Zara McFarlane

Jenseits von Reggae und Ska

Die als britische Jazzsängerin bekannte Zara McFarlane aus East London kombiniert auf ihrem Album „Songs Of An Unknown Tongue“ (Brownswood/Rough Trade) traditionelle, ursprüngliche Rhythmen aus Jamaika mit clublastigen Sounds und einem sehr komplexen Songwriting. Ein willkommener Anlass für ein weiteres Gespräch von Michael Rütten mit der sehr sympathischen Künstlerin über ihr jamaikanisches Erbe, ein langfristig angelegtes Musicalprojekt und den Wunsch, endlich wieder live auftreten zu können.

Zara McFarlane (Foto: Casey Moore)

Das ist schon mutig, was Zara McFarlane mit ihrem aktuellen Album angegangen ist. Waren es auf den drei Vorgängeralben immer bekannte Musiker aus der jungen Londoner Jazzszene, die ihre verzaubernde, kristallklare Stimme im Studio begleiteten, ist die Musik diesmal überwiegend elektronisch produziert. Das Line-up beschränkt sich auf die beiden Produzenten, Arrangeure und Multiinstrumentalisten Kwake Bass und Wu-Lu, nur auf zwei Songs sind Saxofon und Trompete von Idris Rahman respektive Robin Hopcraft zu hören.

McFarlane verließ bewusst die bisher erfolgreiche Formel und begab sich auf die Reise zu ihrem jamaikanischen Erbe, erkundete traditionelle Rhythmen vor Mento, Ska, Reggae und Dub.

„Immer wenn man am Flughafen in Kingston ankommt, trifft man dort auf traditionell gekleidete Musiker, die aber weder Reggae noch Dub oder Ska spielen, eher eine Art Folklore, der sich kein bestimmter Name zuordnen lässt – es geht um spirituelle Rituale und ursprüngliche Kultur. Meine Neugier, diese tiefer zu erkunden, basiert auf der Idee eines Musicals über die Zeit auf Jamaika im 18. Jahrhundert. An dem Musical arbeite ich langfristig, es war schon immer ein Wunsch von mir, ein solches zu schreiben. Doch ausgehend davon entstand nun auch die Idee zu ‚Songs Of An Unknown Tongue‘“, erklärt Zara McFarlane an einem Nachmittag im Sommer am Telefon.

Ihre Songtexte kreisen, wie schon auf „Arise“, um die Erfahrung als Person of Color in Großbritannien, Identität und das Erbe der Kolonisation. In der Abfolge der CD-Version des Albums baut ein Song auf den anderen auf, sie erzählt eine teilweise persönliche Geschichte. Musikalisch ging es darum, die afrikanisch geprägten Rhythmen zusammen mit den beiden Produzenten Kwake Bass und Wu-Lu in einen modernen, elektronisch-akustischen Kontext zu bringen.

„Für mich ist das neue Album eine Art Erweiterung von ‚Arise‘, auf dem ich schon anfing, mehr mit den jamaikanischen Rhythmen und elektronischer Produktion zu experimentieren. Viele wissen nicht, dass meine ersten offiziellen Veröffentlichungen im House-Music-Bereich angesiedelt waren, ich hatte schon immer eine Verbindung zur elektronischen Musik. Die meisten sehen mich nur als Jazzsängerin. Was ich in dem Zusammenhang an meinem Label Brownswood mag, ist, dass ich einerseits die Gelegenheit hatte, auf meinen ersten beiden Alben in Jazz einzutauchen, es dann aber Remixes von diversen Stücken gab, die diese Songs in den Clubkontext brachten. Als ‚Arise‘ herauskam, stoppte das Label aus verschiedenen Gründen das Thema Remixes. So habe ich nun versucht, auch mehr tanzbare Songs zu schreiben, um diese Lücke selbst zu schließen.“

Das Großartige an dem zunächst doch etwas zu komplex wirkenden Album ist, dass es sich mit jedem Hören mehr erschließt und die Geschichte, die darauf erzählt wird, schon den Charakter eines Musicals hat. Zara McFarlane nennt es eher eine Reise, auf die sie die Hörer mitnehmen möchte. Da geht es um die Sklaverei („Black Treasure“), das Verlieren von Identität und Sprache („Broken Water“), das Gefühl, in einer Beziehung selbst versklavt zu sein („Saltwater“ – einer der Höhepunkte des Albums), um einen „Native Nomad“ und die Empfindung, als in England geborene Frau jamaikanischer Abstammung nirgendwo wirklich zu Hause zu sein, die Notwendigkeit, die eigene Herkunft und Geschichte zu erforschen, aber gleichzeitig eine neue Geschichte anzufangen („My Story“), das Anerkennen der eigenen Wurzeln im basslastigen, sehr tanzbaren „Roots Of Freedom“ und schließlich um die positive Wirkung von Selbstakzeptanz in „Future Echoes“.

Wie sieht es mit der Live-Umsetzung aus?

„Das würde ich sehr gerne! Speziell mit diesem Album, denn es ist so anders als meine bisherigen Projekte. Ich denke oft, dass es eine extrem andere Live-Version von dem wäre, was auf der Platte zu hören ist. Die Studioalben sind das Ergebnis dessen, was ich vorher im Kopf hatte und wie ich mich aktuell darstellen möchte. Die Live-Umsetzung der Mischung aus elektronischen Sounds und den frühen jamaikanischen Folkrhythmen ist eine sehr spannende Sache für mich. An welchen Stellen verändere ich eventuell die Lyrics, wo kommt mehr Jazz mit ins Spiel, und wie treibt man es nach vorne, lässt es in Höhepunkten kulminieren? Aber das hat leider derzeit noch zu warten …“

Text
Michael Rütten
Foto
Casey Moore

Veröffentlicht am unter 135, Feature, Heft

jazzfuel
CLOSE
CLOSE