Randy Brecker

Großes Ding

Randy Brecker war neulich in Deutschland. Wer die Karriere des großen Jazztrompeters verfolgt, ist davon nicht überrascht. Denn Brecker spielte nicht nur kürzlich auf dem Konzert zum 25-jährigen Geburtstag von Jazz thing: Einige Monate zuvor war er mal wieder in Hamburg gewesen, um mit der NDR Bigband unter der Leitung von Jörg Achim Keller ein neues Album aufzunehmen. „Rocks“ (Jazzline/GoodToGo) lässt mehr als 40 Jahre Randy Brecker und Brecker Brothers Revue passieren. Helmut Heuer sprach mit Randy Brecker über neue Arrangements und alte Zeiten.

Randy Brecker

„Rocks“ ist nicht Randy Breckers erster Ausflug in die Welt der Bigbands und großen Orchester. Auch mit der NDR Bigband nahm er bereits 2011 auf:

„Ich kenne diese Bigband seit vielen Jahren. Ich weiß gar nicht mehr, wann wir uns das erste Mal trafen. Ich bin ja schon 73″, schmunzelt Brecker kurz vor dem Auftritt mit seinem Freund Bill Evans als Soulbop XL im Rahmen der Leverkusener Jazztage 2018. „Manchmal ist mein Erinnerungsvermögen halt etwas trübe. Aber ich bin zweimal, wenn nicht dreimal mit ihnen auf Tournee gewesen.“

Doch irgendetwas muss in der Zwischenzeit passiert sein. Die neun Songs auf „Rocks“ klingen so gar nicht nach US-Fusion-Jazz-Reworks der 70er- und 80er-Jahre, sondern europäisch frisch, fast wie gestern komponiert:

„Ja, wir stellten irgendwann fest, dass viele meiner Kompositionen einfach selten aufgenommen wurden. Jörg Achim Keller hat dann dazu organische Arrangements geschrieben. Es klingt nicht einfach so, als ob jemand uninspiriert ein paar Kompositionen des Brecker-Brothers-Zentralkatalogs nimmt und eine Bigband draufsetzt. Wenn du mich fragst: Es sind einige der besten Arrangements meiner Songs, die ich je gehört habe – wenn nicht die besten jemals.“

Alte Songs, neues Leben

Brecker und Keller haben sich bei der Songauswahl durch das Gesamtwerk der Brecker Brothers gearbeitet. Neben einigen Tunes der 2013 erschienenen „Brecker Brothers Band Reunion“ geht die Auswahl zum 1977er-Album „Don’t Stop The Music“ oder zum 1981er-Release „Straphangin‘“ zurück. Die Originalversion des Titelsongs „Rocks“ findet sich auf dem Brecker-Brothers-Debüt „The Brecker Bros.“ von 1975 wieder. Wer hat diese unterhaltsame Selektion getroffen? „Wir haben alle an der Songauswahl mitgewirkt. Ich habe zwar einige Vorschläge gemacht, Jörg Achim Keller hat dann aber geschaut, was am besten passt. Er kennt die Bigband besser als ich.“ Zu jedem Track gibt es natürlich eine eigene Geschichte, Randy Brecker freut sich zudem, im Rahmen von „Rocks“ einige Kompositionen wieder spielen zu können, die fast in Vergessenheit geraten waren:

„‚Sozinho‘ ist portugiesisch und bedeutet ‚allein‘. Der Song entstand in einer Zeit, als ich mich von meiner damaligen Frau trennte und in Scheidung lebte. Er wurde eigentlich nie live gespielt, vielleicht ein- oder zweimal von den Brecker Brothers. Die Orchestrierung ist wirklich wundervoll geworden. Genau so ist es auch mit ‚Pastoral‘. Dieser Song ist meinem viel zu früh verstorbenen Freund Jaco Pastorius gewidmet. In dieser ganz neuen Umgebung lebt dieser Song ein völlig neues Leben.“

Mit „The Dipshit“ begegnet uns auch eine eher ungewöhnliche Nummer aus dem Brecker-Kanon. Randy Brecker lacht:

