The Bad Plus

Ab jetzt ohne Piano

Wie soll man es nennen: Frischzellenkur, Verzweiflungstat, Neubeginn? The Bad Plus waren mal eines der angesagtesten Klaviertrios des Planeten. Aber seit Pianist Ethan Iverson 2017 die Band verließ, scheint die Krise ihr ständiger Begleiter zu sein. Weil die Urmitglieder Dave King und Reid Anderson rastlos nach dem Spirit früherer Tage suchten, entschieden sie sich jetzt für einen radikalen Schnitt: kein Piano mehr, dafür Gitarre und Saxofon. Operation geglückt, Patient wohlauf!

The Bad Plus (Foto: Elena Stanton)

„Es fühlt sich an, als wäre uns ein Zaubertrick gelungen!“ Drummer Dave King versucht, die Aufbruchstimmung in einen entsprechend euphorischen Verbalrahmen zu kleiden. „Früher war es ein Trio, und jetzt ist es ein Quartett. Doch unser Vokabular bleibt dasselbe. Das ist wahre Magie!“ Für Bassist Reid Anderson zählen dagegen eher nackte Fakten:

„The Bad Plus – das sind im Prinzip Dave und ich! Wir kennen uns seit 1985, haben so viel zusammen erlebt. Das schweißt zusammen und erzeugt so etwas wie eine gemeinsame Identität, eine Sprache. Damit präsentieren wir uns eben jetzt in einer neuen Orchestrierung.“

Will heißen: Ab sofort sind der Saxofonist Chris Speed und der Gitarrist Ben Monder Teil der Band. Und ein Piano? Nein danke, kein Bedarf mehr! Veränderungen gehören nun mal zum Leben, zuckt Anderson mit den Achseln, und es hört sich an, als hätten sich zwei nach vielen Jahren einfach auseinandergelebt.

Vielleicht war es ja tatsächlich so. Pianist Ethan Iverson, Anderson und King spielten erstmals 1989 zusammen, verloren sich dann aber wieder aus den Augen. Als sie sich 2000 in New York erneut über den Weg liefen, gründeten sie The Bad Plus, ein musikalisches Dreieck, in dem viele Dinge anders abliefen als in den bis dato bekannten Pianotrios. Der Pianist, der Bassist und der Drummer vermengten Elemente der Avantgarde, des Rock, des Pop und der Klassik. Strawinsky, Ligeti und Ornette Coleman oder gar ABBA, Queen, Kraftwerk, Pink Floyd, Black Sabbath, David Bowie, Neil Young oder Nirvana? So what! Für The Bad Plus gab es nie Genregrenzen, und wenn, dann galt es, sie zu überwinden. Sie lieferten subtil-radikale Adaptionen jener Klänge, mit denen sie aufgewachsen waren, keine Parodien.

Schon nach drei Gigs warfen sie ihr erstes Album „Motel“ auf den Markt, es folgten weitere 13. Und so ging es fortan weiter: extrem hohe Schlagzahl, in Spitzenzeiten rund 170 Gigs pro Jahr, Coverstorys, ständige Labelwechsel und die Erwartungshaltung, nichts weniger als die Zukunft des Jazz zu repräsentieren, was irgendwann auch zur veritablen Bürde werden kann.

2017 kam es dann zum ersten markanten Einschnitt. Iverson verließ die Band und wurde von Orrin Evans ersetzt – mithin kein Unbekannter, vielmehr ein arrivierter, weitaus geschätzter Pianist mit eigenen musikalischen Visionen. Zwei Alben lang ging das gut, bis mit dem Ausscheiden von Evans eine erneute Zäsur ins Haus stand. Nein, Streit habe es keinen gegeben, die Trennung sei vielmehr das Ergebnis eines längeren Prozesses gewesen, in etwa mit einer Evolution zu vergleichen.

„Wir befanden uns an einer Weggabelung“, erzählt Reid Anderson. „Es galt, eine Entscheidung zu treffen: Sollten wir so weitermachen oder eine ganz neue Seite in unserer Existenz als The Bad Plus aufschlagen? Aufhören kam nicht infrage. Also entschieden wir uns für eine scharfe Linkskurve und fragten Ben und Chris, ob sie bei uns einsteigen wollten.“

Sie wollten. Ben Monder, der Gitarrist, dessen Meriten vor allem von seiner Arbeit für David Bowies Schwanengesang „Blackstar“, Theo Bleckmann, Guillermo Klein oder Paul Motian herrühren, sowie der alte gemeinsame Kumpel Chris Speed an den Saxofonen sollten der Klangsprache der Band einige neue Vokabeln entlocken. Im Vergleich zu den Vorgängerbesetzungen klingen „Die Allerschlimmsten“ (Übersetzung von „The Bad Plus“) des Jahrgangs 2022 tatsächlich kantiger, rauer, experimenteller, weniger poppig, aber dafür wesentlich paritätischer. Reid Anderson:

„Früher waren wir ein Klaviertrio, das auch so funktionierte. Jetzt eben nicht mehr.“

Nachzuhören in den sieben von den Urmitgliedern komponierten Titeln des neuen Albums „The Bad Plus“ (Edition/Membran), die dank des markanten Anderson-Basssounds und des unverkennbaren Drummings von Dave King immer noch die klassische Bad-Plus-DNA in sich tragen.

Die Reaktionen des Publikums auf den Relaunch, sagt Reid, seien bis dato ausnahmslos positiv gewesen. „Wir leben weiter, und es tut jedem gut! Jetzt verwirklichen wir eben unsere eigenen musikalischen Fantasien.“ Und in denen kommt kein Piano mehr vor.

Text
Reinhard Köchl
Foto
Elena Stanton

Veröffentlicht am unter 145, Feature, Heft

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