Der Preis sei heiß!
Jazzpreise in Deutschland
Deutschland ist verwöhnt. Gefühlt jede zweite größere Stadt, Universität oder Institution vergeben Kulturpreise, viele davon für Musik, darunter einige für Jazz. Die Schlagwortrecherche beim Deutschen Musikinformationszentrum ergibt immerhin 55 Treffer in der Kategorie „Rock, Pop, Jazz“. Viele kleinere, oft mit Wettbewerben verbundene Awards kommen hinzu, außerdem Künstler-Residenzen, Stipendien, Festivals mit Sonderpreisen. Jazz thing gibt einen Überblick über zehn exemplarisch ausgewählte Preise.
So viele Preise im Land! Trotzdem wird gerne geklagt. Etwa darüber, dass viele der Auszeichnungen sich ausschließlich an den Nachwuchs richteten, gestandene Musiker aber schauen müssten, wo sie bleiben. Oder dass Entscheidungskriterien mancher Jurys nicht nachvollziehbar genug seien, dass immer die üblichen Verdächtigen ausgezeichnet würden. Und überhaupt, dass das Trophäenwesen im Zeitalter viraler Überprüfbarkeit von Qualität eigentlich seinen Sinn verloren hätte. Doch Markt und Szene ticken anders – mit ihren Jazzhörern und CD-Käufern, mit den Jazzmusikern, Konzertbesuchern und den Medien. Menschen wollen an die Hand genommen und darauf hingewiesen werden, in welche Richtung es sich zu orientieren lohnen könnte.
Jazzpreise haben daher vielfältige Funktionen. Erstens wird jeder gerne ausgezeichnet. Es schmeichelt der eigenen Bedeutsamkeit, die in einem weltweit vernetzten Beziehungsgeflecht ein wenig mehr Glanz erhält. Daumen hoch, das kann man posten, das wird geliked, der Social-Media-Flow ist längst eine Form von Sympathie-Währung, deren Belohnungsmechanismen auch durch Awards genährt werden.
Zweitens helfen Preise Hörern, Veranstaltern, Medien und Labels, erste Schneisen durch den Dschungel der Vielfalt zu schlagen. Der Sticker des Preises der Deutschen Schallplattenkritik auf dem Album im Laden gilt beispielsweise als Qualitätssiegel, ein ECHO Jazz in der Biografie erleichtert Musikern zumeist das Buchen von Tourneen. Ein Preis der Rundfunkanstalten ist oft mit professionellen Aufzeichnungen, Konzerten oder weiteren Engagements verbunden, ein Nachwuchspreis gibt wiederum den Plattenfirmen die Möglichkeit, junge Talente zu sichten.
Drittens sorgen Dotierungen dafür, dass Projekte verwirklicht werden können oder ein Musiker sich manchmal schlicht ein besseres Instrument leisten kann. Und egal ob mit Geld ausgestattet oder nicht: Wer ausgezeichnet wird, erhält eine öffentliche Anerkennung, die ihn darin unterstützt, die oft mühsame Arbeit beispielsweise im „Untertagebau der Jazzkeller“ (Michael Naura) oder beim Erstellen des eigenen Künstlerprofils im Rahmen der Selbstvermarktung weiter auf sich zu nehmen.
Preise also stärken einerseits die Szene, verhelfen ihr aber auf der anderen Seite auch zu einem stärkeren Selbstbewusstsein etwa gegenüber verwandten Kulturwelten wie der klassischen Musik, wo ein Künstler, der nicht mindestens einen renommierten Award gewonnen hat, in der Wahrnehmung durch Publikum, Presse und Veranstalter kaum eine Chance hat.
Die in Deutschland verliehenen Preise haben sehr unterschiedliche Grundlagen und Zielsetzungen. Es gibt Nachwuchspreise und Auszeichnungen für das Lebenswerk, Förder-, Prestige- und Ehrenpreise, Arbeits- und Projektpreise. Manche sind weitgehend losgelöst von kommerziellen Fragestellungen, andere abhängig von den Bewerbungen, die eingereicht werden. Die Vielfalt der Jazzpreise im Land ähnelt als eine Art Spiegelbild der stilistischen Heterogenität der aktuellen Jazzszene Deutschlands.
Um mehr Durchblick zu verschaffen, stellt Jazz thing zu Beginn der Award-Saison 2016 exemplarisch einige wichtige Auszeichnungen vor – mit nüchtern gelisteten Fakten, ohne subjektive Wertung. Für Jazzmusiker ist es ein Wegweiser der Optionen, der die Entscheidung erleichtern kann, wo es sich lohnt, die eigenen künstlerischen Aktivitäten mit Blick auf die Zukunft zu bündeln. Dem Publikum verhilft es zu einer objektiveren Einschätzung der Preise. Welcher der Preise davon einen Künstler tatsächlich weiterbringt oder was sie über ihn aussagen, darüber lässt sich trefflich streiten – auf jazzthing.de oder auf unserer Fanpage bei Facebook.
Text Ralf Dombrowski & Martin Laurentius
Hallo,
danke für den Artikel.
PS
Es wäre nützlich, wenn Sie thematisieren, das 70% der
Jazzmusiker unter dem Existenzminimum von 12.000€/a
leben.
Und das die beachtliche Kulturförderung in Deutschland
nur zu einem Bruchteil auch den Jazzern zugute kommt.
Zur Jazzstudie 2016 mit ihren Ergebnissen kommt in der nächsten Ausgabe ein Artikel.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Laurentius