Omer Klein

Im Schlaf

Jazzmusiker leben im Hier und Jetzt. Als Künstler haben sie jedoch die Möglichkeit, die Lebenswirklichkeit, die sie umgibt, artifiziell zu kommentieren. Auf den ersten Blick ist es beim Pianisten Omer Klein nicht anders. Doch hat er für seine neue CD „Sleepwalkers“ (Warner) einen Weg eingeschlagen, der seinen Modern Jazz unverbraucht und frisch klingen lässt.

Omer Klein (Foto: Peter ?Hönnemann)

Düsseldorf-Pempelfort: ein zwar angesagter, aber immer noch ruhiger Stadtteil in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens. Viele junge Familien leben in diesem Stadtteil, der durch architektonisch schöne Altbauten gekennzeichnet ist. Weil Omer Klein, 1982 im israelischen Netanja geboren und seit geraumer Zeit in Düsseldorf lebend, kürzlich Vater geworden ist, hat er gebeten, sich in einem kleinen Café bei ihm um die Ecke für das Interview zu treffen. Die Gäste zeigen einen Querschnitt durch die Bewohner von Pempelfort: Mütter und Väter mit Kindern oder Studenten, aber auch alteingesessene Düsseldorfer sitzen zusammen in entspannt heimeliger Vormittagsatmosphäre.

Der Grund für die Verabredung mit dem Pianisten ist die Veröffentlichung von „Sleepwalkers“, Kleins siebter CD als Leader insgesamt, der dritten seines Jazz-Pianotrios und sein Debüt für die Major-Plattenfirma Warner. 13 Originalkompositionen Kleins sind darauf zu hören, in denen er mit dem Bassisten Haggai Cohen-Milo und dem Schlagzeuger Amir Bresler eine stilistisch vielgestaltige Improvisationsmusik spielt. Anklänge an Komponisten der Romantik sind darin ebenso zu entdecken wie singbare, teils folkloreartige Melodien und natürlich Jazz US-amerikanischer, aber auch europäischer Prägung – der emotionale Ausdruck ihres Modern Jazz steht bei den drei Musikern eher im Mittelpunkt als eine spieltechnische Virtuosität.

„Der Albumtitel ‚Sleepwalkers‘ ist als Kommentar zu verstehen“, unterstreicht Klein. „Wenn ich mich umschaue, sehe ich viele Menschen zu jeder Gelegenheit auf ihre Smartphones schauen. Sie verlieren dadurch den Kontakt zum Hier und Jetzt und nehmen ihre Umgebung überhaupt nicht mehr wahr. Wir sind Gefangene dieser Technologie geworden, weil wir sie einerseits nutzen, andererseits aber auch durch sie benutzt werden – wie Zombies oder eben Schlafwandler, die zwar auf, aber nicht in der Welt sind.“

Gleichzeitig will er den CD-Titel auch positiv im Sinn von „etwas wie im Schlaf beherrschen“ verstanden wissen:

„Ich liebe Mehrdeutigkeit in der Sprache. Als Trio spielen wir nun schon eine so lange Zeit zusammen, dass wir in der Regel keine Cues oder vorherigen Absprachen brauchen, um zu wissen, wohin wir musikalisch gehen. Vieles passiert bei uns mittlerweile intuitiv und unbewusst.“

Omer Klein Trio (Foto: Peter Hönnemann)

Thematisch folgen die Stücke drei Strängen. Nach dem oben erwähnten Kommentar über die Nutzung von Smartphones ist Kleins philosophische Durchdringung von Kunst im Allgemeinen und Musik im Besonderen der zweite Leitfaden für seinen Modern Jazz auf „Sleepwalkers“.

„Ein Künstler ist jemand, der eine gewisse Empfindsamkeit besitzt“, betont er. „Die Realität, wie wir sie wahrnehmen, ist das Eine. Wir Künstler haben aber die Fähigkeit, unter die Oberfläche zu schauen und Dinge hochzuholen, die vielen nicht sichtbar sind. Bei Hegel habe ich gelesen, Kunst zeige sich im Absoluten – anders gesagt: Gott offenbare sich in der Kunst. Wenn Gott aber alles auf der Welt geschaffen hat, dann hat er auch den Künstler geschaffen. Dadurch ist Gott auch verantwortlich für die Kunst. Daraus ergibt sich bei Hegel die Frage, ob Gott sich deshalb nicht selbst in der Kunst offenbare? Hegels Fragestellung hat mich dazu inspiriert, mich mit diesem Thema zu beschäftigen – etwa in ‚Wonder And Awe‘, das ich am Anfang in einer Soloversion spiele und am Schluss dann im Trio.“

Das dritte Thema stellt dann so etwas wie einen emotionalen Kontrapunkt zur intellektuellen Schwere zuvor her.

„Hier dreht sich alles um Leichtigkeit, um Humor und Ironie. Wir drei sind eben nicht so schwermütig und intellektuell, wie es die ersten beiden Themen vielleicht andeuten. Und mit Stücken wie dem funky groovenden ‚Blinky Palermo‘ reflektieren wir unseren Band-Vibe“, macht der Pianist klar.

Für Klein bilden aber die drei Zentren, wie sie in den zwölf Stücken von „Sleepwalkers“ zutage treten, keine Collage oder Suite – obwohl oder gerade weil er ein kurzes melodisches Motiv, das er gleich im ersten Stück „Wonder And Awe“ auf dem Piano exponiert, im Gros der Stücke variiert. Vielmehr hat er ein Bild für sich gefunden, wie er die Bauweise der CD verstanden wissen will:

„Ich stelle mir ein Seil vor, dessen Stränge drei verschiedene Farben haben. Diese drei Stränge mit ihren Farben stehen für die Themen, wie sie sich im Verlauf der CD ständig neu umschlingen.“

On tour
Omer Klein Trio
16.02.
Düsseldorf, Schumannsaal
16.03. Steyr/A, Jazzfestival
19.03. Kassel, Jazzfrühling
22.03. München, Unterfahrt
23.03. Regensburg, Jazzclub
25.03. Bayreuth, Becher-Saal
31.03. Essen, Philharmonie
02.04. Freiburg, Jazzhaus
11.04. Hamburg, Elbphilharmonie
26.05. Bonn, Jazzfest
30.06. Greifswald, Eldenaer Jazz Evenings
02.07. Keitum, Tee Kontorhaus
09.07. Schwerin, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern

Text
Martin Laurentius

Veröffentlicht am unter 117, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2025