Kutiman

Barfuß ins Studio

Der 38-jährige Multiinstrumentalist, Produzent und Videokünstler Ophir „Kutiman“ Kutiel aus Israel nimmt uns auf seinem aktuellen Album „Wachaga“ (Siyal Music/Cargo) mit auf die Reise nach Tansania, an den Fuß des Mount Kilimandscharo, wo der Stamm der Wachaga seit Jahrtausenden lebt. Michael Rütten sprach mit Kutiman am Telefon über dessen diverse Projekte, Inspirationen und die Vorliebe für ein entschleunigtes Leben im Kibbuz abseits des Trubels.

Kutiman

Ophir Kutiel begann mit sechs Jahren in dem kleinen Dorf Zichron Yaacov bei Jerusalem, Klavier zu lernen, als Teenager kamen Gitarre und Schlagzeug hinzu, und mit 18 zog er nach Tel Aviv, um Jazz zu studieren. Während des Studiums hörte er im College-Radio, dass es weitaus mehr als klassischen Jazz gab. Funk, Afrobeat und später auch Reggae eröffneten neue Horizonte für ihn. Parallel dazu wuchs das Interesse an audiovisueller Kombination. Kutiel mischte Videoschnipsel unterschiedlicher Musiker virtuos zu Tracks zusammen, unter dem Projektnamen „Thru You“ auf YouTube zu finden – ein Konzept, das ihn weltweit bekannt machte und das er ausbaute, etwa für Städteporträts.

Sein erstes Album „Kutiman“ erschien 2007 auf dem Kölner Label Melting Pot Music und brachte Aufmerksamkeit sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks. Seit 2015 veröffentlicht er auf seinem eigenen Label Siyal Music. Musiker, Produzent, Labelinhaber, Videokünstler: Es entsteht unweigerlich der Eindruck, dass Kutiman ständig unterwegs ist und den Trubel der Städte als Inspirationsquelle nutzt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ein sehr entspannter, in sich ruhender Kutiel dazu in der Mittagszeit am Telefon aus dem Kibbuz:

„Ich hatte nach zehn Jahren in Tel Aviv den Punkt erreicht, alles für mich Wichtige aus der Metropole gezogen zu haben, und darüber hinaus wurde meine Sehnsucht nach Natur, in der ich auch aufgewachsen bin, immer größer. Ich kenne viele Leute, die ihre Inspiration aus dem Leben in der Großstadt ziehen, aber ich bin vor acht Jahren in einen Kibbuz, umgeben von Natur, gezogen. Ich gehe 100 Meter barfuß zu meinem Studio und wieder nach Hause. Und so sieht mein Leben mehr oder weniger aus. Durch meine Projekte entsteht der Eindruck, dass ich ständig auf Tour bin und viel reise. Das Gegenteil ist der Fall.“

Wie kam es dann zu dem aktuellen Album „Wachaga“?

„Ich wurde 2014 von einem Reiseunternehmen beauftragt, nach Sansibar und Tansania zu reisen und einen Film zu produzieren, angelehnt an meine Videos, die ‚Mix The City‘ heißen und jeweils verschiedene Musiker zeigen. Für diese Videos filmte ich die einzelnen Musiker und schnitt sie zu einem fließenden Mix zusammen – ohne dass sie zusammen gespielt haben. Als ich dann zurückkam mit den Aufnahmen, entstand die Idee, aus all der tollen Musik noch mehr zu machen, etwas Größeres. Also ging ich im Studio auf eine musikalische Reise, aus der das Album ‚Wachaga‘ entstand.“

Im Unterschied zu seiner bisherigen Herangehensweise, entweder Aufnahmen als Samples zu benutzen und diese zusammenzuschneiden oder komplett in Eigenregie selbst produzierte Musik aufzunehmen, verknüpfte er diesmal beide Methoden. Kutiel nahm die Aufnahmen der afrikanischen Musiker, Chants und Straßenszenen singender Kinder als Grundlage und spielte selbst Schlagzeug, Klavier, Gitarre, Saxofon und Synthesizer darüber. Heraus kam ein von Information nur so explodierendes Werk, das sich irgendwo zwischen Psychedelica, spirituellem Free Jazz und etwas Ambient verorten lässt – Letzteres am besten zu hören auf dem zunächst von Chants geprägten und sich dann in ruhigem Spiel von Fender Rhodes und Bass auflösenden „Fireflies Before Tomorrow“.

Der Spiritual Jazz hingegen tritt bei „Rainbow Kilimanjaro“ in den Vordergrund. Der Abschluss der Platte, das siebeneinhalb Minuten lange „Ngorongoto“, erinnert an die pompösen, energiegeladenen Live-Auftritte seines vielköpfigen Kutiman Orchestra. Mit Größen der israelischen Jazzszene wie dem Trompeter Sefi Zisling, Saxofonist und Flötist Shlomi Alon und Posaunist Yair Slutzky sowie einer ausgedehnten Percussion Section vermischen sich Funk, Psychedelic Rock, Jazz und Afrobeats zu einer sehr treibenden Mischung.

Sein Solo-Output, wie das meditative Ambient-Album „Antarctica“ oder das nun vorliegende „Wachaga“, lässt den Gedanken aufkommen, dass Kutiel über seine Musik eine bestimmte Aussage, ein Statement zu aktuellen Themen transportieren möchte. „Diese Frage stellt man mir sehr oft. Vielleicht unterbewusst, ja, aber nicht direkt beabsichtigt. Meine Musik und die Video-Mash-ups entstehen sehr intuitiv. Es ist eher schwer für mich, dies in Worten zu beschreiben.“ Wie es ein Titel bereits 2007 beschrieb: „Music Is Ruling My World“. Die Musik spricht für sich.

Text
Michael Rütten

Veröffentlicht am unter 135, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2025