Jazzdebatte
„Für einen starken Jazz in Deutschland“ formierte sich Ende 2011 eine Initiative, der sich rund 1.000 Musiker anschlossen. Und sieh an: Der „JazzMusikerAufruf“ fand Gehör – und provozierte Reaktionen, positive wie negative. In Blogs, in den Feuilletons überregionaler Zeitungen und sogar im Bundestag debattierte man plötzlich über den Jazz, seine Relevanz und seine Förderung. Die „Union Deutscher Jazzmusiker“ stellte sich neu auf und nimmt seither ihre Rolle als „Sprachrohr der Jazzmusiker in Deutschland“ deutlich vernehmbar wahr. Martin Laurentius rekapituliert die „Jazzdebatte“ – und wagt auch einen Blick in die Zukunft.
8. März 2012, nachmittags. Deutsche Jazzmusiker zählen eifrig mit. Denn der Bundestag debattiert über die Musikförderung der Bundesregierung. Und, so hieß es vorab, Jazz sei zum allerersten Mal Thema im deutschen Parlament. Wer sich hier als eifriger Erbsenzähler zeigt, das ist die „Union Deutscher Jazzmusiker“ (UDJ), die den Reden der Abgeordneten aufmerksam zuhört, um zu erfahren, wie oft das Wörtchen Jazz fällt. Am Schluss der Parlamentsdebatte wird auf der Facebook-Seite der UDJ positive Bilanz gezogen: „Jazz ist in aller Munde! Parteiübergreifend wird eine stärkere Unterstützung gefordert.“
Es wäre jetzt ein Leichtes, sich über die „Erbsenzählerei“ der UDJ lustig zu machen. Aber mit einem bloßen Belustigtsein würde man es sich zu einfach machen. Denn zuallererst ist es richtig, dass diese Interessensgemeinschaft deutscher Jazzmusiker nur wenige Wochen vor der Debatte am 8. März von einer jüngeren Generation um Julia Hülsmann, Angelika Niescier, Felix F. Falk oder Philipp Gropper gleichsam „übernommen“ wurde. Diese altehrwürdige UDJ, die 1973 in Marburg unter anderem von Albert Mangelsdorff, Peter Brötzmann und Manfred Schoof gegründet wurde, aber schon kurz darauf in einen jahrzehntelangen Dornröschenschlaf fiel.
Es tut sich also etwas in Sachen Jazz und Improvisierte Musik in Deutschland – und die Bundestagsdebatte ist der bisherige Schlusspunkt einer Entwicklung, die ihren Anfang bereits im Dezember vergangenen Jahres nahm, als die Initiative „Für einen starken Jazz in Deutschland“ angestoßen wurde. Und man sich verwundert die Augen rieb, dass mit dem „JazzMusikerAufruf“ plötzlich aufmüpfig, frech und lautstark Maximalforderungen gestellt wurden – und die deutschen Musiker nicht wie bisher üblich brav am Katzentisch der Kulturförderung Platz genommen hatten und auf die Brosamen von oben warteten. Forderungen nach einer „Grundsicherung für Musiker“, aber auch nach einer Exportförderung von Jazz aus Deutschland oder einer Beteiligung der (reformierten) UDJ an den Gremien zur Vergabe von Fördermitteln. Unterschrieben von zahlreichen Jazzmusikern – neben den oben Genannten auch von Gunter Hampel und Ernst-Ludwig Petrowsky, von Nils Wogram, Henning Sieverts, Frank Möbus, Robert Landfermann u.v.a.m.
In der Folge wird also (wieder) über Jazz und Improvisierte Musik gesprochen. Nein, mehr noch: diskutiert und gestritten, teils heftig, kontrovers und vor allem – öffentlich. Also nicht mehr nur in abgeschlossenen Zirkeln und Foren unterhalb des Wahrnehmungsradars der Öffentlichkeit. Sondern Jazz war auf einmal Thema in den überregionalen Feuilletons einiger großer deutscher Tages- und Wochenzeitungen – wie zum Beispiel von der „Süddeutschen Zeitung“ oder der „Welt“, der „Zeit“ oder vom „Freitag“. Nicht immer fair, nicht immer mit journalistisch handwerklich korrekten Methoden; aber wahrgenommen von einer breiteren Öffentlichkeit.
