moderne im Ausdrucksspektrum bekanntgemacht haben, ist der 33-Jährige nun immer öfter mit seinen eigenen Projekten unterwegs. Und er bekommt die Gelegenheit, seine Ideen auf Alben festzuhalten, auch wenn sie etwas mehr Aufwand als üblich brauchen:

„Ich spiele seit längerem mit größeren Ensembles. Ich verstehe mich dabei als Gastgeber einer Party, zu der ich einige meiner Lieblingsmusiker einlade. Der Sound orientiert sich einerseits an den Instrumenten, aber mehr noch an den Persönlichkeiten. Leute wie Logan Richardson, Ben Wendel, Justin Brown, Joe Sanders – das ergibt ein großartiges Fest. Dabei muss ich gar nicht dominant sein, das dient der Musik nicht unbedingt. Manchmal ist es besser, die Leute machen zu lassen. Diese Mentalität erlaubt es, dass die Musik sich wirklich entwickelt.“

Energien sind ihm wichtig – die der Gegenwart, aber auch jene, die über die Tradition vermittelt werden. Deshalb nennt Gerald Clayton sein Album „Tributary Tales“ (Motema/PIAS), als Verweis auf die vielen Einflüsse, die einem Musiker von heute bewusst oder nur als Impulse durch den Kopf schwirren. Man ahnt ein wenig Monk, etwas Mingus in der stilistischen Ahnenlinie, aber hört auch vieles, das aus dem Augenblick heraus entstanden ist:

„Jedes Album ist auf seine Weise eine Standortbestimmung. Es ist das Projekt, in das man gerade seine Gefühle, sein Blut, seine Tränen steckt. Das nächste kann dann wieder ganz anders aussehen. In diesem Fall war es ganz einfach: Ich wollte ein paar Stücke im Studio aufnehmen, mit nach Hause nehmen und daran arbeiten, damit drum herum etwas entstehen kann, mit dem ich dann wieder ins Studio gehe. So entstanden einige Solo- und Duo-Interludes, der Rest ist darauf aufbauend gewachsen, als wir beispielsweise als ganze Band eine Woche lang im Village Vanguard gespielt haben. Titel und Konzept sind durch die Überlegungen entstanden, die ich während dieses Prozesses angestellt habe.

‚Tributary Tales‘ bezieht sich einerseits auf das Leben jenseits der Bühne, auf die vielen Eigenheiten der Musiker, die auf einzigartige Weise zusammenkommen. Es kommt mir vor wie zahlreiche kleine Flüsse, die sich zu einem großen Gewässer verbinden, das wiederum mit anderen Gewässern zu einem gemeinsamen Ozean gehört. Eine weitere Bedeutung bezieht sich auf die Musik als solche. In unserer Welt absorbieren wir ständig die Geschichte unserer Vorgänger. Unser Ausdruck ist ein Ast des Baumes, eine Reflexion der Klänge, mit denen wir groß geworden sind.“

Dabei muss die Quelle der Inspiration nicht zwangsläufig aus der Musik selbst kommen, sondern kann auch in der Kombination mit Tanz oder Visual Arts bestehen. Clayton hat da so seine Ideen für zukünftige Projekte, so wie er auch gerne auf Spoken Words zurückkommt, weil in der Kombination Wort mit Musik beide Künste profitieren. Diesmal deklamieren bei zwei Stücken die Literatin Aja Monet und ihr Kollege Carl Hancock Rux, beide ursprünglich aus Brooklyn, ernste und gelassene Texte über Liebe und Menschsein. Sie sind Teil eines Prozesses, den Gerald Clayton so offen wie möglich halten will:

„Ich finde, es passiert derzeit sehr viel. Doch diese kreative, blubbernde Energie verändert sich eigentlich nicht, sie ist in der improvisierenden Musik einfach vorhanden und arbeitet weiter. Die größte Erfüllung kommt von der Magie, die man auf der Bühne, überhaupt beim Spielen spüren kann. Wir versuchen, über unsere Imagination etwas auszudrücken, und manchmal schaffen wir es. Manchmal passiert da etwas, das ich nicht mehr unter Kontrolle habe. Das ist etwas ganz Besonderes, da fühle ich mich stolz, ehrfürchtig.“

Text
Ralf Dombrowski

Veröffentlicht am unter 120, Feature, Heft

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