„Das ist ein Song mit einer wirklich lustigen Entstehungsgeschichte. Meistens brauche ich richtig lange dafür, meine Songs zu schreiben. Ich habe eine simple Idee, aber beschäftige mich ausgiebig damit, sie immer wieder zu verändern und neu zu formulieren. Ich füge neue Teile hinzu und nehme andere wieder weg. Manche Songs hier auf dem Album haben Tage, wenn nicht Wochen gebraucht, bis sie fertig waren. Für ‚The Dipshit‘ hatte ich diesen Groove als Basis, der innerhalb von fünf Minuten stand. Alle mochten ihn sofort, und so habe ich nichts mehr daran verändert. Die Musiker lieben ihn, weil sie sich nicht ewig mit irgendwelchen Brecker-mäßigen Noten und Phrasen herumärgern müssen und sofort loslegen können. Im Bigband-Arrangement wurden viele kleine schlaue Details versteckt, die das Stück richtig nach vorne bringen.“

Spaß am Spielen

Die fulminante Präsenz der NDR Bigband ist nicht der einzige Trumpf von „Rocks“. Randy Brecker schwärmt von der Zusammenarbeit mit Jörg Achim Keller und dessen Ideen:

„Ich war so positiv überrascht, als wir uns das erste Mal trafen. Er hat beispielsweise zusätzliche Holzblasinstrumente mit eingebaut. So entstanden ganz neue Farben. Die Band spielte wie aus einem Guss. Jörg kam dann mit der Idee, David Sanborn einzuladen. Ich hatte so lange nicht mehr mit ihm gespielt. Und ich freue mich unheimlich, dass Wolfgang Haffner mit dabei war. Er ist einer meiner absoluten Lieblingsschlagzeuger. Meine Frau Ada Rovatti komplettiert das kleine Kern-Ensemble im großen Bigbandrahmen. Bei den Brecker Brothers hatten wir immer drei Bläser im Hinterkopf, also war das hier für mich ein echt großes Ding, diese Arrangements mitzugestalten. Ich will ja nicht mit meiner Arbeit angeben, aber das hier ist ein wirklich außergewöhnliches Album geworden. Ich habe sogar großen Spaß daran, es mir selber immer wieder anzuhören.“

Bei so viel guter Zeit auf dem europäischen Kontinent liegt die Frage nahe, ob Randy Brecker nicht schon einmal den Umzug nach Deutschland erwogen hat:

„Ja, es gab wirklich eine Zeit, in der ich dachte, mir in Deutschland eine Wohnung zuzulegen. Insbesondere in der Gegend um Köln herum habe ich gute Freunde, auch in Hamburg, Frankfurt oder Leverkusen. Aber nein: Ich übernachte in Hotels, wenn ich hier bin. Unsere Tochter ist jetzt zehn Jahre alt, wir leben glücklich auf Long Island, ungefähr zwei Stunden außerhalb New Yorks. Aber ich liebe es so sehr, in Deutschland zu sein. Hier in Leverkusen habe ich bereits Mike Stern getroffen. Wolfgang Haffner habe ich auch in der Lobby gesehen, er spielt hier mit meinem guten Freund Dieter Ilg. Bei Soulbop XL ist es so, dass Bill und ich die ganze Sache eher als Special Project sehen. Mit Victor Bailey und Hiram Bullock haben wir ja zwei sehr gute Freunde verloren. Sie waren ein integraler Bestandteil der Band. Das war hart, und deshalb waren wir einige Zeit auch nicht aktiv. Doch wir sind wieder da: Soulbop XL macht einfach so viel Spaß!“

Dieser Spaß am Spielen ist auch auf „Rocks“ zu hören.

„Wir haben alles in zwei Tagen aufgenommen und danach in anderen Studios nachbearbeitet. Meine Frau hat mir dabei wirklich sehr geholfen, wir haben ganz viele Ecken und Kanten gemeinsam ausgebügelt“, freut sich Randy Brecker. „Im Keller bei uns betreiben wir dieses kleine Studio: Hampton Sound. Dort wurden mittlerweile fast 100 Projekte aufgenommen. Für das Album ‚Night In Calisia‘ mit meinem Freund Wodzimierz Pawlik haben wir sogar einen Grammy gewonnen. Vielleicht haben wir ja mit ‚Rocks‘ wieder Glück.“

Text
Helmut Heuer

Veröffentlicht am unter 127, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2025