„Es geht um Respekt“: Mit dieser Überschrift über seinen Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ setzte Reiner Michalke, Programmmacher vom Stadtgarten Köln und künstlerischer Leiter des moers festival, einen Schlusspunkt hinter eine ganze Serie von Artikeln in dieser überregionalen deutschen Tageszeitung zum Thema Jazz. Und machte damit auch deutlich, dass man als Szene nur dann „Relevanz“ (vulgo: Bedeutung) für Jazz und Improvisierte Musik in Deutschland bekommt, wenn man sich im „Konzert der Großen“ durchzusetzen versteht. Von der Notwendigkeit, sich als Jazzmusiker Respekt zu verschaffen, ist auch der Mannheimer Trompeter und Chef des Labels Jazz’n’Arts, Thomas Siffling, überzeugt: „Es ist an uns Musikern, dem Jazz als Kulturgut einen Stand in der Gesellschaft zu verschaffen: Du musst etwas für deine eigene Marke tun!“
Aber diese „Jazzdebatte“ der vergangenen Wochen hat auch gezeigt, dass das Problem, das Jazz und Improvisierte Musik in der einheimischen Kulturlandschaft haben, weitaus vielschichtiger ist, als es nur in dem (mittlerweile fast zum Unwort gewordenen) Begriff der „Relevanz“ zum Ausdruck kommt. Es ist ein strukturelles Problem ebenso wie ein ästhetisches und ein Vermittlungsproblem. Strukturell, weil zum Beispiel nicht erst die letzte Finanz- bzw. Wirtschaftskrise 2008 die Kassen der für Kulturförderung zuständigen Länder und Kommunen geradezu leergespült hat. Es müssen also Alternativen zur bisherigen Förderung durch die öffentliche Hand gesucht und gefunden werden – hilfreiche Stichworte könnten unter anderem „Crowdfunding“ oder „Public Private Sponsorship“ sein. Ästhetisch, weil es der Szene bislang nicht gelungen ist, eine Klammer zu finden, unter der sich gleichsam das Alleinstellungsmerkmal von Jazz aus Deutschland auch „binnenmusikalisch“ zusammenfassen ließe – obwohl (oder gerade weil?) es bislang drei „German Jazz Meetings“ als internationale Leistungsschauen des deutschen Jazz auf der jazzahead! in Bremen gegeben hat. Und ein Vermittlungsproblem, weil es sehr wohl ein anderes, auch jüngeres Publikum für den Jazz gibt, wie es das Festival Winterjazz in Köln Anfang Januar dieses Jahres ebenso gezeigt hat wie beispielsweise das Jazzkollektiv Köln, KLAENG, der BMW Welt Jazz Award in München oder Enjoy Jazz in der Metropol-Region Rhein-Neckar. Um jedoch dieses Publikum zu erreichen und zu bewegen, CDs zu kaufen oder auf Konzerte zu gehen, müssen aber nicht nur die bekannten Medienwege genommen, sondern es muss auch die eigene „Community“ aktiviert werden – über Facebook, Twitter und andere, zeitgemäße Kommunikationskanäle.
In Zukunft ist also Mut gefragt, auch „Undenkbares zu denken“. Zum Beispiel, dass Jazz zwar als improvisierte Musik bei der Frage der finanziellen Förderung zwischen den Stühlen von klassischer, durch den Staat subventionierter Musik und einem durch den Markt regulierten Pop sitzt, sich aber darin auch und gerade dessen Flexibilität zeigt – musikalisch und ästhetisch ebenso wie strukturell. Obwohl an dieser Stelle nicht das leidige Klischee vom Künstler, der nur hungernd große Werke zu erschaffen weiß, bemüht werden soll, so muss dennoch ein adäquates Förderkonzept gefunden werden, mit dem der besondere Geist dieser Musikgattung bewahrt wird. Gleichgültig, ob als „Klangereignis“ auf Tonträger festgehalten oder ob live auf der Bühne im Konzert: Jazz kann als (nicht notierte) Musik im Moment des Entstehens nicht mit den bislang existierenden Möglichkeiten durch die öffentliche Hand gefördert werden, weil er dann seinen spezifischen kreativen Impuls verlieren würde.
Und einer Gefahr sollten sich alle Beteiligten bewusst sein: Wenn irgendwann Geld in das System Jazz gesteckt wird, dann wird es auch eine offiziell eingesetzte Institution geben, die darüber entscheidet, wer profitiert – und wer nicht. Und die sich daraus fast schon zwangsläufig ergebenden sozialen wie ästhetischen Ungerechtigkeiten lassen sich nur dann abpuffern, wenn es der Jazzszene in Deutschlang gelingt, tatsächlich zu einer funktionierenden „Solidargemeinschaft“ zu werden. Auch das ist eine Aufgabe für die Zukunft.
Jazzfreunde sind schon eine Spezies für sich …
Zitat. „Und einer Gefahr sollten sich alle Beteiligten bewusst sein: Wenn irgendwann Geld in das System Jazz gesteckt wird, dann wird es auch eine offiziell eingesetzte Institution geben, die darüber entscheidet, wer profitiert – und wer nicht. Und die sich daraus fast schon zwangsläufig ergebenden sozialen wie ästhetischen Ungerechtigkeiten lassen sich nur dann abpuffern, wenn es der Jazzszene in Deutschlang gelingt, tatsächlich zu einer funktionierenden „Solidargemeinschaft“ zu werden. Auch das ist eine Aufgabe für die Zukunft.“
Ich glaube, kaum eine Lobby macht sich so verantwortlich Gedanken wie die Jazzgemeinde. ;-) Erstmal muß Geld auf den Tisch. Dann können wir uns weiter streiten.
Für dich? Oder wie ist das: „Erstmal muß Geld auf den Tisch“ zu verstehen?
Nicht für mich – für den Jazz. Für Musiker, für Clubs, für Exportförderung etc.pp.
Sich im Nichts zu streiten, bliebe ein Streit um Nichts. ;-)
> Jazz kann als (nicht notierte) Musik im Moment des
> Entstehens nicht mit den bislang existierenden
> Möglichkeiten durch die öffentliche Hand gefördert
> werden,
Doch. Alles kann, nichts muss.
> weil er dann seinen spezifischen kreativen Impuls
> verlieren würde.
Was, bitte, ist spezifisch an dem kreativen Impuls eines Jazzmusikers? Diese Frage stellen sich nicht zuletzt diejenigen – und zwar völlig zu recht –, die über Fördergelder entscheiden.