Jean & Doug Carn

Black Jazz Today

Der Einfluss und die Relevanz der Musik von Jean und Doug Carn sind enorm, doch in der gängigen Rezeption zeitgenössischer Black Music kaum sichtbar – von der Verehrung in der weltweiten Kennerszene rund um Gilles Peterson einmal abgesehen. Helmut Heuer sprach mit den beiden über Dinge, die in den 70er-Jahren entstanden und heute zählen. Im Rahmen der Black Jazz All Stars treten Doug & Jean am 10. Oktober bei der J.A.W. Family Reunion im Festsaal in Berlin-Kreuzberg auf, was wir als Medienpartner gerne begleiten.

Black Jazz Revelation (Photo)

Drei Alben auf Gene Russells und Dick Schorys wegweisendem Label Black Jazz Records sind es, die die Namen von Jean und Doug Carn auf der Jazzlandkarte markiert haben: „Infant Eyes“, „Spirit Of The New Land“ und „Revelation“ – Manifeste afro-amerikanischer Kultur zwischen 1971 und 1973. Die drei Alben von Jean Carn auf Philadelphia International zwischen 1976 und 1979 entstanden in einer anderen Welt, sind jedoch nicht weniger wichtig. Gamble & Huff schrieben ihr eine zeitgemäße, universelle Disco-Soul-Sprache.

Positivität und Protest

2019 stehen Jean und Doug Carn in Paris und Berlin wieder zusammen auf einer Bühne. „Infant Eyes“ klingt heute relevanter als je zuvor, insbesondere in der frischen, lebendigen britischen Jazzszene scheint dieses Album zum festen Kanon der Inspirationen zu gehören.

„‚Infant Eyes‘ von Wayne Shorter war das allererste Stück, das Doug und ich zusammen aufgenommen haben“, erinnert sich Jean Carn. „Auf dem Album-Cover, das ist unsere Tochter Jeanette. Wir haben das Foto am Santa Monica Beach aufgenommen. Sie fand es so toll, im Wasser zu spielen, musste aber aufhören, als die Fotosession begann, daher das mürrische Gesicht auf dem Cover. Alle Leute dachten, es wäre ein Junge!“

Jean Carn freut sich merklich, mit dem Programm von Black Jazz und Philadelphia International nach Europa reisen zu können:

„Meine drei Alben auf Philadelphia International kamen heraus, als die Intensität des Civil Rights Movements vorbei war. Wir wollten, dass sie motivierend und positiv klingen, aber trotzdem gleichzeitig ein Protestelement in sich haben. Das sind noch heute meine Lieblingsalben. Kenny Gamble und Leon Huff schlugen vor, für mein zweites Album ‚Happy To Be With You‘ Remakes von ‚Revelation‘ und ‚Infant Eyes‘ in ein Medley zu fassen. Kenny war damals ein großer Fan der Platten. Das Medley spiele ich heute in meinen Jazzshows immer noch so.“

Doug geht es ähnlich, dazu ist er parallel noch mit seiner Doug Carn West Coast Organ Band unterwegs und hat erst kürzlich das Album „Free For All“ auf dem Liebhaber-Label Doodlin' Records veröffentlicht. Für den 1948 in Florida geborenen Multi-Instrumentalisten und Hammond-Meister ist Stillstand kein Thema:

„Natürlich spielen wir Black-Jazz-Songs, ich habe immer noch so viel Freude daran. Bei den Konzerten sind dieselben Musiker wie damals dabei: Henry Franklin und Michael Carvin, Calvin Keys sowie andere Musiker aus der Black-Jazz-Familie wie der Chicago-Band The Awakening. Mit dem Titel ‚Free For All‘ erinnere ich an Art Blakey. Tunes wie ‚E.S.P.‘, ‚Nefertiti‘ und ‚Speak No Evil‘ sind noch heute relevant, deswegen beziehe ich mich auf sie. Auf der Orgel kann ich alles noch auf ein ganz anderes Level bringen. Weißt du, die meisten Kritiker oder Journalisten sind einfach nicht so tief in der Black Community drin, dass sie wirklich wissen, was dort abgeht. Sie nehmen es einfach nur an, aber wissen es nicht.“

Doug Carns Arbeit hat nichts vom revolutionären Geist der frühen Black-Jazz-Jahre verloren, auch wenn einige Utopien auf der Strecke geblieben sind:

„Die Zeiten ändern sich. Wenn man in meinem Alter ist, überlegt man sich genau, was man als Nächstes macht und was Sinn ergibt. Natürlich sprechen wir darüber, ob es noch so geht wie früher. Aber schau mal: Die Musikszene, insbesondere die Jazzwelt, ist so gespalten. Man fühlt sich manchmal wie ein Mitglied einer obskuren politischen Sekte. Ich lerne, das irgendwie zu akzeptieren, aber der Mainstream ist wirklich nichts für mich.“

Black Jazz – Spirit of the New Land (Photo)

Alte Gefährten und neue Ufer

Die Tatsache, dass es um Jean und Doug Carn wieder so lebendig wird, ist unter anderem Todd Barkan zu verdanken. Der aus Nebraska nach Kalifornien gezogene Produzent und Manager betrieb den legendären Club Keystone Korner in San Francisco, dem Dreh- und Angelpunkt des Modern Jazz der Bay Area in den 70er-Jahren. In Baltimore wurde er wiedereröffnet, gleichzeitig veranstaltete Barkan Keystone-Korner-Nights im New Yorker Iridium. Hier kam es zur Reunion.

„Es gibt dieses wunderbare Coffee-Table-Buch über den Club“, schwärmt Jean. „In Baltimore bin ich dort gerade mit Norman Connors aufgetreten. Todd ist ein echter Guru, er hat alle gemeinsamen Auftritte von Doug und mir in den letzten fünf Jahren in New York organisiert. Ich hatte ihn vorher lange nicht gesehen. Neulich erinnerten wir uns beide an diese Geschichte aus den 70er-Jahren, als Carlos Santana in der Pause Backstage zu Doug und mir kam und meinte, er wolle nach der Show mit mir sprechen, denn er hätte mich gerne als Sängerin in seiner Band. Doch vorher müsse er nach Hause, um zu meditieren. Ich solle bitte auf ihn warten. Irgendwann waren alle Musiker weg, der Laden geputzt, und Todd wollte abschließen. Gut, dachte ich, dann muss ich jetzt wohl auch los. Also wurde ich nie die Sängerin bei Carlos Santana.“

Jean Carne bricht gerade stilistisch zu neuen Ufern auf, die dennoch naheliegen. Soul, Disco und Lovers Rock – eine Liaison, die durchaus Sinn ergibt:

„In London arbeite ich unter anderem mit Dennis Bovell gerade an Reggae-Versionen von Songs aus meiner Philly-Zeit. Wir nehmen ‚Don't Let It Go To Your Head‘ und einige Songs auf, die damals in Europa gut ankamen, ‚Bet Your Lucky Star‘ oder ‚If You Wanna Go Back‘, aber in den USA gar nicht so nachgefragt werden. Ich denke, dass ich im November oder Dezember wieder nach London fliege, um alles fertigzustellen. Dann können wir im Frühjahr nächsten Jahres veröffentlichen.“

Text
Helmut Heuer

Veröffentlicht am unter 130, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2025